Klimaschutzpaket zwischen Zaudern und Aufbruch
Viel wird davon abhängen, welche Lösungen im Detail gefunden werden. Noch nicht absehbar ist derzeit auch, ob der seit dem Beginn der Koalition schwelende Dauerstreit zum Windkraftausbau tatsächlich gelöst wurde, auch wenn jetzt – mehr oder weniger verbindliche – Mindestabstände von Windkraftanlagen zu Wohngebieten vereinbart wurden.
Diesen Konflikt hatte die Koalition schon zu Beginn der neuen Legislaturperiode in eine Arbeitsgruppe ausgelagert, die sich aber nicht einigen konnte. Und betroffen von dieser Auseinandersetzung war auch der 52-Gigawatt-Deckel für die Photovoltaik, für dessen Auflösung die Arbeitsgruppe ebenfalls eine Lösung finden sollte.
52-Gigawatt-Deckel soll wegfallen
„Der derzeit noch bestehende Deckel von 52 GW für die Förderung des Ausbaus von PV-Anlagen wird aufgehoben”, heißt es nun im beschlossenen Eckpunktepapier. Doch weitere Aussagen, ob und wie der Photovoltaik-Ausbau beschleunigt werden soll, gibt es dort nicht. Lediglich soll eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Mieterstrom geprüft werden. Die hatte auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier schon im Sommer angekündigt. Dazu will er im Herbst einen Gesetzentwurf vorschlagen. Dieser wird wahrscheinlich die bislang restriktive Auslegungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bei der Anlagenzusammenfassung und beim „Lieferkettenmodell” korrigieren. Außerdem wird es wohl eine nur leichte Erhöhung des Mieterstromzuschlags geben.
Eine Abkehr von der grundsätzlich restriktiven Gestaltung des Eigenverbrauchs und des rechtlichen Konstrukts der Personenidentität ist dagegen nicht im Anschein zu erkennen. Das EEG könnte sehr deutlich vereinfacht werden, wenn der Stromverbrauch aus erneuerbaren Energien im räumlichen Zusammenhang, also die Stromlieferung zum Beispiel an Mieter, nicht mehr mit der EEG-Umlage belastet würde. So sieht es auch die neue europäische Erneuerbare-Energien-Richtlinie im Grundsatz vor. Die Koalition hätte dies einfach übernehmen können. Stattdessen scheint sie – so muss man bislang das Eckpunktepapier interpretieren – die Ausnahmeregelung in der Richtlinie weiterhin in Anspruch nehmen zu wollen. Das heißt, es wird voraussichtlich bei den bürokratischen Hürden und Belastungen der erweiterten Eigenstromnutzung bleiben.
„Die Streichung des Förderdeckels für Solardächer wird in letzter Minute einen Markteinbruch abwenden, wenn sie jetzt umgehend gesetzlich fixiert wird”, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft (BSW): „Insgesamt bleibt das Eckpunktepapier aber eher zaghaft und vage. Statt den Solarturbo zu starten, knüpft man einen fluglahmen Flickenteppich.
Subvention der EEG-Umlage
Beschlossen hat die Koalition auch eine neue Subvention, die die EEG-Umlage reduzieren soll. Im Zusammenhang mit der Forderung, CO2-Emissionen zu besteuern oder mit einer Abgabe zu belasten, ist es den Fürsprechern dieses Instruments immer wichtig gewesen, die so eingenommenen Gelder zur Reduktion der Stromsteuer und der EEG-Umlage zu verwenden. So sollte einerseits die Lenkungswirkung einer Steuer zur CO2-Reduktion genutzt und andererseits zunehmend regenerativ erzeugter Strom von Kosten entlastet werden.
Doch die Koalition hat sich jetzt auf einen Reduktionspfad bei der EEG-Umlage durch staatliche Mittel festgelegt, der wohl eher kosmetische Wirkung hat. Im Jahr 2021 will sie die EEG-Umlage um 0,25 Cent/kWh senken – folgt man der Mittelfristprognose der Netzbetreiber, so wird dies 2021 etwa 850 Millionen Euro kosten. Der Betrag wird sich im darauf folgenden Jahr etwas mehr als verdoppeln und 2023 verdreifachen. Dennoch wird die nur geringe Entlastung je Kilowattstunde für die Verbraucher wohl kaum spürbar sein. Fraglich ist, ob sie aufgrund von Mitnahmeeffekten, die die Stromlieferanten nutzen werden, überhaupt bei den Bürgern ankommt.
Ein spürbarer Impuls ist durch die geringe Senkung der EEG-Umlage nicht zu erwarten. Würde sie deutlicher ausfallen, könnte dies immerhin der Eigenversorgung bzw. der Mieterstromversorgung zu höherer Attraktivität verhelfen – selbst wenn diese weiterhin nicht von der EEG-Umlage ausgenommen werden.
Einstieg in die CO2-Bepreisung
Wie die Koalition im Eckpunktepapier erklärt, will sie die Entlastung bei der EEG-Umlage aus dem Einstieg in die CO2-Bepreisung finanzieren. Sie spricht hier auch davon, ggf. andere staatlich induzierte Bestandteile des Strompreises (Netzentgelte, Umlagen und Abgaben) schrittweise aus den Einnahmen des Emissionshandels bezahlen zu wollen. Konkreter wird sie bislang noch nicht.
Die Koalition hat aber auch beim Emissionshandel einen niedrigen Einstieg gewählt. Die CO2-Bepreisung soll ab 2021 mit einem Festpreissystem starten – zunächst mit einem Betrag von 10 Euro je Tonne, der sich im darauffolgenden Jahr verdoppelt und bis 2025 in 5-Euro-Schritten ansteigen soll. Vom Tisch ist damit die von der SPD bevorzugte Lösung einer CO2-Steuer, die nach Aussage von Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung schneller hätte implementiert werden können.
Ab 2026 soll sich der Preis selbst in einem Korridor von 35 bis 60 Euro je Tonne entsprechend der Nachfrage nach Zertifikaten – analog zum europäischen Emissionshandelssystem – bilden. Dafür will die Regierung dann die maximale Emissionsmenge bestimmen.
Klimaforscher, Umweltverbände und die Fridays-for-Future-Bewegung kritisierten diesen Preispfad postwendend als völlig unzureichend. Professor Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung sagt: „Das ist fast eine Null-Nummer.” Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) bezeichnete das Klimapaket als „Dokument der Mutlosigkeit“. Ein sinnvoller und moderater Einstiegspreis müsse bei 50 Euro je Tonne liegen und schrittweise auf 130 Euro ansteigen. Davon ist die Koalition weit entfernt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel rechtfertigt die gefundene Lösung: „Wir fangen in der Tat recht niedrig an, um Menschen mitzunehmen. Wir kommen dann aber nach einiger Zeit doch schon auf den Zertifikatepreis, den wir aus dem Emissionshandel im Industriebereich kennen.” Und bevor der Emissionshandel greife, wolle die Koalition die verbesserten Förderprogramme wirken lassen. Merkel räumt auf Nachfrage aber auch ein, dass die Widerstände in der Union einen höheren Einstieg in den Emissionshandel verhindert haben. Sie sagte auf der Pressekonferenz am Freitag vergangener Woche bei der Präsentation des Klimapaketes: „Aber ich darf vielleicht auch einmal für die Unionsseite sagen: Ich verfolge die Diskussion nun auch schon seit vielen Jahren. Dass wir jetzt ganz bewusst auf den Weg der Bepreisung gehen, ist für uns schon auch ein Paradigmenwechsel. Jetzt kann man sagen: Das geht zu langsam, und das müsste schneller sein.” Man werde aber auch sehr schnell mitbekommen, „ob es aufgeht oder nicht”.
Wärmesektor: Warten auf neue Förderkonditionen
Welchen Impuls der Emissionshandel für erneuerbare Energien bringt, lässt sich derzeit schwer absehen. Weil der Stromsektor bereits durch den europäischen Emissionshandel abgedeckt wird, ist er von den neuen nationalen Emissionspreisen nicht betroffen. Diese wirken sich auf den Verkehr und die Energieversorgung der Gebäude aus. So wird Heizöl aufgrund der CO2-Bepreisung im Jahr 2023 um etwa 11 Cent je Liter teurer – dies ist aber eine Summe, die unter der sowieso vorhandenen Preisspanne im Heizölmarkt liegt. Daher hängt es vor allem davon ab, wie das Signal bei den Hausbesitzern ankommt und in Kombination mit den angekündigten Förderprogrammen wirkt. Auch dazu fehlen noch die entscheidenden Details.
Rolf Mützenich, kommissarischer Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion hat angekündigt, im November werde mit der gesetzlichen Umsetzung des Klimapaketes begonnen: „Wir als SPD-Bundestagsfraktion legen großen Wert darauf, dass wir die ersten Lesungen bereits im November durchführen können. Wichtige Entscheidungen stehen an, der Kohleausstieg, aber auch das Strukturstärkungsgesetz.” Ob aber in diesem Jahr alle mit dem Klimapaket verbundenen Gesetzesvorhaben gestartet werden, ließ er offen. Ebenso ist noch nicht klar, wann die Konditionen der neuen Förderprogramme feststehen werden – bis dahin werden Installateure im Wärmesektor aber wohl auf Aufträge für die Modernisierung von Heizungsanlagen warten müssen.
Neuer Mindestabstand für Windkraftanlagen
Bei der Windkraft gibt es eine Verständigung auf einen neuen Mindestabstand. Künftig sollen die Anlagen im Abstand von 1000 Metern zu reinen und allgemeinen Wohngebieten nicht mehr errichtet oder repowert werden. Dies soll auch für dörfliche Strukturen mit signifikanter Wohnbebauung gelten, auch wenn sie nicht als solche ausgewiesen sind. Dies entspricht den Empfehlungen, die bereits in einigen Bundesländern bestehen.
Allerdings können Länder und Kommunen auch geringere Abstände vorsehen. Kommunen sollen von einer solchen Entscheidung, einen geringeren Abstand in den Planverfahren zuzulassen, sogar finanziell profitieren können. Generell sollen Kommunen eine finanzielle Beteiligung erhalten. Diese kann erhöht werden, wenn Kommunen von ihrem Opt-out-Recht Gebrauch machen und geringere Abstände vorsehen. Auch die Länder haben die Option des Opt-outs. Sie können innerhalb von 18 Monaten nach Inkrafttreten der Neuregelung geringere Mindestabstände gesetzlich festlegen. Die in Bayern bestehende 10-H-Regelung bleibt jedoch erhalten. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder kommentierte dies mit den Worten: „Ich als CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern sage noch einmal Danke schön, dass zu einem endlos langen und wichtigen Kapitel über Wind ein wichtiger Satz steht, der alles zusammenfasst: In Bayern bleiben unsere Regeln bestehen.” Und die Koalition dokumentierte damit gleichzeitig, dass es Dinge gibt, die ihr wichtiger sind als der Klimaschutz.
Das Eckpunktepapier ist hier zu finden unter www.bundesregierung.de.
Text: Andreas Witt
Foto: mw238 / flickr.com