Krise der Windindustrie

Windkraftwerke als Silhouette im GegenlichtFoto: Guido Bröer
Düstere Stimmung in der deutschen Windbranche
Mit der Ankündigung des Wind­kraft­anlagen-Herstellers Enercon, 3000 Mitarbeiter im eigenen Unter­neh­men und in abhängigen Zulieferbetrieben auf die Straße zu set­zen, ist die Krise der Windindustrie vielen in Medien und Po­­l­itik erst deutlich geworden. Doch auch selbst wenn die Bundesregierung es wollte, würde sich der Aus­bau von Windenergieanlagen an Land nicht so schnell wieder auf die Beine bringen lassen, wie er durch veränderte Rahmenbedingungen in die Knie gezwungen wurde.

Enercon scheint nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Nachdem schon im Herbst 2018 mehrere Firmen Massenentlassungen hinter sich gebracht hatten, hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten die Krise der Windindustrie beschleunigt. Vestas strich im September 500 Stellen im brandenburgischen Lauchhammer. Senvion hatte bereits im April Insolvenz angemeldet und muss nun einen wesentlichen Teil seines europäischen On­shore-Geschäfts und seine Rotorblattfertigung in Portugal an Siemens Gamesa verkaufen. Der Siemens-Konzern rettet damit zwar einige hundert der einst 1400 Senvion-Arbeitsplätze in Deutschland, hat aber auf der anderen Seite schon im September den Abbau von bis zu 600 Stellen in seinen dänischen Werken angekündigt. Vor zwei Wochen gab Vorstandschef Markus Tacke dann weitere 600 Stellenstreichungen vor allem im Onshore-Bereich bekannt.

Für Heiko Messerschmidt, Sprecher der IG Metall Küste, hängen alle diese Meldungen zusammen: „Wir erleben eine krasse Konsolidierung in der Branche – über alle Unternehmen hinweg. Für uns stellt sich die Frage, was überhaupt übrig bleibt von der Branche in Deutschland. Wir befürchten, was einmal weg ist, bleibt weg.“

„Die Messe ist gelesen“

Auch Enercon-Chef Hans-Dieter Kettwig hatte laut Medienberichten den Bemühungen von Landespolitikern eine Absage erteilt, einige der 3000 bedrohten Arbeitsplätze vor allem in Ostfriesland und Magdeburg zu erhalten: Die Messe sei gelesen, so Kettwig.

Zwar bekannte sich der Enercon-Boss laut dpa bei einem Treffen mit Landespolitikern in Magdeburg am Montag dazu, dass das Unternehmen weiterhin mit seinen deutschen Standorten plane. Allerdings ändere dies nichts daran, dass die 3000 Stellen in zwei Schüben im Frühjahr und Herbst 2020 jeweils zur Hälfte in Ostfriesland und Magdeburg abgebaut werden müssten. Auch ein schnelles Umsteuern der Bundesregierung könne den Wegfall der Arbeitsplätze bei Enercon nicht mehr verhindern, so machte Kettwig deutlich.

Zweiter Windgipfel

Gleichwohl saß der Firmenchef am Montagabend (nach Redaktionsschluss) mit weiteren Vorständen der Deutschen Windbranche mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier zusammen, um diesen zu einer beschleunigten Umsetzung eines Großteils des nach dem ersten Wind­gipfel im September vorgestellten Arbeitsplans gegen die Krise der Windindustrie zu bestärken. Mit dem sollen vor allem Genehmigungsverfahren für Windparks beschleunigt werden. Vor allem aber hoffen die Windfirmenchefs, Altmaier noch von der Idee abzubringen, bundesweit Mindestabstände von 1000 Metern zwischen Windrädern und Siedlungen im Baugesetzbuch festzuschreiben (Seite 1).

Schützenhilfe erhielten sie dabei in der vergangenen Woche von einem ungewöhnlich breiten Bündnis von Wirtschaftsverbänden. Die schrieben an Altmaier: „Die dem Klimaschutzprogramm 2030 entstammende und in die Aufgabenliste aufgenommene Abstandsregelung wird alle weiteren Bemühungen zur Stärkung des Windenergieausbaus zunichtemachen.“ Durch den geplanten Mindestabstand von 1000 Metern würden schließlich 20 bis 50 Prozent der Flächen der Windenergie entzogen und die Krise der Windindustrie weiter verschärft.

Unterschrieben haben den Brandbrief zur Krise der Windindustrie neben dem Bundesverband Windenergie (BWE) und dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU) sowie der in der Energiepolitik zumeist stramm konservative Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Unionsabgeordnete für Abstände

Daraufhin sahen sich nun 17 führende Wirtschaftspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Mindestabstand in Verhandlungen des Koalitionsausschusses im September durchgedrückt hatten, zu einer Replik an Altmaier genötigt. In einem Brief, der den Solarthemen vorliegt, wiederholen die 16 Männer und eine Frau mehrfach ihr Credo, erst der bundeseinheitliche Mindestabstand könne die Akzeptanz des Windenergieausbaus an Land wieder herstellen: „Daher bestärken wir Sie, sehr geehrter Herr Bundesminister, darin, die Regelung zu Mindestabständen – wie auch im Klimaschutzprogramm 2030 festgelegt – zügig ins Kabinett und anschließend in das Parlament einzubringen, und sichern Ihnen für das weitere Verfahren unsere volle Unterstützung zu.“

Freilich lässt sich gerade dieses Argument empirisch schwer belegen. Im Gegenteil zeigt beispielsweise die jüngste repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind), dass 82 Prozent der Befragten die Nutzung und den Ausbau der Windenergie an Land im Rahmen der Energiewende als „wichtig“ oder „sehr wichtig“ erachten. Mit 86 Prozent noch etwas größer ist demnach die Unterstützung für die Windenergie bei der sogenannten „schweigenden Mehrheit“, die sich nicht in öffentlichen Debatten zur Windenergie vor Ort positioniert.

Arbeitsplan Wind an Land

Viele andere der 18 Punkte aus dem „Arbeitsplan Wind an Land“, den Altmaier im Oktober vorgestellt hat, haben allerdings nach Auffassung der Unternehmen durchaus das Zeug, der Branche das Leben zu erleichtern. So will der Minister beispielsweise bis Ende dieses Jahres eine Bund-Länder-Vereinbarung zum Abbau von Genehmigungshemmnissen geschlossen haben. Die Prüfabstände zu Drehfunkfeuern der Bundeswehr und ziviler Luftsicherungsbehörden sollen auf europäischen Standard herabgesetzt werden und der Klageweg gegen BImSchV-Genehmigungen für Windkraftanlagen soll auf zwei Instanzen verkürzt werden.

Dies alles könne die Perspektive der Windbranche zwar verbessern, meint auch Jürgen Quentin von der FA Wind, der stets minutiös die Statistiken über Zubau und Genehmigungen von Windkraftanlagen nachhält. Allerdings warnt Quentin vor überzogenen Hoffnungen. In den beiden kommenden beiden Jahren könne man angesichts der vorliegenden Zahl genehmigter Projekte und der langen Realisierungszeiten bestenfalls von einem Zubau von jeweils 1500 Megawatt in Deutschland ausgehen. Seit Einführung der Ausschreibungen Anfang 2017 seien in Deutschland nur noch durchschnittlich 120 Megawatt Windkraftleistung pro Monat genehmigt worden. Davor habe die Zahl jahrelang auf dem dreifachen Niveau gelegen.
Jahrgang 2017 ist verloren

Ähnliche Erwartungen leitet Quentin auch aus der Beobachtung der seit Anfang 2018 zunehmend unterzeichneten EEG-Ausschreibungen ab. Und was die vielen potenziellen Windprojekte betrifft, für die im ersten Ausschreibungsjahrgang 2017 große Projektierungsgesellschaften nach dem Modell der sogenannten Bürgerwindprivilegien einen Zuschlag ergattert hatten, so bezeichnet Quentin diesen Jahrgang als „verloren“. Man könne mittlerweile beobachten, dass sich Projektierer für einige ihrer damals teils ohne BImSchV-Genehmigung bezuschlagten Projekte nun erneut in Ausschreibungen einen Zuschlag holen – zu besseren Konditionen. Angesichts des nicht mehr vorhandenen Wettbewerbs lohnt sich das.

Lesen Sie zu dem Thema auch: Windkraft: Oldtimer kaschieren Politiklücke von Guido Bröer

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