Forschungs-Institute: So geht grüne Industrie

Ein Kessel mit glühendem Stahl im Stahlwerk, Funken sprühenFoto: Oliver Ristau
Die Stahlindustrie ist noch ein großer Produzent von Klimagasen.
Die Denkfabrik Agora Energiewende und das Wuppertal-Institut zeigen auf, wie die energieintensive Industrie mit einem Sofortprogramm künftig klimafreundlich werden kann. Schlüssel sind grüner Strom, grüner Wasserstoff und neue politische Rahmenbedingungen.

Wie die Stahl-, Chemie und Zementhersteller künftig klimafreundlich werden und wettbewerbsfähig bleiben, zeigen die beiden Institute in einer Studie. Darin schlagen sie ein Sofortprogramm vor, um die deutsche Industrie zum Vorreiter bei grünem Wasserstoff, Elektrifizierung und der Vermeidung von Prozessemissionen zu machen.

Zusammen mit weiteren Politikinstrumenten soll es die notwendige Investitionssicherheit in der Grundstoffindustrie herstellen, so dass diese bis 2050 weitgehend klimaneutral werden und an Innovationskraft gewinnen könne. Die Studie „Klimaneutrale Industrie“ werde am Dienstag, den 26. November, in Berlin von Vertreterinnen und Vertretern aus Industrie, Bundesregierung und Wissenschaft diskutiert.

Weil Deutschland bisher keine dezidierte Klima- und Innovationspolitik für die Grundstoffindustrie verfolge, drohe ohne neue Maßnahmen ein massiver Investitionsrückgang in diesem Wirtschaftszweig mit seinen 550.000 Beschäftigten, teilten die Forscher mit.

„Zwischen 2020 und 2030 steht in der Industrie eine große Reinvestitionsphase an – dies ist eine große Chance für den Klimaschutz“, sagt Professor Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal Instituts. So müssen in den kommenden zehn Jahren mehr als die Hälfte der energieintensiven Anlagen in der Stahlerzeugung und in der Chemieindustrie erneuert werden und fast ein Drittel in der Zementindustrie.

„Um dafür zukunftsgerichtete Investitionen tätigen zu können, brauchen die Unternehmen jetzt neue politische Rahmenbedingungen. Andernfalls droht ein Investitionsstau oder die Gefahr von Fehlsteuerungen“, warnt Fischedick.

Mit einer Lebensdauer von mehr als 50 Jahren würden konventionelle Anlagen, die heute errichtet werden, bis weit nach 2050 große Mengen Treibhausgase freisetzen – was im Widerspruch zum Ziel der Bundesregierung stehe, Deutschland bis 2050 klimaneutral zu machen. Wegen der Sorge, dass ihre Anlagen deshalb nicht bis zum Ende ihrer Lebensdauer produzieren dürfen, scheue die Grundstoffindustrie derzeit vor Neuinvestitionen zurück.

Für den Klimaschutz sei die energieintensive Grundstoffindustrie ein entscheidender Faktor: Sie stoße gut ein Fünftel der Treibhausgase in Deutschland aus und muss ihre Emissionen damit bis 2050 um rund 180 Millionen Tonnen CO2 senken, um annähernd klimaneutral zu werden. Hierfür sei eine Trendumkehr notwendig, denn in den vergangenen zehn Jahren stagnierten die Emissionen.

„Wir beobachten zwar Effizienzsteigerungen. Was aber zusätzlich nötig ist, sind Sprunginnovationen bei CO2-armen Schlüsseltechnologien“, sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. Allen voran nennt die Studie die stärkere Nutzung von Grünstrom und grünem Wasserstoff, der aus Erneuerbaren Energien hergestellt werde.

Beides könne sowohl in der Stahl- als auch in der Chemieindustrie Kohle, Öl und Gas ersetzen. In der Zementindustrie sei aus heutiger Sicht und sofern kein Durchbruch bei alternativen Baustoffen gelinge, die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) unausweichlich, da beim Brennen von Kalk in der Zementproduktion große Mengen an CO2 entstehen.

Für die Elektrifizierung, wasserstoffbasierte Produktionsverfahren und die CO2-Abscheidung bei Zement gebe es bereits zahlreiche Pilotprojekte. „Diese Schlüsseltechnologien müssen nun zum industriellen Maßstab skaliert werden, damit sie die nötigen Klimaschutzbeiträge liefern können und die Industrie globaler Vorreiter im Bereich der nachhaltigen Produktionstechnologien werden kann. International winken hierdurch große Marktchancen für den deutschen Anlagenbau“, sagt Graichen.

„Mit den richtigen Rahmenbedingungen lohnt sich die Entwicklung und der Aufbau dieser Anlagen auch langfristig für die Industrie“, ergänzt Fischedick. „Dabei muss die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie immer im Auge behalten werden. Es nutzt niemandem, wenn wir zwar grün werden, dabei aber auf dem Weltmarkt unsere gute Wettbewerbsposition verlieren und Industrieproduktion aufgrund des globalen Wettbewerbs ins Ausland abwandert.“

Die Studie schlägt sieben Maßnahmen vor, die innerhalb kurzer Zeit umgesetzt werden könnten:

  1. Staatliche Förderung klimafreundlicher Produktionsverfahren, sogenannte Carbon Contract for Difference (CfD), in den Sektoren Stahl, Chemie und Zement. Die Förderhöhe soll über Ausschreibungen ermittelt werden.
  2. Einführung einer Klima-Umlage auf Endprodukte wie Stahl, Aluminium, Zement und Plastik, um die CfD-Förderung zu refinanzieren
  3. Selbstverpflichtung des Bundes, bei größeren Bauprojekten klimafreundliche Materialien zu verwenden und klimafreundliche Fahrzeuge zu nutzen.
  4. Quote für grünen Wasserstoff auf den Absatz von Erdgas: Sie soll zum Aufbau von Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff beitragen.
  5. Einstieg in die Kreislaufwirtschaft, um langfristig Stoffkreisläufe zu schließen und so die Verbrennung von Abfall und den Einsatz neuer Rohstoffe zu vermindern.
  6. Europäische Koordination durch Einführung dieser Instrumente auch auf EU-Ebene
  7. Eintreten der Bundesregierung für einen globalen CO2-Preis auf UN-Ebene

Die Beratungsgesellschaft Navigant, die Kanzlei Becker Büttner Held und das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität haben die Arbeit fachlich unterstützt. Die Studie wird begleitet von einer separaten juristischen Bewertung der Politikinstrumente sowie einer ausführlichen Darstellung der CO2-armen Schlüsseltechnologien.

25.11.2019 | Quelle: Agora Energiewende | solarserver.de © EEM Energy & Environment Media GmbH

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