Photovoltaik-Pflicht – Interview mit Franz Untersteller

Portraitfoto Franz Untersteller, Minister für Umwelt und Energie in Baden-WürttembergFoto: Ministerium für Umwelt und Energie Baden-Württemberg
Minister Franz Untersteller (Bündnis 90/Die Grünen)
Der studierte Landschaftsarchitekt Franz Untersteller ist seit 2011 baden-württembergischer Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft. Einer seiner jüngsten Vorschläge, um die Solarenergie weiter voranzubringen und zu einem selbstverständlichen Teil von Gebäuden zu machen, ist deren verpflichtender Einsatz zumindest in Neubauten. Auch darüber sprachen die Solarthemen mit Untersteller.
Solarthemen: Sie wollen mehr Solarenergie in Baden-Württemberg. Dem soll auch eine landesweite Photovoltaik-Pflicht dienen. Was kann man sich genauer darunter vorstellen?

Franz Untersteller: Die Solarenergie ist längst wettbewerbstauglich und mehr noch, sie gehört zu den günstigsten Erzeugungstechnologien, die wir haben. Das heißt, es ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll, alles zu tun, um sie verstärkt auszubauen und in den Markt zu bringen. Dazu gehört Information und Beratung. Wir müssen die Solarenergie als attraktives Modell der Strom- und Wärmeerzeugung noch besser bekannt machen und dafür werben. Dazu gehört aber auch, auszuloten, inwieweit wir zum Beispiel eine PV-Anlage an einem Neubau als Standard setzen wollen. Wie andere Standards auch, von der Dachneigung und der Ziegelfarbe, die mancherorts noch geregelt ist, bis zum Stellplatz für das Auto. Aus meiner Sicht ist es zumutbar, einen Standard für die Erzeugung regenerativen Stroms zu setzen. Klimaschutz ist schließlich unbestritten eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Deshalb wollen wir landesweit eine Photovoltaik-Pflicht für Neubauten einführen.

Sollen die Solarpflichten nur für Neubauten oder auch bei Altbauten gelten, sofern dort zum Beispiel ein Dach komplett erneuert wird?

Das kann ich Ihnen im Moment im Detail noch nicht sagen. Da gibt es eine ganze Reihe an Dingen zu klären, bevor wir soweit sind. Zunächst mal ist aber an Neubauten gedacht.

Wie viel Überzeugungsarbeit müssen Sie noch leisten? Was halten Ihre Parteifreunde und der Koalitionspartner von der Idee?

Die Idee an sich findet breite Zustimmung. Das freut mich sehr. Auch von unserem Koalitionspartner, der CDU, bekomme ich Rückenwind. Und die grüne Fraktion im Landtag hat ein Klimaschutzpapier verabschiedet, in dem die Solarpflicht als ein Punkt explizit aufgeführt ist. Aber Sie wissen, wie das ist: Zum Schwur kommt es, wenn wir konkret werden. Ich gehe schon davon aus, dass wir über Details der Umsetzung einer Solarpflicht noch diskutieren werden. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir die Fragen dann klären können.

PV erfreut sich in Baden-Württemberg schon einer gewissen Akzeptanz. Die Technik lohnt sich fast immer. Warum ist es dann überhaupt sinnvoll, die PV-Nutzung zur Pflicht zu machen?

Der Umbau unseres Energiesystems braucht eine gewisse Steuerung. Er wird nicht funktionieren, wenn wir nur auf Einsicht und Weitsicht vertrauen und zuwarten. Ich bin überzeugt, dass die Verpflichtung, bei einem Neubau eine PV-Anlage zu installieren, den Ausbau der Sonnenenergie beschleunigt. Und darum geht es. Insgesamt müssen wir ja etwas ambitionierter und schneller vorankommen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Was zumutbar ist, müssen wir auch verlangen und beispielsweise durch Förderprogramme unterstützen.

Auch im Hamburger Klimaschutzgesetz, das als Entwurf vom Senat verabschiedet wurde, gibt es eine Verpflichtung, Photovoltaik-Anlagen zu installieren. Ist das nun schon eine Art Trend?

Klimaschutz heißt der Trend. Und das ist keine Modeerscheinung wie der Begriff „Trend“ nahelegt, sondern eine schiere Notwendigkeit. Es geht darum, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und für nachfolgende Generationen zu sichern. Uns läuft die Zeit davon. Es ist naheliegend, das Tempo zum Beispiel durch eine Photovoltaik-Pflicht anzuziehen.

Warum kommt das jetzt in dieser konkreten Form auf Ebene der Länder und nicht schon früher?

Möglicherwiese, weil sich die Einsicht durchsetzt, dass wir diese Dinge in einem größeren Zuständigkeitsbereich regeln müssen, um voranzukommen. Kommunale Regelungen werden auch versucht, und das begrüße ich ausdrücklich. Aber der Wirkungsbereich ist entsprechend eingeschränkt. Wenn Waiblingen und Tübingen eine Photovoltaik-Pflicht für Neubauten einführen, ist das gut. Aber Waiblingen und Tübingen sind nur zwei Gemeinden von über 1000 in Baden-Württemberg.

Baden-Württemberg hat bereits Erfahrung mit Nutzungspflichten von erneuerbaren Energien. Eingeführt hatte das die CDU. Sie haben es weiter ausgebaut. Kritiker wenden jedoch ein, diese Verpflichtung halte Hauseigentümer davon ab, ihre Heizungen zu erneuern. Können Sie auf Landesebene mit der Erneuerungsquote und dem Einsatz Erneuerbarer zufrieden sein?

Sie sprechen unser Erneuerbares-Wärme-Gesetz, das EWärmeG, an. Die Kritik daran ist so alt wie das Gesetz selbst, und sie wird von einer starken Lobby immer wieder erneuert. Aber sie hat sich nicht bewahrheitet. Ganz sachlich betrachtet, ist es doch so: Wenn eine Heizung erneuert werden muss, dann wird sie auch erneuert, weil es sonst weder warmes Wasser noch ein warmes Wohnzimmer gibt. Wenn das so ist, dann sorgen wir mit dem EWärmeG dafür, dass diese Heizung nicht einfach nur nach Schema F erneuert wird, sondern dass sie einen Nachhaltigkeitsfaktor bekommt. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien zu mindestens 15 Prozent, durch Dämmung, um die Energieeffizienz zu erhöhen, oder durch die Installation von PV oder Solarthermie. Es gibt eine ganze Reihe an Erfüllungsoptionen im EWärmeG. Wenn erneuert wird, wird also einigermaßen vernünftig erneuert. Und selbst wenn der Tausch der alten Anlage durch eine nochmalige Reparatur um zwei oder drei Jahre aufgeschoben würde – was eine unbewiesene Behauptung ist: Unterm Strich ist eine Heizungsanlage nach EWärmeG ein Gewinn für das Klima. Und darum geht es uns. Dass das EWärmeG diesen positiven Effekt tatsächlich hat, haben wir im Übrigen durch eine Evaluation bestätigt bekommen.

Wie lässt sich das auf die geplante PV-Pflicht übertragen?

Beide Verpflichtungen betreffen die Nutzung erneuerbarer Energien und dienen dem Klimaschutz. Das ist die Gemeinsamkeit. Aber ansonsten hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Das EWärmeG betrifft die Wärmeerzeugung und -effizienz. Die Photovoltaik-Pflicht die Stromerzeugung. Und die Rahmenbedingungen für beide ordnungsrechtlichen Maßnahmen sind ebenfalls völlig unterschiedlich.

Noch einmal kritisch nachgefragt: Photovoltaik lohnt sich. Jetzt starten Sie eine Diskussion zur verpflichtenden Nutzung. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von anderen Baustellen. So kommt der Mieterstrom nicht voran. Wäre es nicht besser, sich auf diese Themen zu konzentrieren und das EEG zu entschlacken als eine Pflicht-Debatte zu führen?

Erstmal möchte ich das tun, was ich in meiner Zuständigkeit regeln kann. Und das ist eine Photovoltaik-Pflicht. Mieterstrom ist ein wichtiges Thema, um das wir uns kümmern. Das EEG zu entschlacken ist mir ebenfalls ein wichtiges Anliegen. Aber das kann nur der Bund machen. Von mir stammt der Vorschlag, die EEG-Umlage abzuschaffen und die Stromsteuer auf ein Minimum zu reduzieren. Dadurch bekämen wir den nötigen Spielraum, um einen vernünftigen CO2-Preis einzuführen. Der wiederum würde erneuerbare Wärme und erneuerbaren Strom im Wettbewerb attraktiver machen. Parallel dazu arbeiten wir selbstverständlich auch daran, den Ausbau der Windkraft wieder anzukurbeln durch verschiedene Ideen und Vorschläge. Der Ausbau der Wärmenetze ist mir wichtig, Kraft-Wärme-Kopplung und nicht zu vergessen der Ausbau der großen Stromnetze. Der Umbau unseres Energiesystems ist sehr komplex. Es sind außerdem sehr viele daran beteiligt und noch mehr davon betroffen. Am Ende ist entscheidend, ob uns der Maßnahmen-Mix gelingt. Ich denke, dass die Photovoltaik-Pflicht Teil dieses Mixes sein sollte.

Wo würden Sie auf Bundesebene gern noch ansetzen, um die Photovoltaik und auch andere erneuerbare Energien weiter voranzutreiben?

Ganz generell: Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien endlich wieder als Chance begreifen und nicht unter dem Aspekt der Belastung diskutieren. Da ist ein Zungenschlag reingekommen, der mich immer öfter sehr verwundert und auch ärgert. Die Erneuerbaren bieten uns die Chance auf eine langfristige sichere und saubere Energieversorgung. Das ist der Grund für die Energiewende. Das muss uns etwas wert sein. Und damit meine ich, dass jede und jeder Einzelne sich bewusst machen muss, dass unser Wohlstand von Energie abhängt, von Strom und von Wärme. Es gerät mir zuweilen etwas in Vergessenheit, dass Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt, sondern erzeugt werden muss. Es sei denn, wir wollen die Renaissance der Atomkraft oder den Ruin des Klimas und der Erde mit Kohlekraftwerken. Wer das will, sollte es bitte ehrlich sagen – ich will es nicht.

Um auf ihre Frage zu antworten: Die Bundesregierung muss alles tun, um den Ausbau der Erneuerbaren anzukurbeln. Und sie muss alles unterlassen, um ihn zu bremsen. Stichwort: Mindestabstände für Windkraftanlagen zur Wohnbebauung.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Der dringendste Handlungsbedarf besteht derzeit bei der Windkraft, keine Frage. Und wir benötigen einen CO2-Preis, der die Energienutzung lenkt – weg von Kohle und Atom, hin zu regenerativen, sicheren und sauberen Quellen.
Wie optimistisch sind Sie, dass sich hier noch etwas bewegen lässt?
Die Energiewende zum Erfolg zu bringen, ist keine Frage des Optimismus, sondern eine Frage der Entschlossenheit. Ich bin nach wie vor sehr entschlossen.

19.12.2019 | Solarthemen | solarserver.de
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