Martin Maslaton: „Ich will nicht schweigen“

Portrait Prof. Dr. Martin MaslatonFoto: Maslaton/CJH EF-A
Prof. Dr. Martin Maslaton
Der Jurist und Energierechtler Professor Dr. Martin Maslaton hat sich nach der Mitwahl des Ministerpräsidenten in Thüringen durch die faschistische AfD mit einer persönlichen politischen Botschaft („Ich will nicht schweigen“) an die Bezieher seines Newsletters gewandt. Er interpretierte darin den von der AfD organisierten Widerstand gegen Windkraft als Teil einer strate­gischen Zersetzung von Parlamenten, Behörden und Justiz durch die „AfD um Höcke und Konsorten“. Solarthemen-Chefredakteur Guido Bröer sprach mit ihm über Engagement gegen Rechtspopulismus und für die Energiewende.

Solarthemen: Statt der gewohnten Informationen zu interessanten Gerichtsverfahren und Gesetzesänderungen im Bereich der Windkraft und anderer erneuerbarer Energien bekamen Empfänger des Newsletters ihrer Kanzlei vorige Woche einen sehr persönlichen Appell gegen die AfD von Ihnen geschickt. Im professionellen Kontext – noch dazu eines Juristen – ist das zumindest ungewöhnlich.

Martin Maslaton: Diese Mail ist wohlüberlegt. Rein rational habe ich natürlich ein bisschen Sorge gehabt, ob ich mich damit ins Aus schieße. Immerhin bekommen inzwischen mehrere tausend Empfänger diesen Newsletter. Aber ganz im Gegenteil. Ich habe viel Zuspruch bekommen. Und man muss doch einfach sehen, dass unsere Materie politisch ist: Ob wir anfangen eine Fläche zu suchen, ob es um Exportbedingungen geht – in allen betriebswirtschaftlichen und juristischen Bereichen geht es um Politik.

Was treibt Sie als Juristen dazu, sich in ihrem beruflichen Umfeld politisch gegen Rechts zu engagieren?

Die eigentliche Motivation ist für mich eine andere: Ich komme aus der Anti-AKW-Bewegung. Ich bin in Brokdorf sozialisiert worden. Und ich weiß, dass nur die Energiewende garantiert, dass der Atomausstieg bleibt.
Ich bin nicht als Anwalt zu dem Thema gekommen. Zwar wollte ich schon immer Anwalt werden, aber in die Branche der Erneuerbaren kam ich als Klimaschützer und Anti-AKW-Mann. Deshalb ist Ihre Frage schnell beantwortet. Wenn Sie sehen, dass das, was wir in den letzten 30 Jahren erkämpft haben, politisch jetzt geopfert wird, dann müssen Sie dagegen aufstehen – egal ob Sie Anwalt, Arzt oder etwas anderes sind.

„Ich habe ein schlechtes Gefühl“

Passt denn Energiepolitik überhaupt noch in dieses klassische Rechts-Links-Schema? Die Unbestreitbarkeit des Klimawandels ist doch inzwischen – von der AfD abgesehen – ein breiter parteiübergreifender Konsens.

Das zweifele ich an – leider. Die Fragen des Klimaschutzes und des Klimawandels sind zwar nicht nur ein Thema der jungen Generation. Man kann aber sagen, dass es eine Menge Menschen auch in der CDU gibt, denen die ganze Richtung nicht passt – und dazu gehört auch die Energiewende. Und dann muss man mal nüchtern sehen: Wenn morgen eine Frau Merkel weg ist, dann hoffen wir zwar alle auf Schwarz-Grün. Aber ist es ausgeschlossen, dass da plötzlich Schwarz-Gelb-Braun draus wird? Ich bin mir nicht mehr sicher! Wir hatten vor der AfD einen hohen Anteil Nichtwähler. Alle Kalkulationen sind immer davon ausgegangen, dass diese 20 oder 25 Prozent Nichtwähler bleiben. Was, wenn die jetzt braun aktiviert sind?
Ich denke, dass die Fragen der Klimapolitik in modernen und fortschrittlichen Menschen fest verankert sind. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl.

Ich frage mich manchmal, ob die Rechten denn überhaupt eine richtige energiepolitische Agenda haben. Ist nicht das Thema für sie nur ein fast beliebiges Mittel zu dem Zweck, Verunsicherung zu streuen und Chaos zu stiften in der demokratischen Landschaft?

Rein sachlich haben sie kein Positiv-Konzept. Sie haben ein Negativ-Konzept: Anti-Wind. Es ist von ganz viel schlechter Information geprägt. Wenn man versucht, bei ihnen überhaupt so etwas wie eine positive Energievision zu erkennen, dann ist dies die Kernkraft. Betriebswirtschaftlich wird das keiner in Deutschland mehr machen, weil es sich wirklich nicht mehr rechnet und weil die Abfallproblematik nicht geklärt werden wird. Da finden sich dann bei AfDlern tolle Hinweise, wie zum Beispiel auf den schnellen Brüter mit dem Traum von einem geschlossenen Brennstoffkreislauf. Aber so weit kommen die eigentlich gar nicht. Es ist keine belastbare alternative Politik.

Anti-Windkraft-Koalition aus AfD, CDU, FDP

Welche Rolle hat denn der gemeinsame Anti-Windkraft-Protest von AfD, FDP und CDU in Thüringen für das gespielt, was dort jüngst bei der Wahl des Ministerpräsidenten passiert ist?

Das ist eine gute Frage, die ich aus gegebenem Anlass ziemlich präzise beantworten kann. Ich kann verbindlich und belegbar sagen, dass es zu diesem Thema Gespräche zwischen CDU, FDP- und AfD-Politikern gegeben hat. Und zwar ziemlich genau schon vor dem 8. August 2019. Herr Mohring (CDU) hat Veranstaltungen gegen Windenergie gemacht, und dabei tauchten Bürgerinitiativen auf, wo sie an den Ordnern erkennen konnten, dass es AfD-Leute sind. Herr Mohring will das nicht so gerne hören, obwohl ich es ihm persönlich gesagt habe. Darauf habe ich übrigens auch die Bundes-CDU aufmerksam gemacht – vergeblich. Und Herr Mohring hat einfach nicht mehr gemerkt, dass seine eigene Veranstaltung umgedreht wurde. Das unterstelle ich zu seinen Gunsten. Seine Damen und Herren links und rechts von ihm haben es zwar gemerkt, aber sie haben es billigend in Kauf genommen.
Bei dieser Veranstaltung zum Thema Wind wurde als Fachmann jemand eingeladen, der sich so vorstellte, dass er seit 50 Jahren Energiepolitik macht – und das in der DDR. Erwarten Sie von diesem „Sachverständigen“ fortschrittliche Auskünfte zur Windkraft? Es war handgreiflich, dass es eine AfD-Veranstaltung unter dem Deckmantel der CDU war. Und Herr Mohring hat einfach nur dumm geschaut.

Aufgreifen vorhandener Fehler

Mal anders herum gefragt: Warum eignet sich ein Thema wie der Klimawandel, bei dem unter „vernünftigen“ Menschen und mehr als 99 Prozent der Wissenschaft Einigkeit besteht, dass es Konsequenzen erfordert, warum eignet sich speziell das Windthema so gut für die Agenda der Rechten? Warum eignet es sich, um einen Keil zwischen die Demokraten zu treiben und die Wahlergebnisse der Rechten zu beflügeln?

Das ist nicht die Klimapolitik, sondern es ist das Aufgreifen durchaus vorhandener Fehler in der Energiepolitik. Der Fehler war – und da spreche ich auch selbstkritisch als Funktionär des BWE – dass man seit Anfang der 2000er Jahre den Nutzen der Windenergie für das Klima sträflich vernachlässigt und nicht mehr regelmäßig betont hat. Die Folge ist, dass die Verfahren, die nötig sind, um Windkraftanlagen zu bauen, überhaupt nicht mehr bekannt sind. Die Bevölkerung hat bei dem Ganzen den Eindruck, dann kommt die Windkraft und dann stellen die da einfach was hin. In immissionsschutzrechlichen Verfahren gibt es aber Öffentlichkeitstermine. Ich selber habe bis auf den heutigen Tag diese Öffentlichkeitstermine immer sehr, sehr ernst genommen, um mit den Leuten zu sprechen. Aber viele dieser Öffentlichkeitstermine wurden als Aktenstück destruktiv runtergebetet. Und dann entsteht Protestpotenzial. Dieses Protestpotenzial aufzugreifen, ist eine klassische faschistoide Technik.
Vor Ort ist ein Protestpotenzial entstanden. Das ist eine klassische faschistoide Feldstruktur. Da setzen sich faschistoide Parteien drauf und sagen: „Wir kommen jetzt; wir helfen Euch!“ Genau wie Donald Trump den Rednecks in Arizona hilft mit „Amerika first“. Das sind Instinktebenen, die genau wegen ihrer Unkontrollierbarkeit brandgefährlich sind.

Rechtsstaatlich schwierig

Als Lösung, um die Menschen stärker zu beteiligen, wird jetzt ein Windbürgergeld diskutiert. Einige Bundesländer haben schon entsprechende Beteiligungsgesetze. Ist so was von den Demagogen nicht ganz einfach umzudrehen nach dem Motto: „Jetzt wollen die da oben euch kaufen“?

Das können Sie aber laut sagen! Sie wissen ja wahrscheinlich, dass wir in unserem Hause die Verfassungsbeschwerde gegen das Bürgerbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern vertreten. Deshalb weiß ich da wirklich auf Sachverständigenebene Bescheid. Die Vorstellung, eine Kommune erhält Geld, und die Leute „geben“ dann im Gegenzug Akzeptanz, ist wirklich dummes Zeug. Ich sage das ganz deutlich in Richtung aller Parteien: Das ist ein ganz, ganz schwerer Fehler. Was sie gerade angesprochen haben, ist mir schon mit Verve entgegengeworfen worden: „Du willst uns doch jetzt nur bestechen!“
Außerdem ist es rechtsstaatlich schwierig zu bewältigen: Da gibt es etwa diese Radien, zum Beispiel fünf Kilometer. Nun bin ich ein Bürger, der fünf Kilometer und einen Meter weg wohnt, sehe die Anlage, kriege aber nichts. Ein anderer hat einen Wohnsitz innerhalb des Radius, ist aber nie da, weil er eigentlich in München lebt. Der kriegt trotzdem 1000 Euro – oder wie soll man sich das vorstellen? Das ist wirklich handwerklich unausgegorenes und dummes Zeug.

Öffentlichkeitsbeteiligung ernst nehmen!

Zur Akzeptanzdiskussion möchte ich einen Schritt zurückgehen und den historischen Gesetzgeber des Bundesimmissionsschutzgesetzes sowie den 4. und den 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hervorheben. Die betonen stets, dass die vorgesehenen Verfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung dafür da sind – Zitat – „konfliktbereinigend und konfliktausgleichend zu wirken“. Und zwar auf der Vorhabenebene und auf der Planungsebene. Das ist extrem vernachlässigt worden und deshalb muss man nachsteuern. Aber man braucht dafür keine neuen Gesetze. Man sollte gefälligst diese Termine entsprechend ernst nehmen.
Ich setze mich zum Beispiel immer dafür ein, dass man die Termine so legt, dass diejenigen die dort wohnen, auch die Berufstätigen, Zeit haben, an ihnen teilzunehmen. Dann haben Sie nämlich auf einmal auch Bürger da, die dafür sind. Die Bürger, die dafür sind, häufig Jüngere, die arbeiten nämlich, wenn Behörden diese Öffentlichkeitstermine typischerweise auf den frühen Vormittag legen. Das klingt jetzt nach einer Kleinigkeit. Aber ich will damit sagen: Akzeptanz schaffe ich nur, wenn ich für das Projekt überzeuge.

Also stimmt die alte These in Ihren Augen gar nicht, dass Energieprojekte unter finanzieller Beteiligung von Bürgern akzeptiertere Energieprojekte sind?

Doch. Vorsicht! Das gilt, wenn die Bürger selbst im Projekt beteiligt sind. Wir haben nie ein Akzeptanzproblem dort, wo ausreichend viele Bürger im Projekt beteiligt sind. Das hat es in der Windbranche und ebenso bei den Freiland-Photovoltaikanlagen immer schon gegeben. Das Problem ist, wie ich die Nichtengagierten mitnehmen kann. Und da meine ich, wie gesagt, dass dafür in den vorgesehenen Verfahrensstadien gesorgt werden muss.

Auch im Osten viele Bürgerwindparks

Da gibt es aber eine Ost-West-Problematik. Die Tradition der Bürgerenergieprojekte scheint im Westen stärker verwurzelt. Es ist ja auch die Frage, wer überhaupt vor Ort das Geld hat, um in solche Projekte zu investieren.

Da gebe ich ihnen Recht. Aber wir haben auch hier im Osten viele Bürgerwindparks und viele Bürger, die daran beteiligt sind. Ich glaube wirklich, der Fehler wird vorher gemacht. Wenn man in einem Beteiligungstermin den genauen Standort einer Anlage diskutiert und den Vorschlag macht, diese vielleicht sogar durch eine andere zu ersetzen, dann kann man das zu Protokoll geben und es ist für die Behörde verbindlich. Das schafft dann tatsächlich Akzeptanz. Aber dass man versucht, dies jetzt mit der Gelddiskussion wegzudrücken, das ist eine Dummheit.

Hat das nicht auch mit politischem Handlungsdruck zu tun? Wenn ich mir ansehe, mit welcher Geschwindigkeit jetzt dieses Protestpotenzial instrumentalisiert wird und zu politischen Mehrheiten zumindest beiträgt, dann ist doch das Anliegen, schnelle politische Maßnahmen dagegen zu finden, berechtigt. Was empfehlen Sie stattdessen?

Ganz einfach: Ein völlig anderes Umgehen mit den Öffentlichkeitsterminen. Das eine ist der rechtliche Rahmen – der ist ja da. Zu den Öffentlichkeitsterminen laden wir alle Bürger ein. Und zwar von 16 bis 20 Uhr. Und wenn es sein muss, machen wir es eben am Samstag. Dann sind da nämlich deutlich mehr Leute. Und die Damen und Herren Schreihälse von der AfD, die als frühpensionierte Rentner um 11 Uhr kommen, sind auf einmal in der Minderheit. Das geht viel schneller als irgendein Gesetz auf den Weg zu bringen.

Versorgungssicherheit hat etwas Autoritäres

Ich will nochmal etwas ausholen. Unser Energiewirtschaftrecht stammt in seinen Grundzügen noch immer aus dem Jahr 1935. Und wer damals regiert hat, ist bekannt. Würden sie eine Linie ziehen zum Thema unseres heutigen Gesprächs oder ist der Gedanke abstrus?

Da bin ich natürlich befangen. Ich habe über das Thema Drittes Reich und Diskriminierungstatbestände promoviert. Wir finden noch immer die Struktur der sogenannten Versorgungssicherheit. Ich weise darauf hin – verstehen Sie es bitte nicht falsch – dass die Struktur der Versorgungssicherheit ein „kriegswichtiges“ Merkmal war.
Der Einwand stimmt, dass wir heute nicht mehr da stehen, wo das Energiewirtschaftsrecht seine historischen Wurzeln hat. Trotzdem hat die Struktur der „Versorgungssicherheit“ für mich einen sehr schlechten Geschmack. Sie ist nämlich typischerweise zentralistisch. Und sie ist autoritär. Sozialwissenschaftler könnten Ihnen das leicht belegen. Versorgungssicherheit als eine Grundfeste des Staates in der überkommenen Struktur hat etwas Autoritäres, um Dezentralität zu verhindern. Dezentralität ist für mich keine Gefährdung der Versorgungssicherheit, sondern eine neue Energiewirtschaft. Diese Hintergründe die gibt es sehr wohl – objektiv, wenngleich nicht intendiert. Man kann sagen: Das Tatbestandsmerkmal der Versorgungssicherheit stammt aus einer zentralistischen und damals als kriegswichtig angenommenen Wirtschaftsstruktur.

Dezentral ist sicherer

Ich drehe das Argument mal um: Versorgungs-Unsicherheit würde aber doch wiederum rechten Strömungen in die Hände spielen.

Ja durchaus. Aber der Umkehrschluss stimmt ja nicht. Mit dezentraler Versorgung erreichen Sie wahrscheinlich eine viel größere Versorgungssicherheit als heute. Und das ist genau der gesellschaftliche Anspruch. An diesen beiden Merkmalen – dezentrale Versorgungssicherheit oder Versorgungssicherheit als Totschlagargument – daran zeigt sich eine neue gesellschaftliche Diskussion und Dimension.

Prof. Dr. Martin Maslaton ist als Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit seiner Maslaton Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Leipzig seit den 1990er Jahren spezialisiert auf das Recht der erneuerbaren Energien. Als Hochschullehrer unterrichtet er an der TU Chemnitz/TU Bergakademie Freiberg. Maslaton engagiert sich in verschiedenen Branchenverbänden der erneuerbaren Energien. Unter anderem ist er in mehreren Funktionen im Bundesverband Windenergie (BWE) tätig.

20.2.2020 | Interview: Guido Bröer, Solarthemen | solarserver.de
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