Netzeinspeisung: Was wird aus rüstigen PV-Oldtimern?

Alte PhotovoltaikanlageFoto: Guido Bröer
Am 1. Januar 2021 fallen 18.000 Photovoltaik-Anlagen, die bis 2000 ans Netz gingen, aus der EEG-Vergütung. Für eine weitere Netzeinspeisung ihrer Strommengen gibt es bislang keine legale und zugleich für die Betreiber attraktive Option. Der Gesetzgeber ist gefragt.

Das Schreckgespenst hat einen Namen: Es heißt „wilde Netzeinspeisung“. Es geistert durch immer mehr Debatten, die sich mit der Zukunft älterer Photovoltaik-Anlagen befassen, die ab dem 1. Januar 2021 Jahr für Jahr aus der EEG-Vergütung fallen werden. Wer seine Oldtimer-Anlage einfach über Silvester 2020 hinaus als Volleinspeisungsanlage am Netz ließe oder wer sie auf Eigenverbrauch umrüstete und überschüssige Strommengen ins Netz schöbe, der würde zum „wilden Einspeiser“ und begäbe sich damit in die Illegalität. Die Juristen sind sich inzwischen weitgehend einig: Das Gespenst der „wilden Einspeisung“ ist real. Heraufbeschworen hat es der Gesetzgeber, indem er für Kleinanlagen, die aus dem EEG fallen, bislang keinen praktikablen Rechtsrahmen geschaffen hat. Er hat nun noch gut neun Monate Zeit, um den Spuk zu beenden.

In Berlin rührt sich was

In der Bundeshauptstadt hat man das Problem erkannt. Im Februar versammelte das Bundeswirtschaftsministerium eine Expertenrunde, um mögliche Lösungen für die Netzeinspeisung zu diskutieren. Und auch die grüne Bundestagsfraktion informierte sich in einem eigenen Fachgespräch.

„Klar ist: Wir wollen die Megawatt an alten Anlagen im Netz halten“, sagte BMWi-Referatsleiterin Karin Freier den Solarthemen. Bislang habe das Ministerium zwar noch keine klare Präferenz, mit welchem der diskutierten Modelle für Netzeinspeisung dies geschehen solle. Mit der von Bundeswirtschaftsminister Altmaier für dieses Jahr angekündigten EEG-Novelle wolle und müsse man dieses Problem allerdings lösen, so Freier.

Nach dem aktuellen EEG gibt es nämlich nur eine einzige legale Option für Altanlagenbetreiber, um – mit oder ohne Eigenverbrauch – weiterhin Strom ins öffentliche Netz einzuspeisen. Sie müssten sich einen Direktvermarkter suchen und dafür eine viertelstundengenaue Lastgangmessung der Netzeinspeisung technisch realisieren. Für die Betreiber der kleinen Anlagen aus dem letzten Jahrtausend ist dies nicht realistisch. Schon deshalb, weil die aufwändige Mess- und Fernsteuertechnik angesichts der geringen Strommengen derzeit zu teuer wäre. Eine EEG-Vergütung wird sowieso nicht mehr garantiert.

Als praktisches Problem kommt hinzu, dass die Betreiber nach aktueller Rechtslage selbst aktiv werden und dem Netzbetreiber ihren Wechsel in die „sonstige“ Direktvermarktung mitteilen müssten.

UBA-Gutachten schafft Klarheit

Bestätigt hat dies jüngst ein Kurzgutachten der Stiftung Umweltenergierecht und des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) im Auftrag des Umweltbundesamtes: „Findet kein Wechsel in die sonstige Direktvermarktung statt, geht das Recht auf Netzeinspeisung verloren. Falls Anlagenbetreiber trotzdem ungeregelt einspeisen, kann der Netzbetreiber unter Umständen allgemeine zivilrechtliche Schadensersatz- oder Unterlassungsansprüche geltend machen.“ Er könnte die PV-Anlage auch schlicht auf Kosten ihres Besitzers abklemmen lassen.

Susanne Jung, Geschäftsführerin des Solarenergie-Fördervereins Deutsch­­land (SFV) erinnert daran, dass es sich bei den PV-Pionieren aus dem letzten Jahrtausend inzwischen um eine Rentnerklientel handelt: „Das ist eine Zielgruppe Ü60. Man kann sie allenfalls dazu bringen, ihre Anlage für den Eigenverbrauch umzurüsten. Viele wollen aber lieber gar nichts tun und einfach weiter sauberen Strom einspeisen.“

Jung kann dazu auf Ergebnisse einer Umfrage verweisen, die der SFV unter Altanlagenbetreibern gemacht hat. Sie befürchtet deshalb, dass ohne eine einfache und wirtschaftlich attraktive Anschlussförderung ein Großteil der Anlagen stillgelegt würde, die ab Anfang kommenden Jahres ihre EEG-Vergütung und damit die Lizenz zur unkomplizierten Netzeinspeisung verlieren werden.

Erste Charge: 18.100 Anlagen

Laut dem UBA-Gutachten geht es im Jahr 2021 zunächst um 18.100 Anlagen mit 71 Megawatt (MW), die 50 Gigawattstunden (GWh) Solarstrom produzieren können. In den kommenden fünf Jahren fallen 176.600 weitere Anlagen mit 1930 MW aus der Vergütung. So wächst die Strommenge, um die es geht, bis 2026 auf jährlich rund 1700 Gigawattstunden.

Dass die Direktvermarktung für die kleinen Anlagen nicht kostendeckend wäre, bestätigt auch das UBA-Gutachten. Die Direktvermarktung könne zwar mit zunehmender Digitalisierung auch für kleinere Anlagen kostengünstiger werden. Solange dies jedoch nicht absehbar sei, empfehlen die UBA-Gutachter dem Gesetzgeber für die Volleinspeiseanlagen eine „Durchleitung des Marktwertes als vereinfachte Abnahmeregelung“ zu ermöglichen. Die Netzbetreiber, die den eingespeisten Strom an der Börse verkaufen müssen, würden also den durchschnittlichen monatlichen Markt­wert für Photovoltaikstrom an die Anlagenbetreiber auszahlen. Die Gutachter rechnen für die kommenden Jahre mit Marktwerten von rund 4,5 Cent pro Kilowattstunde bei Netzeinspeisung.

Das gleiche Modell schlagen sie auch für Altanlagen vor, die auf Eigenverbrauch umgerüstet worden seien. Obwohl nach dem Ende der EEG-Vergütung gemäß aktueller Gesetzeslage auch Kleinanlagen bis 10 kW die 40-prozentige EEG-Umlage für den Eigenverbrauch schulden, lasse sich mit selbstverbrauchten Kilowattstunden noch eine ordentliche Einsparrendite erzielen. Daher sei es denkbar, Eigenverbraucher mit einem Abschlag an den Vermarktungskosten des Netzbetreibers zu beteiligen.

Ideen der Bundesnetzagentur

In eine ähnliche Richtung gehen auch Überlegungen der Bundesnetzagentur (BNetzA). Allerdings hat sich das Team um BNetzA-Referatsleiter Peter Stratmann gleich ein ganzes Trio von Optionen ausgedacht, das es jetzt unter dem Titel „Prosumer Modell“ in die Politik einzubringen versucht. Damit, so erläuterte Stratmann den Solarthemen in der vergangenen Woche in Bonn, wolle er nicht nur einen legalen und wirtschaftlichen Weiterbetrieb von „ausgeförderten“ EEGAnlagen ermöglichen, sondern auch eine neue Basis für alle neu installierten Anlagen bis zu einer Größe von 100 kW für die Netzeinspeisung schaffen.

Das Prosumer-Modell à la Bundesnetzagentur eröffnet privaten Solaranlagenbetreibern drei Optionen. Zwischen denen sollen sie frei wählen und auch jederzeit wechseln können.

Modell 1, die „Markt-Option“, entspricht dabei auf der Erzeugungsseite der heutigen „sonstigen Direktvermarktung“. Allerdings soll dies auch für die Verbrauchsseite des Prosumers gelten. Dieser verbindet sich über einen Direktvermarkter mit dem Strommarkt. Verbrauch und Erzeugung werden viertelstundengenau gemessen. Idealerweise steuert er bzw. per Fernsteuerung der Direktvermarkter seine Erzeugung und seinen Verbrauch, um damit ein wirtschaftlich und dabei auch ökologisch optimales Ergebnis zu erzielen.

Modell 2, die „Netzbetreiber-Option“, ist das Modell für Volleinspeiser. Es soll nach Ende der EEG-Vergütung automatisch greifen, sofern der Anlagenbetreiber nichts anderes entscheidet. Versehentliche „wilde“ Einspeisung wäre also unmöglich. An den Anlagen ist dafür keine technische Umrüstung erforderlich. Sie würden künftig, ähnlich wie von den UBA-Gutachtern vorgeschlagen, mit dem Marktwert für Photovoltaik bei Netzeinspeisung entlohnt. Im Gegensatz zu den UBA-Gutachtern sieht die BNetzA allerdings einen Abschlag von 20 Prozent für die Vermarktungskosten des Netzbetreibers vor. Sie spricht von einer „förderfreien Auffangeinspeisung mit Wertersatz“. Auch für neue Anlagen möchte Stratmann die Volleinspeisung wieder attraktiv machen, indem es hierfür wie bisher eine kostendeckende Einspeisevergütung gibt.

Alles aus einer Hand

Modell 3, die „Lieferanten-Option“ (siehe Grafik), ist eine Variante des zweiten Modells. Dabei hat der Prosumer aber nur mit seinem Stromlieferanten zu tun. Die BNetzA möchte dem Prosumer damit die Chance geben, einen physikalischen Eigenverbrauch weiterhin zu erleben, ohne sich in das Abenteuer Direktvermarktung stürzen zu müssen. Die Messtechnik kommt für dieses Modell ohne Smartmeter aus. Wie bisher bei PV-Eigenverbrauchsanlagen wird die Jahresproduktion der Module mit einem Erzeugungszähler gemessen. Der Stromaustausch mit dem Netzbetreiber läuft über einen Zweirichtungszähler. So wird der Eigenverbrauch als Differenz zwischen Stromproduktion auf dem Dach und Einspeisung dargestellt.

Im Unterschied zum heute üblichen Modell soll die Abrechnung jedoch in beiden Richtungen über den Stromversorger laufen. Dieser erhält vom Netzbetreiber die kostendeckende Vergütung bei neuen und den „Wertersatz“ bei ausgeförderten Anlagen für sämtlichen produzierten Strom. Vom Prosumer erhält er das Geld für den Reststrombezug. Doch jetzt kommt der Clou. Dafür, dass der Lieferant die eigenverbrauchten Strommengen in seinem Bilanzkreis ausgleicht, stellt der Stromversorger dem Prosumer einen monatlichen Basispreis proportional zur Leistung der PV-Anlage in Rechnung. Diese Pauschale beziffert Peter Stratmann in seiner Modellrechnung auf 14,60 Euro pro kW und Monat. Bei einer 4-kW-Anlage kommen auf diese Weise rund 700 Euro pro Jahr als Grundgebühr für das Recht auf Einspeisung und Eigenverbrauch zusammen.

Kein Anreiz für Heimspeicher

Dass dieses Modell gewöhnungsbedürftig ist, ist Stratmann so klar, wie er mit Gegenwind aus der Solarszene rechnet. Denn für PV-Heimspeicher ist in seinen Modellen kein Platz. Diese hält der BNetzA-Mann aus der Perspektive des Stromnetzes für einen mindestens unnötigen, eher sogar schädlichen Fetisch der PV-Branche: „Speicher sind eher ein Problem als eine Lösung, weil sie die Prognostizierbarkeit des Prosumerverhaltens für den Netzbetreiber noch weiter verschlechtern.“ Ferner haben Heimspeicher in Stratmanns Augen keinerlei Potenzial zur Netzentlastung. Vielmehr sorgten sie dafür, dass wegen ihrer Unberechenbarkeit mehr graue Regelenergie eingekauft werden müsse. Dass Besitzer ausgeförderter PV-Anlagen ihren Eigenverbrauch durch die Installation eines Speichers optimieren, möchte Stratmann deshalb möglichst vermeiden.

Ein Anreiz, die eigene PV-Anlage durch einen Speicher zu ergänzen, wäre deshalb im Prosumer-Modell allenfalls in der Direktvermarktungsoption gegeben. In der Netzbetreiber-Option und der Lieferanten-Option wäre ein eigener Speicher für den Prosumer nur ein teures Hobby ohne wirtschaftlichen Nutzen. In der Lieferanten-Option wirke allerdings das Netz für den Prosumer wie ein unbegrenzter Speicher, so Stratmann.

Europäisches Recht

Wie diese Vorschläge mit Blick auf das EU-Recht zu deuten sind, darin gehen die Meinungen auseinander. So bezieht Stratmann die prosumerfreundlichen Vorgaben der von den Mitgliedsländern noch umzusetzenden Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU lediglich auf sogenannte „aktive Prosumer“. Diese finden sich in seinem Modell in der Direktvermarktungsoption. Inwieweit auch alle anderen – im Umkehrschluss „inaktiven“ – Prosumer mit Anlagen bis 30 kW zum Beispiel von der EEG-Umlage befreit werden könnten, steht für ihn noch zur Diskussion.

In den Augen von Markus Kahles von der Stiftung Umweltenergierecht verfolgt Europa allerdings andere Ziele: „Das neue EU-Recht bringt mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie eine Verschiebung in der deutschen Debatte um die sogenannte „Entsolidarisierung“ der Eigenversorger. Nicht die Erneuerbare-Eigenversorger müssen sich und ihre rechtliche Stellung verteidigen, sondern der deutsche Gesetzgeber muss sich rechtfertigen, wenn er die Eigenversorger nicht ausreichend unterstützt.“

Auch bei einer etwaigen Auffanglösung für volleinspeisende EEG-Altanlagen wird die EU-Kommission genau hinschauen. An einer Förderung für bereits „ausgeförderte“ Anlagen könnte sie Anstoß nehmen. Ein Ausgleich für die Betriebskosten dürfte jedoch ok sein, solange dieser sich etwa auf dem Niveau des Marktwertes von PV-Strom bewege, meinen sowohl die UBA-Gutachter als auch die BNetzA.

Dies reiche allerdings nicht aus, um die Anlagen am Netz zu halten, fürchten der SFV und die Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS). Sie wollen dies in Kürze mit einem eigenen Gutachten belegen. Die meisten Anlagen aus den 1990er Jahren liefen zwar noch gut und mit weniger Degradation der Modulleistung, als einst erwartet worden sei, hat der SFV durch Recherchen in seiner Betreiberdatenbank herausgefunden. Selbst beim Weiterbetrieb in Volleinspeisung sei aber durch Wartung, Haftpflicht und Zählergebühr mit 7 bis 7,5 Cent pro Kilowattstunde zu rechnen, also deutlich über dem Marktwert, berichtet Susanne Jung. Und auch bei einer Umrüstung auf Eigenverbrauch entstünden selbst ohne Speicher Umrüstkosten von 800 bis 1000 Euro. Denn der Zählerschrank verliere dadurch seinen Bestandsschutz.

DGS berät Altanlagenbesitzer

Konkrete und kostenlose Beratung für Altanlagenbetreiber bietet die DGS jetzt in ihrem Projekt PVLOTSE, das vom Umweltbundesamt gefördert wird. Jeder betroffene Anlagenbesitzer ist eingeladen, unter der Berliner Nummer 030 23326210 nach Rat zu fragen. Außerdem sind die DGS-Berater per E-Mail (info@pvlotse.de) oder über die Website www.pvlotse.de zu erreichen.

19.3.2020 | Autor: Guido Bröer, Solarthemen | solarserver.de
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