Aufgabenliste Windenergie des BMWi parkt auf Wiedervorlage

Windkraftanlage (Enercon) im GegenlichtFoto: Guido Bröer
Den stockenden Windkraftausbau in Deutschland sollte nach dem Wind-Krisengipfel im vergangenen Jahr eine Aufgabenliste des Bundeswirtschaftsministeriums wieder in Schwung bringen. Doch bislang ist noch keiner der 18 von Wirtschaftsminister Altmaier formulierten Punk­­te realisiert worden.

Im Gegenteil streitet die Koalition trotz der Aufgabenliste über Mindestabstände für Windenergie-Anlagen von Wohnbebauung und über den 52-GW-Solardeckel.

Wenn hierzulande jemand sagen kann, wie viele neue Windturbinen an Land in Betrieb sind, dann ist es Jürgen Quentin. Deshalb hielt der Datenexperte der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) Anfang April den (verbalen) Ball auch bewusst ganz, ganz flach. Seine Auswertung des Marktstammdatenregisters hatte für das erste Quartal dieses Jahres beim Windkraftausbau an Land immerhin eine Steigerung um den Faktor 2,5 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erbracht. Aus der Bruttostromleistung von 348 MW gleich eine Trendwende ablesen zu wollen, dafür sei es noch viel zu früh, warnte Quentin eindringlich: „Die Zahl der neuen Windturbinen liegt weiterhin weit unter der der Jahre 2015 bis 2018, als im Durchschnitt 315 Anlagen mit über 900 MW im ersten Quartal neu in Betrieb gingen.“

Was glückliche Zeiten für die heimische Windbranche gewesen sind, die so schnell nicht wiederkommen dürften. Für dieses Jahr erwartet FA-Wind-Fachmann Quentin einen Bruttozubau von rund 1500 MW, mehr nicht. Dabei sind mögliche Folgen der Corona-Krise noch gar nicht berücksichtigt. Um die von der Bundesregierung für 2030 ausgerufenen Klimaziele zu erreichen, wären aber mindestens 4000 MW netto jedes Jahr notwendig.

Zubau auf Rekord-Tiefstand

Fakt ist, dass seit Einführung des Ausschreibungssystems für die Förderung neuer Windturbinen die heimische Windwelt auf dem Kopf steht. Konnten sich die Windkraft-Protagonisten im Übergangsjahr 2017 noch über einen Rekordausbau von 5330 Megawatt brutto freuen, so gab es bereits zwei Jahre später den Riesen-Katzenjammer: Der Zubau für 2019 fiel mit 1078 MW brutto so niedrig aus wie seit 20 Jahren nicht. Das ist eine eigentliche unverständliche Entwicklung, da die Politik infolge der Nuklearkata­strophe in Fukushima 2011 offiziell die Energiewende ausgerufen hat.

Dieser dramatische Einbruch war bereits im Verlaufe des letzten Jahres für die Windindustrie und ihre Verbände offensichtlich gewesen. Nicht zuletzt wegen der Quentin’schen Auswertungen des Marktstammdatenregisters. Deshalb drangen sie schon während der Sommermonate auf einen Krisen-Gipfel im Bundeskanzleramt. Zu Zeiten der damals medial megapräsenten Fridays-for-Future-Bewegung war das eine sicherlich nicht ungeschickte Forderung.

Krisengipfel

Zu diesem Treffen kam es dann auch, und zwar am 5. September 2019. Zwar nicht bei Kanzlerin Angela Merkel, aber bei dem für Energiefragen zuständigen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Am Ende des zweistündigen Treffens, an dem auch mehrere Anti-Windenergie-Gruppierungen teilnehmen durften, sagte Altmaier der Branche ein Maßnahmenpaket zu. Mit dem sollte die Baisse beim Windkraftausbau überwunden werden.

Etwas später als vereinbart präsentierte der CDU-Minister dann eine „Aufgabenliste zur Schaffung von Akzeptanz und Rechtssicherheit für die Windenergie an Land“ (so der offizielle Titel): 18 Punkte hatte das Altmaier-Ressort dabei aufgelistet, damit die Windkraft wieder an Fahrt gewinnen sollte. Dazu zählte nicht nur eine Bund-Länder-Vereinbarung zur Vereinfachung von Genehmigungsverfahren, die Verkürzung von gerichtlichen Klageinstanzen, eine neue, bundesweit einheitliche „Technische Anleitung Artenschutz“, sondern auch pauschale, bundesweit geltende Abstandsregelungen zwischen neuen Windturbinen und wie auch immer definierten Wohnsiedlungen.

Altmaiers Aufgabenliste für die Windenergie-Branche fand in einigen Teilen durchaus Zustimmung bei den Windmüllern, hatte seine Fachabteilung doch deutliche Anleihen bei einem 10-Punkte-Plan genommen, den verschiedene Verbände der Energie- und Windbranche sowie Umweltorganisationen im Vorfeld des Krisen-Gipfels vorgestellt hatten.
Von dieser positiven Grundstimmung ist ein halbes Jahr später nichts mehr zu spüren. Profaner Grund: Von den 18 Vorschlägen ist bis heute nicht ein einziger final umgesetzt worden. „Das ist schon bitter“, resümiert der Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE), Wolfram Axthelm.

Windparks blinken noch

Selbst bei der reformierten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Kennzeichnung von Luftfahrthindernissen (AVV), mit der das nervige Dauerblinken von Windturbinen insbesondere während der Nachstunden ab Mitte nächsten Jahres beendet werden soll, kann der BWE kein Häkchen setzen. Zwar stimmte der Bundesrat, der im vergangenen Herbst den AVV-Entwurf noch einstimmig abgelehnt hatte, dem neuen Regelwerk Mitte Februar zu, rechtssicher ist die neue Verordnung aber nach wie vor noch nicht: „Wir warten händeringend auf die Veröffentlichung im Bundesanzeiger“, zeigt sich BWE-Mann Axthelm genervt.

Dafür, dass Altmaier bei der Umsetzung seiner sogenannten Aufgabenliste für die WIndenergie nach wie vor mit leeren Händen dasteht, gibt es zwei Gründe: Für gut die Hälfte der Vorschläge sind formell andere Ministerien zuständig, beispielsweise bei Naturschutzfragen das Bundesumweltministerium. Was mehr als eine Petitesse ist, denn diese Aufgabenteilung wird überlagert von persönlichen Animositäten. Warum sollte beispielsweise Umweltministerin Svenja Schulze für ihren Kabinettskollegen Altmaier die Kohlen aus dem Feuer holen. War der ihr doch im vergangenen Jahr beim Klimaschutzpaket mehrmals böse in die Parade gegrätscht.

Unionsfraktion blockiert

Altmaier ist nicht nur auf den Good-will einiger Kabinettskollegen angewiesen, sondern auch auf die Unterstützung der Unionsfraktion. Deren Wirtschaftsflügel blockiert den weiteren Windkraftausbau durch Beharren auf eine höchst umstrittene, bundesweit einheitliche 1000-Meter-Abstandsregelung. Er nimmt dafür auch das Ende der weiteren Solarförderung (52-GW-Deckel) in Kauf. Seit Monaten beklagen dies verschiedenste Akteure und Verbände aus der regenerativen Energiewirtschaft.

Für Johann Saathoff, Energieexperte in Reihen der SPD-Bundestagsfraktion, ist dieses Vorgehen des Koalitionspartners ein Unding: „Die Union muss endlich aufhören, den Solardeckel als Faustpfand für alle weiteren offenen Fragen beim Ökostromausbau zu missbrauchen.“ Die Zeit der Lippenbekenntnisse, sagt er, sei für ihn endgültig vorbei. Dass der Bundestag ganz schnell und unbürokratisch entscheiden kann, habe das Gesetzespaket zur Corona-Krise vor Ostern gezeigt.

Bund-Länder-Arbeitsgruppe

Für die Lösung der trotz Aufgabenliste vertrackten Situation bei der Windenergie setzt der Bundestagsabgeordnete aus Ostfriesland nun auf die neue Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Sie ist nach der Ministerpräsidentenkonferenz Mitte März eingesetzt worden. Saathoff: „Ich setze darauf, dass deren Mitglieder hoffentlich für den weiteren Ökostromausbau an einem Strang ziehen.“

Woran Oliver Krischer seine Zweifel hat. Für den langjährigen Energieexperten der grünen Bundestagsfraktion ist unverständlich, dass „ausgerechnet“ die Staatskanzlei in München von Ministerpräsident Söder die Interessen der 16 Bundesländer in dieser Arbeitsgruppe koordiniert: „Bis auf das Umarmen von Bäumen im vergangenen Jahr ist Söder noch nie positiv bei Energie- und Klimathemen aufgefallen.“ Dass nun der CSU-Chef eine Lösung für die festgefahrene Situation zum Ökostromausbau finden soll, kom­me ihm so vor, „als ob ein Metzger Vorsitzender eines Veganervereins geworden ist.“ Daher knüpfe er nur geringe Erwartungen an die Bund-Länder-Arbeitsgruppe.

Befristung drängt

Vielleicht findet Söder eine Lösung für ein Problem, das auf die Windbranche neben der ungelösten Abstandsregelung mit großer Geschwindigkeit zuläuft: Ende Juni endet die bisherige Befristung, wonach fingierte Bürgerenergiegesellschaften wieder ohne Immissionsschutz-Genehmigung an den Windausschreibungen teilnehmen können. Dank der handwerklich schlecht gemachten 2017er EEG-Novelle konnten solche Gruppierungen fast alle Zuschläge in den ersten drei Auktionen abräumen. Nur wenige dieser Windturbinen sind bis heute ans Netz gegangen.

Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Saathoff besteht kein Zweifel daran, dass eine erneute Gesetzesänderung schnell kommen muss: „Das ist leider das zweite Faustpfand, das die Union in Händen hält. Da die Bundesnetzagentur die Ausschreibungsrunde vom 1. Juli bereits Mitte Mai starten muss, brauchen wir allerspätestens bis dahin die Änderung der entsprechenden EEG-Paragraphen.“ Die Uhr tickt also – rasant. Licht am Ende des Tunnels für die Krise beim Windenergieausbau ist aber nicht in Sicht.

23.4.2020 | Autor: Ralf Köpke
© Solarthemen Media GmbH

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