Sven Giegold (MdE): Bedingungslose Staatshilfen sind Gift

Portraitfoto von Sven GiegoldFoto: Dominik Butzmann
Sven Giegold ist Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament. Als Obmann der grünen Fraktion im Wirtschafts- und Finanzausschuss wirkt er maßgeblich an Energie- und Umweltrichtlinien der EU mit. Er kritisiert deren schwache Umsetzung in Deutschland. In der Corona-Krise macht sich der Finanzexperte für eine gemeinsame EU-Fi­nanz­politik stark und setzt sich entgegen der Bundesregierung für Corona-Bonds ein.

Solarthemen: Wie wirkt sich Corona auf den Zeitplan des von der EU-Kommission angekündigten Green Deal aus?

Sven Giegold: Obwohl es großen Druck aus Teilen der Mitgliedstaaten und einigen Bereichen der Wirtschaft gibt, hält die Kommission weitgehend an ihrem Zeitplan fest. Einige Initiativen verschieben sich zwar um wenige Wochen, doch im Großen und Ganzen sind wir im Plan. Das ist auch gut so, denn Klimawandel und Biodiversitätskrise machen während der Corona-Krise keine Pause.

European Green Deal

Solarthemen: Wie erleben Sie die Unterstützung der deutschen Bundesregierung für den European Green Deal – speziell in der Energiepolitik?

Giegold: Es ist, wie so oft bei der Klimapolitik der GroKo, eine Politik der bloßen schönen Worte. Noch vor wenigen Tagen hatte die Kanzlerin auf dem Petersberger Klimadialog für eine zukunftsorientierte und ambitionierte Klimapolitik geworben. Doch ihre eigene Bundestagsfraktion ist ihr nun in den Rücken gefallen. Sie hat beschlossen, dass weitere Emmissionsminderungen besser doch im Ausland für Kompensationszahlungen geleistet werden sollen, anstatt in Europa ambitionierte Klimaziele umzusetzen. Das wird bei uns Zukunftsinvestitionen kosten. Auch die weitgehend bedingungslosen Staatshilfen für die Lufthansa und die Autoindustrie sind Gift für den Green Deal. Unsere französischen Nachbarn zeigen, dass es geht. Dort wird Air France nur unter strengen Klimaauflagen gerettet. Diesem Beispiel sollten wir folgen.

Klimaschutz als Maßstab auch in der Corona-Krise

Solarthemen:Manche Lobbyisten fordern wegen der Corona-Krise eine Streichung, mindestens Verschiebung, bereits beschlossener EU-Umweltvorgaben. Andere etwa Umweltverbände und auch Sie als grüne Fraktion wollen Krisenpräventions- und Wiederaufbaumaßnahmen gnadenlos am Klimaschutz ausrichten. Fühlen Sie sich wirklich stark genug, um das durchsetzen zu können?

Giegold: Ja, wir fühlen uns stark, aber wir sind nicht gnadenlos. Wir wollen niemanden bestrafen. Und es ist auch nicht so, als würden wir uns gegen die Wirtschaft auflehnen. Wir sind ja nicht allein. Es sind immer nur Teile einer Branche, die sich gegen Umweltschutz aussprechen. Andere investieren in Klimaschutz und die Zukunft, aber machen da keine große Sache daraus. Erst vor kurzem haben 68 große deutsche Unternehmen gefordert, Konjunktur- und Investitionsprogramme sollten „systematisch klimafreundlich” sein. Für diese Unternehmen setzen wir uns ein. Und für die Mitarbeiter*innen aller anderen Betriebe, deren Arbeitsplätze spätestens in der nächsten Krise wegfallen werden, wenn wir heute nicht in krisenfeste, nachhaltige Technologien investieren. Wir müssen auch unterscheiden zwischen den wirklich gebeutelten Teilen der Wirtschaft, für die wir natürlich Rettungspakete fordern, und den Konzernen, die Dividenden in Milliardenhöhe ausschütten und gleichzeitig nach Steuerzahlergeld betteln. Das einfach abzunicken kann doch nicht im Interesse der Allgemeinheit sein.

Ökologischer Wiederaufbau

Solarthemen: Sie haben den Aufruf einer Green Recovery Alliance für einen ökologischen Wiederaufbau nach der Corona-Krise mit initiiert. Zu den Unterzeichner zählen auch Unternehmen, deren Lobbyisten gleichzeitig für ein Rollback in der Umweltpolitik kämpfen. Diskreditiert das nicht solche Initiativen?

Giegold: Die vielen Unterschriften zeigen den Willen in breiten Teilen der Gesellschaft, nachhaltig aus der Krise zu kommen. Natürlich brauchen wir dazu auch die Unterstützung der Unternehmen. Denn es ist unbestritten, dass viele Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannt haben. Aber wir müssen aufpassen, dass große Firmen nicht ihren guten Namen für solche Aufrufe nutzen, während sie in anonymen Lobbyverbänden hinter den Kulissen gegen den Green Deal arbeiten. Dazu benötigt es mehr Transparenz im Lobbysumpf und es benötigt couragierte Unternehmen, die auch innerhalb ihrer Branchenverbände für zukunftsorientierten Klimaschutz eintreten. Im Übrigen mag man auch im schönsten Fußballclub nicht alle Fans.

Folgen für erneuerbare Energien

Solarthemen: In Ursula von der Leyens Green-Deal-Papier ist viel von langfristigem Klimaschutz die Rede. Was versprechen Sie sich kurzfristig für den Bereich der erneuerbaren Energien?

Giegold: Der Vorschlag für ein Klimagesetz für 2050 sowie die anstehende Anhebung der Klimaziele für 2030 werden auch kurzfristig eine neue Richtung vorgeben. Denn wir müssen heute die Transformation unserer Wirtschaft anstoßen, um in zehn Jahren die gesteigerten Ziele erreichen zu können. Um die neuen Ziele zu erreichen, müssen alle relevanten europäischen Gesetze überprüft und angepasst werden. Dazu zählen die EU-Richtlinien für erneuerbare Energie und Energieeffizienz genauso wie Regeln für Verkehr, Gebäude und Energiemärkte. Auch andere Initiativen des Green Deal werden sich ganz konkret auch auf erneuerbare Energien auswirken. So wird der gesteigerte Fokus auf Batterien und emissionsarmem Verkehr dem Sektor zugute kommen. Schon vor der Corona-Krise plante die EU-Kommission eine „Renovierungswelle“ für Europa. Dieser Prozess wird nun hoffentlich beschleunigt. Er wird dafür sorgen, dass mehr und mehr Gebäude dezentrale erneuerbare Energie produzieren und nutzen werden.

Europäisches Solardach-Programm

Solarthemen: In einem neuen Thesenpapier Ihrer Fraktion für einen Wiederaufbauplan in und nach der Pandemie fordern Sie ein gesamteuropäisches Solardach-Programm. Wie stellen Sie sich das konkret vor, und auf welchem Weg soll Geld dafür fließen?

Giegold: Als Teil der europäischen Renovierungswelle wollen wir die Mitgliedstaaten verpflichten, Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden zu installieren. Für Privatleute und Unternehmen wollen wir die Finanzierung so einfach wie möglich gestalten. Dazu fordern wir ein massives, 750 Milliarden Euro schweres, zweijähriges Konjunkturpaket mit dem Green Deal im Kern, das auf allen Ebenen Investitionen in nachhaltige Technologien fördern soll. Zusätzlich brauchen wir Programme der Europäischen Investitionsbank, um Zuschüsse und Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen für Solarenergie auf Gewerbe- und Industriegebäuden zu finanzieren.

Solarthemen: Denken Sie dabei nur an Photovoltaik oder auch an Solarthermie?

Giegold: Wir brauchen einen breiten Mix in der Energieversorgung. Solarthermie kann sicher eine entscheidende Rolle für die Wärmeversorgung und Dekarbonisierung von Gebäuden spielen.

Deutschland und Europa

Solarthemen: In den letzten Jahren wurden – mit Zutun des Europäischen Parlaments – ambitionierte Energie-Richt­linien beschlossen. Was Deutschland konkret daraus macht, scheint aber teils nicht wirklich im Sinne der Erfinder. Stichworte: Nearly-Zero-Energy-Standard für Gebäude, PV-Prosumerrechte, Bürgerenergie in Windkraft-Ausschreibungen. Frustriert Sie das nicht?

Giegold: Es frustriert sehr. Vor allem, weil wir gutes und eindeutiges europäisches Recht geschaffen haben. Die EU-Erneuerbare-Energien-Richtlinie verlangt ganz klar, bei der Förderung von erneuerbarer Energie Bürgerprojekte zu unterstützen. Daran muss sich auch die Bundesregierung halten. Die Einführung von Ausschreibungen hat Bürgerenergie jedoch praktisch komplett vom Markt verdrängt. Dabei ist die deutsche Energiewende ein von Bürgerenergie getragenes Projekt. Dabei geht Deutschland über die Verpflichtung zu Ausschreibungen im europäischen Beihilferecht ohne jede Not hinaus. Diese Ausschreibungspflichten für etwa kleine Windparks sollten sofort abgeschafft werden.

Eurobonds ohne Trittbrettfahrer

Solarthemen: Als Finanzexperte der Grünen setzen Sie sich – im Gegensatz zur Bundesregierung – für Eurobonds ein, also gemeinsame Schulden der Europäischen Zentralbank. Verbinden Sie da­mit auch klimapolitische Erwartungen?

Giegold: Um die Geldpolitik zu entlasten, brauchen wir eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik. Eurobonds würden für eine europäische Integration der Finanzpolitik sorgen. Sie brauchen aber auch gemeinsame Entscheidungen in der Finanzpolitik. Sonst laden Eurobonds zur Trittbrettfahrerei ein. Gemeinsame Schulden sind aber gerade jetzt ein Zeichen der europäischen Solidarität. Wir fordern deshalb Corona-Bonds, um den besonders stark getroffenen Ländern Europas die Chance zu geben, aus der aktuellen Krise zu kommen. Denn diese Krise war nicht die Schuld eines einzelnen Mitgliedstaates. Wenn Italien und andere Länder durch die Coronakrise schwere Arbeitslosigkeit, massenhafte Unternehmensinsolvenzen und neue Armut erleben, wird dies nicht nur die europäische Einigung insgesamt beschädigen, sondern natürlich auch den Klimaschutz in diesen Ländern erschweren.

Solarthemen: Ihr spontanes Gefühl: Bringt die Corona-Krise einen Schub oder einen Rückschlag für den Klimaschutz?

Giegold: Die Krise bringt nur unnötiges mensch­­liches Leid. Daran ist nichts gut. Doch wenn wir unsere Kräfte richtig einsetzen und gemeinsam handeln, glaube ich, dass wir auf dem Weg aus der Corona-Krise auch die Weichen stellen können für eine nachhaltige Zukunft. Die Hilfsgelder, die nun fließen, können wir nur einmal ausgeben. Wir müssen sie also in die Zukunft investieren. Der Klimaschutz ist dabei eines der Felder, bei dem wir nun die Transformation unserer Wirtschaft beschleunigen können.

Interview: Guido Bröer

21.5.2020 | Autor: Guido Bröer, Solarthemen | www.solarserver.de
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