Interview mit Susanne Jung, SFV, zum EEG 2021: „Bürgerenergie in der Bürokratiefalle“
Solarthemen: Wie schätzen Sie die Bedeutung der kleinen Prosumer-Anlagen für die Energiewende ein?
Susanne Jung: Der Großteil der Solarenergie muss von den Dächern kommen. Die Prosumer sind das Standbein der Energiewende. Wir sehen hier das ganz große Potenzial. Seit 2009 sind vor allem PV-Anlagen entstanden, die Eigenerzeugung und Netzeinspeisung kombinieren. Problematisch ist, dass man seitdem die Solarstromerzeugung in der öffentlichen Wahrnehmung zur Privatsache degradiert hat. Aus dem Blickfeld geraten ist darüber der gesamtgesellschaftliche Nutzen, die Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz und auch das Mitnehmen derjenigen, die weder Dächer noch finanzielle Möglichkeiten haben. Es ist ganz wichtig, das Thema Photovoltaik in Gemeinschaft zu denken und nicht alles auf private Optimierung auszulegen.
Prosumer-Anlagen sind für die Energiewende wichtig und wertvoll. Allerdings wäre es optimal, wenn sich die Größe nicht nur am persönlichen Eigenverbrauch orientieren würde. Das reicht für die Energiewende nicht aus.
Wie kommen wir denn dahin, das Dach möglichst ganz voll zu legen mit Panels?
Die Einspeisevergütung ist zu gering. Wir liegen bei unter 9 Cent. Das reicht für die Wirtschaftlichkeit der Kleinanlagen nicht aus. Wir müssen zurück zum Gedanken der kostendeckenden Vergütung. Wenn die Vergütung attraktiv ist, werden die Dächer auch dort voll belegt, wo man nicht genug Eigenverbrauch hat. Dann könnte man sich auch Gedanken über gemeinschaftliche Speicher machen.
Wie kann der Staat das anreizen?
Punkt 1 ist eine Einspeisevergütung, mit der sich Module auf dem Dach auch ohne hohen Eigenverbrauch lohnen. Punkt 2: Die ganze Bürokratie abschaffen – Umlagen, Anmeldung, Ummeldung. Aber im Gegenteil hat ja die aktuelle EEG-Novelle wieder einiges an neuen Zumutungen im Gepäck. Punkt 3: Eine Möglichkeit schaffen, Speicher gemeinschaftlich zu nutzen. Man betreibt in der Siedlung einen Speicher, um den PV-Strom gemeinschaftlich im Areal oder auch regional netzdienlich nutzbar zu machen. Das wird allerdings durch die Regulatorik derzeit unmöglich gemacht. Es wäre völlig ausreichend, Areale – und nicht jeden einzelnen Prosumer – mit einer fernsteuerbaren Hardware auszurüsten, um die Netzstabilität zu sichern.
Welche bürokratischen Hürden wollen Sie abschaffen?
Das fängt damit an, wie man den Anschluss für eine Solaranlage beantragt. Ich bin gerade selbst betroffen. Ich habe dafür gestern abend einen Stapel von Papieren stundenlang durchgearbeitet. Obwohl ich eine sachkundige Frau bin, hat das auch mir einige Mühe gemacht. Um auszuschließen, dass ich in unserem Familienhaushalt nicht plötzlich Drittversorger bin, musste genau geprüft werden, ob Anschlussnehmer und PV-Betreiber personenidentisch sind. Ansonsten droht ja die volle EEG-Umlagepflicht. Wer achtet schon auf diesen Fallstrick?!
Wenn die Anlage dann am Netz ist, müssen Meldepflichten eingehalten werden. Ansonsten drohen Vergütungskürzungen.
Weiter geht es mit Vorgaben für die Abregelbarkeit von Anlagen. Man muss sich bei Kleinanlagen mit der Abregelbarkeit der Anlagen auseinandersetzen, die für die Menschen nicht verständlich und auch physikalisch nicht notwendig ist. Auch das ist Bürokratie pur und richtet sich nicht an dem aus, was für die Energiewende wichtig wäre.
Und das Absurdeste ist natürlich die EEG-Umlage für den Eigenverbrauch oder die Versorgung Dritter. Das ist ein großes Hemmnis.
Die Bagatellgrenze für den Eigenverbrauch soll jetzt auf 20 kW steigen.
Das ist ein guter Anfang, aber widerspricht der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU. Dort steht, dass die EEG-Umlagepflicht mindestens für Anlagen bis 30 kW nicht gerechtfertigt ist. Wenn das Bundeswirtschaftministerium das jetzt so interpretiert, dass es ausreicht, wenn Deutschland eine Grenze bei 20 kW festlegt, dann ist das frech. Man bleibt auf halber Strecke stehen. Mal ganz davon abgesehen, dass weiterhin pro Jahr nur 10.000 Kilowattstunden Eigenverbrauch befreit sein sollen. Ich sehe nicht, wo im EU-Recht die Grundlage für diese 10 Megawattstunden sein soll.
Was sind weitere wichtige Punkte im EEG-Entwurf für kleinere PV-Anlagen?
Man möchte sämtliche Kleinanlagen ab 1 Kilowatt Leistung mit Smartmeter-Technik zwangsbeglücken. Zum einen fallen die Kosten dafür laut Messstellenbetriebsgesetz den Anlagenbetreibern zur Last. Zum anderen frage ich mich, wo da die Verhältnismäßigkeit ist, auch solche Kleinanlagen mit einer Steuerbarkeit auszustatten, die niemand braucht.
Wer treibt sowas denn voran? Als Verband der Netzbetreiber kritisiert mittlerweile sogar der BDEW massiv diese geplante Smartmeter-Pflicht ab 1 kW.
Ja, die Netzbetreiber sind davon eher gestresst. Es ist das Bundeswirtschaftministerium in Person des Herrn Altmaier. Da wird ein Popanz aufgebaut, dass kleine Prosumer-Anlagen die Netzstabilität gefährden würden, wenn sie nicht komplett digitalisiert und steuerbar gemacht würden. Für mich ist das nicht einsichtig. Das Leitbild ist nicht Dezentralität, sondern man möchte zentral steuern können, was vor Ort passiert.
Es gibt im EEG-Entwurf ein besonderes Schmankerl: Jetzt hat man das Wort „einspeisewillig“ aus dem Gesetzestext gestrichen und durch „anschlussbegehrend“ ersetzt. Wer eine Anlage bauen möchte, ist also nicht mehr willig, Strom zu erzeugen und der Allgemeinheit per Netz anzubieten, sondern er begehrt offenbar aus reinem Eigennutz den Netzanschluss. Ein „Begehren“ kann üblicherweise angenommen oder abgelehnt werden. Das hat dann mit dem Leitgedanken des EEG, dass Erneuerbare im Netz Vorrang haben, nicht mehr viel zu tun. Diese kleine Begrifflichkeit sagt viel über das strategische Anliegen dahinter.
Bringt das EEG2021 nicht doch etliche Verbesserungen im Detail? Zum Beispiel soll die 70-Prozent-Regel, von der eben die Rede war, verschwinden.
Ja, das sieht so aus. Aber das heißt natürlich für die Anlagenbetreiber, die bislang davon betroffen waren, dass sie sich neu mit ihrem Installateur ins Benehmen setzen müssen, damit der Wechselrichter umprogrammiert und am Netzanschlusspunkt ein Smartmeter installiert werden kann. Das sind Zusatzinvestitionen, die klar in den Bestandsschutz eingreifen.
Was heißt das für die Wirtschaftlichkeit der Anlagen?
Wir haben es im Zusammenhang mit den Ü20-Anlagen hier in Aachen abgeschätzt. Weil dort oft der Zählerschrank nicht mehr passt, ist das eine Investition von etwa 1000 Euro.
Bislang stand ja zu Messstellen im EEG selbst nicht viel drin.
Richtig. Bislang fand sich da nur ein Verweis auf das Messstellenbetriebsgesetz und dort stand nur als verklausulierte Kann-Bestimmung, dass auch Anlagen unter 7 kW mit Smartmeter ausgerüstet werden können. Dass man jetzt einen solchen Druck über das EEG ausübt, verschlechtert deren Wirtschaftlichkeit enorm.
Was sagen die Betreiber von Ü20-Anlagen zum Entwurf des EEG 2021?
Ein positives Feedback bekomme ich von Anlagenbetreibern nicht. Erst letzte Woche saß ich in einer Veranstaltung so einer Gruppe von Solarpionieren gegenüber. Diese Anlagenbetreiber erhofften sich von mir gute Ratschläge. Sie sind entsetzt darüber, dass sie ihr Schätzchen demnächst mit einer unsäglich geringen Vergütung weiterbetreiben sollen, mit der sie ihre Betriebskosten kaum gedeckt bekommen. In diesem Jahr wird ja der Jahres-Marktpreis kaum über 2 Cent pro Kilowattstunde kommen. Wo bleibt die Abgeltung des Werts für Umwelt und Gesellschaft?
Aber wer einen Smartmeter einbaut und die Anlage auf Eigenverbrauch umrüstet, der hat doch zum Verbraucherstromtarif eine große Spanne.
Richtig, aber erstmal hat er Umrüstkosten von 1000 bis 1500 Euro. Dann kommt die Zählermiete hinzu. Mit den kleinen Ü20-Anlagen ist so keine Wirtschaftlichkeit zu erreichen.
Es bleibt die Option Repowering.
Klar, das wäre sinnvoll. Aber es gehört schon viel Risikobereitschaft dazu, bei den aktuell komplexen gesetzlichen Bestimmungen noch mal in eine Neuanlage zu investieren. Was mir bei den Solarpionieren oft begegnet, sind irgendwelche Ideen, um sich den ganzen Stress zu sparen: zum Beispiel die Anlage vom Netz zu nehmen und sie nur noch mit Batterien für das Gartenhäuschen oder eine Teichpumpe zu benutzen. Dabei wäre es so wertvoll, den Strom weiter ins Netz zu speisen und Fossile und Atom zu verdrängen.
Am Netz müssten sie allemal EEG-Umlage für den Eigenverbrauch zahlen.
Ja, dass wurde im Gesetzentwurf nochmal ausdrücklich bekräftigt. Für Ü20-Anlagen sollen 40 Prozent EEG-Umlage fällig werden. Und das ist mit den Zielen der EU-Richtlinie meines Erachtens nicht vereinbar. Das darf so nicht durchgehen.
Susanne Jung ist Geschäftsführerin des Solarenergie-Fördervereins Deutschland (SFV). Seit dem Kampf für die kostendeckende Vergütung für Photovoltaik in den 1990er Jahren ist der SFV Sprachrohr der Betreiber von PV-Anlagen. Susanne Jung arbeitet seit 1995 beim SFV. Die Geschäftsführung hat sie 2019 von Wolf von Fabeck übernommen. Darüber hinaus ist sie Aufsichtsrätin im Bündnis Bürgerenergie e.V
15.10.2020 | Interview: Guido Bröer
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