Jens Kerstan: Wir brauchen Photovoltaik für den Klimaschutz

Portraitfoto von Jens KerstanFoto: Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg
Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan
Solarthemen-Interview mit Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan. Er hat das hamburgische Klimaschutzgesetz mit geprägt, das eine Photo­vol­taikpflicht enthält.

Solarthemen: Herr Kerstan, wie froh sind Sie über die Einführung einer Photovoltaik-Pflicht auf neuen und alten Dächern in Hamburg

Jens Kerstan: Darüber bin ich sehr froh, weil das ein großer Schritt vorwärts sein kann. Denn wir haben die große Notwendigkeit, den Anteil erneuerbarer Energien an der Energieversorgung auszubauen. Nur so können wir unsere Klimaschutzziele erreichen, die in Hamburg recht ehrgeizig sind. Dafür brauchen wir jeden Beitrag, den wir erreichen können. Und gerade in einer Millionenmetropole wie Hamburg ist der Ausbau der Erneuerbaren gar nicht so einfach. Windenergie ist in einem Stadtstaat nicht großflächig einsetzbar. Und insofern ist es schon wichtig, gerade das große Potenzial auf Dachflächen für Photovoltaik zu nutzen. Doch leider müssen wir feststellen, dass bisher alle Appelle, Anreize und Förderprogramme nicht dazu geführt haben, dass die Photovoltaik im städtischen Bereich massiv genutzt wird. Und da uns beim Klimaschutz die Zeit wegläuft, müssen wir beim Tempo zulegen. Um 2050 klimaneutral zu werden, brauchen wir schon 2030 deutliche Erfolge. Das ist bereits in neun Jahren. Mit einer verpflichtenden Nutzung der Photovoltaik auf Dächern können wir einen ordentlichen Schritt vorankommen. Davon gehe ich aus. Und ich freue mich auch, dass Hamburg damit bundesweit durchaus als Vorbild gesehen wird und andere Städte und Bundesländer jetzt dabei sind, unserem Vorbild zu folgen.

Nun wenden Kritiker von Solarpflichten, auch Wirtschaftsverbände, ein, eine solche Pflicht könne kontraproduktiv wirken. In Hamburg sollen PV-Anlagen ab 2025 auch bei Dachsanierungen zum Einsatz kommen. Ist da die Sorge berechtigt, dass solche Sanierungen aufgeschoben werden und dies dann auch nachteilig für den Klimaschutz wäre?

Geringer Planungsaufwand

Davon gehe ich nicht aus, jedenfalls nicht im großen Maßstab. Wir haben im Bestand eine großzügige Übergangsfrist von fünf Jahren gewählt, so dass sich alle darauf einstellen können. im Regelfall erfolgen Dachsanierungen, weil es einen akuten Sanierungsbedarf gibt. Und bei solchen grundsätzlichen Entscheidungen ist eine PV-Pflicht dann doch eine nachrangige Auflage. Der Planungsaufwand ist gering. Die Investitionen sind wirtschaftlich vertretbar. Sie amortisieren sich in den allermeisten Fällen in einem überschaubaren Zeitraum. Daher können wir davon ausgehen, dass kaum jemand nur deshalb von einer notwendigen Dachsanierung absehen wird, weil wir die PV-Pflicht einführen.

Die Solar-Pflicht ist bereits Bestandteil des Klimaschutzgesetzes von Hamburg. Konkretisiert wird dies seit Ende Dezember durch eine Verordnung, Was sind darin für Sie die wesentlichen Elemente?

Das Wesentliche ist tatsächlich im Klimaschutzgesetz die grundsätzliche Pflicht. Wir wollen damit vorangehen. Wir sind damit ein bundesweiter Vorreiter. Und wir können damit ein großes Potenzial für den Klimaschutz und die Energiewende heben. Aber wir wollen niemanden überfordern. Daher ist es wichtig, dass die grundsätzliche Verpflichtung nur dann wirksam wird, wenn sie wirtschaftlich vertretbar ist. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es auch technisch machbar ist. So regelt die Verordnung zum Beispiel, dass die Photovoltaik-Pflicht nicht greift, wenn ein Gebäude zu stark verschattet ist, wenn das Dach nicht tragfähig ist oder wenn das Gebäude unter strengem Denkmalschutz steht. Wir haben also einerseits die Verpflichtung, schaffen mit der Verordnung aber andererseits einen vernünftigen Rahmen, der niemanden überfordert.

Ihre Verordnung macht keine Vorgaben zur Größe oder Leistung einer Photovoltaikanlage. Ein Modul würde schon reichen, um die Pflicht zu erfüllen. Ist das keine Einladung, die Verordnung zu unterlaufen?

Schlanke Lösung

Wir haben versucht, eine möglichst schlanke Lösung zu finden, die nicht zu viele Vorgaben macht. Die Bedingungen vor Ort können sehr unterschiedlich sein. Die Vorgabe von Mindestgrößen oder anderen speziellen Anforderungen würden die Regelungen rechtlich angreifbarer machen und die Akzeptanz verringern. In den meisten Fällen wird es so sein, dass ein Hauseigentümer sich für eine möglichst wirtschaftliche Lösung entscheidet, wenn er sich – eventuell angestoßen durch die Solar-Pflicht – mit der Photovoltaik beschäftigt hat. Und das wird dann nicht die kleine Anlage sein. Denn die größere ist wirtschaftlicher und bringt ihm vielleicht sogar einen Gewinn ein. Wir gehen davon aus und werden beobachten, ob die Regelungen ausreichen, das Gewünschte zu erreichen. Sollte es da Probleme geben, müssten wir unter Umständen nachjustieren.

Hatten Sie denn im Vorfeld darüber nachgedacht, eine Mindestleistung oder einen bestimmten Anteil an der Stromversorgung vorzugeben? Oder war es von Beginn an das Ziel, es möglichst einfach zu machen?

Wir haben es uns mit der Verordnung selbst nicht leicht gemacht und haben in der Tat sehr intensiv diskutiert, ob es nicht notwendig ist, eine Mindestgröße vorzuschreiben. Aber man kann letztlich nicht alles mit Ordnungsrecht und Zwang bis ins letzte Detail regeln. Das erhöht den Widerstand. Daher setzen wir hier weiterhin auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Wir glauben aber auch, dass die wirtschaftliche Logik dazu führt, dass wenn man schon eine Photovoltaikanlage errichten muss, dies auch eine wirtschaftliche sein wird. Wir sichern so auch für die Bürgerinnen und Bürger die Flexibilität, die für sie beste Lösung zu finden.

Sie haben die ambitionierten Zielsetzungen des Klimaschutzgesetzes angesprochen. Nun ist die Photovoltaik nur ein Teil innerhalb der Energie- und Klimapolitik. Welchen Stellenwert haben für Sie die Photovoltaik und die nun eingeführte Verpflichtung ihrer Nutzung?

PV-Pflicht wichtiger Baustein

In der Tat ist das ein sehr wichtiger Baustein. Hamburg ist eine Stadt, die sehr viel Energie verbraucht und bislang aus erneuerbaren Energien wenig Energie gewinnt. Wir brauchen die Photovoltaik-Pflicht, um den Anteil gravierend zu erhöhen. Natürlich gibt es auch andere sehr wichtige Bausteine. Im Wärmebereich werden wir bis 2030 aus der Kohle aussteigen. Wir sind auch an anderen Stellen dabei, den Klimaschutz voranzubringen, etwa durch Energieeffizienz, durch den Ausbau der Elektromobilität und weitere Maßnahmen. Aber man muss ja feststellen, dass bisher im Gebäudebestand die Anstrengungen zu gering sind, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Und daher sind alle Maßnahmen, die bei der Klimafreundlichkeit von Gebäuden eine Rolle spielen, ein wesentlicher Schritt. Der Photovoltaik kommt hier eine besondere Rolle zu, eben weil sie wirtschaftlich und ausgereift ist.

Für diese Wirtschaftlichkeit gibt es aber manchmal Hürden, die nicht technologisch bedingt sind. Da gibt es zum Beispiel für Wohnungsbaugesellschaften das Problem, dass sie allein wegen des Betriebs von PV-Anlagen gewerbesteuerpflichtig werden. Wie schätzen Sie die Chancen ein, auf Bundesebene das Steuerrecht zu ändern?

Das ist ein gutes Beispiel, dass bei der Photovoltaik gar nicht mehr die Technologie oder deren Wirtschaftlichkeit der Hemmschuh ist, sondern der rechtliche Rahmen und die Regulierung nicht mehr auf die aktuelle Situation zugeschnitten ist, in der wir viel mehr dezentrale erneuerbare Energien brauchen. Daher ist es notwendig, dass auf der Bundesebene der gesetzliche Rahmen angepasst wird. Wir haben da in der Vergangenheit schon Fortschritte erreicht. Im August 2019 hat es schon eine Änderung des Körperschaftssteuergesetzes gegeben. Damit erhalten Genossenschaften bereits eine Freigrenze aus Mieterstromverkäufen.

Gewerbesteuergesetz ändern!

Das ist zwar ein erster wichtiger Schritt. Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen in der Tat eine Änderung des Gewerbesteuergesetzes, damit der Betrieb von Photovoltaikanlagen steuerunschädlich wird. Ich bin ganz froh, dass es dazu erste Signale aus dem Bundestag, auch unter den derzeitigen Mehrheiten, gibt, die in einer Entschließung an die Bundesregierung auf diesen Punkt hingewiesen haben. Da müssen wir dringend vorankommen. Hier hoffen wir als Grüne natürlich auf die nächste Bundestagswahl, damit wir dort selbst die notwendigen Veränderungen vorantreiben können. Stand heute haben wir uns allerdings an den derzeitigen Bedingungen orientiert. Daher haben wir vorgesehen, dass sich Vermieter auch Dritter bedienen können, um steuerliche Nachteile zu vermeiden. Wir entbinden sie aber nur dann von der Solar-Pflicht, wenn eine solche Lösung im Einzelfall nicht möglich ist.

In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wollen die jeweiligen Landesregierungen PV-Pflichten auch für Parkplätze einführen. Ist das auch etwas für Hamburg?

Unsere jetzige Verordnung ist nicht das Allheilmittel. Das ist der erste Schritt und nicht das Ende aller Möglichkeiten. Wir werden auch weitere Dinge vorantreiben. Und bei der Gelegenheit werden wir uns solche Ideen sicherlich auch ansehen. Allerdings würden wir in Hamburg zunächst auf die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand setzen.

Interview: Andreas Witt

Jens Kerstan ist Volkswirt und seit 2015 Senator in der Behörde für Umwelt und Energie des Landes Hamburg, die im Juni 2020 um die Aufgabenbereiche Klima und Agrar­wirt­schaft erweitert wurde. In dieser Funktion hat der bündnisgrüne Politiker das hamburgische Klimaschutzgesetz mit geprägt, das auch eine Verpflichtung zur Nutzung der Photo­vol­taik enthält.

18.2.2021 | © Solarthemen Media GmbH

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