Smart-Meter-Rollout nach Urteil im Verfahrens-Chaos

Ein Smart-Meter-Gateway, gehalten von zwei Händen.Foto: PPC
Die in dieser Woche im Eilverfahren getroffene Entscheidung zum Smart-Meter-Rollout hat das Potenzial, die Digitalisierung des Stromsystems erheblich zu verzögern. Messstellenbetreiber, Installateure und Kunden sind stark verunsichert. Doch das Bundeswirtschaftsministerium will offenbar den Ausgang des Hauptverfahrens abwarten, was noch Jahre dauern kann und sich negativ auf die Energiewende auswirken könnte.

„Es handelt sich nicht um ein Urteil, sondern um eine Entscheidung im Eilverfahren“, antwortet das Bundeswirtschaftsministerium sehr gelassen auf Presseanfragen. „In der Hauptsache ist noch nicht entschieden worden. Das BSI prüft derzeit die Entscheidungsgründe.“

Schlappe für das BSI

Das BSI, also das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, musste in einem Eilverfahren zum Smart-Meter-Rollout vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster eine Schlappe einstecken. Die Juristin Anna von Bremen von der Rechtsanwaltskanzlei Raue bezeichnet die Entscheidung als „Ohrfeige“ für das BSI.

Sebastian Schnurre von der Kanzlei AssmannPeiffer Rechtsanwälte ordnete heute auf einem Webinar von Conexio in Kooperation mit dem Bundesverband Neue Energiewirtschaft das Urteil des OVG Münster ein. Schnurre hatte für einen Mandanten das Urteil zum Smart-Meter-Rollout erstritten. Laut Urteil hat das BSI – um es sehr verkürzt darzustellen – seine Kompetenzen überschritten, als es feststellte, dass drei Smart Meter Gateways zur Verfügung stünden und damit der Rollout intelligenter Zähler entsprechend dem Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) beginnen könne.

Allgemeinverfügung rechtswidrig

Doch das Gericht hält dieses Vorgehen für rechtswidrig und begründet dies sehr ausführlich in seinem unanfechtbaren Beschluss vom 3. März dieses Jahres. So seien die Gateways für den Smart-Meter-Rollout gar nicht ausreichend zertifiziert gewesen. Außerdem habe das BSI seine Allgemeinverfügung getroffen, obwohl die Gateways nicht für alle Tarifanwendungsfälle (TAF) geeignet seien, beispielsweise nicht für Einspeiseanlagen. Doch eine Entscheidung, die nicht alle TAF umfasst, hätte das BSI nicht treffen dürfen. Dazu sei es durch das MsbG nicht ermächtigt gewesen.

Viele Marktteilnehmer sind nur stark verunsichert. Dies beginnt schon bei der Frage, wer von der Entscheidung im Eilverfahren betroffen ist. Zunächst gelte sie, so macht Schnurre klar, nur für das klagende Unternehmen. Dieses ist nun frei in der Wahl der Zähler, die es einbauen möchte. Es ist sozusagen vom Smart-Meter-Rollout in der vom BSI vorgesehen Form entbunden und kann andere Lösungen wählen.

50 weitere Klagen

Anhängig sind – ebenfalls im Eilverfahren – noch Beschwerden von rund 50 weiteren Messstellenbetreibern. Das sind vor allem Stadtwerke, die sich von Becker Büttner Held in Sachen Smart-Meter-Rollout vertreten lassen. Und wie Manuel Schrepfer, Pressesprecher der Kanzlei, erklärt, habe das Gericht ihnen gegenüber verlauten lasse, das BSI werde eine verfahrensbeendende Erklärung zu den anhängigen Verfahren abgeben. Damit werde dem Antrag der Mandanten entsprochen, der inhaltlich vollständig identisch wie der schon entschiedene Antrag begründet worden sei.

Die Allgemeinverfügung des BSI sei ein Verwaltungsakt, so Schnurre. Die Entscheidung betreffe daher nur das einzelne Unternehmen. Anna von Bremen sieht in diesem Fall aber die Möglichkeit, dass sich die Entscheidung auch auf die Unternehmen auswirken könne, die selbst nicht geklagt hätten.

Unsicherheit für Stadtwerke

Es liegt wohl auf der Hand, dass auch Messstellenbetreiber, die selbst nicht gegen die Allgemeinverfügung geklagt haben, von der Entscheidung betroffen sind. Sie müssen weiterhin, gesetzlich verpflichtet, den Smart-Meter-Rollout vorantreiben. Kunden, die das nicht wollen, haben jetzt aber gute Karten, sich dagegen zu wehren. Denn eine Basis für den Smart-Meter-Rollout ist die Allgemeinverfügung, die das OVG Münster für rechtswidrig hält.

Missliche Situation für Elektrohandwerk

Das bringt auch Elektroinstallateure in eine schwierige Situation, die im Auftrag eines Messstellenbetreibers (häufig eines Stadtwerks) die Zähler tauschen sollen. „Sie können nicht darauf bestehen, die Räume zu betreten“, sagt dazu von Bremen. „Es gibt hier eine Rechtsunsicherheit.“

Alexander Neuhäuser, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) erklärt. „Für unsere elektrohandwerklichen Betriebe ist die nun eingetretene Situation sehr misslich. Es ist nun ganz wichtig, schnellstmöglich Rechtssicherheit zu schaffen, damit unsere Betriebe ihre Kunden bezüglich des Einbaus von intelligenten Messeinrichtungen korrekt beraten können.“ Der ZVEH halte es für erforderlich, dass sich das zuständige Bundeswirtschaftsministerium und das BSI konkreter als bisher zum weiteren Vorgehen beim Smart-Meter-Rollout äußern. 

BDEW drängt aufs Handeln

Diese Meinung teilt auch der auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der ebenfalls eine große Verunsicherung sieht. Und die könne auch noch einige Jahre anhalten, so der Verband gegenüber den Solarthemen. Auch das Eilverfahren habe schon ein Jahr beansprucht. „Man kann nicht das Hauptverfahren abwarten.“ Zudem müsse auch beim OVG noch nicht Schluss sein. Mit dem Bundesverwaltungsgericht gebe es eine nächste Instanz. Das Verfahren könne also einige Jahre dauern.

Der BDEW hält es in einer ersten Einschätzung nach dem Urteil für sinnvoll, wenn sich nun möglichst bald alle Beteiligten, zu denen das BMWi, das BSI und auch die Bundesnetzagentur gehören, an einen Tisch setzen, um eine Lösung zu finden. Eine denkbare Lösung, die auch das OVG Münster in der Entscheidungsbegründung andeutete, könne eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen sein. Diese sollte im Rahmen eines bereits laufenden Gesetzgebungsverfahrens geschaffen werden.

MsbG bleibt gültig

Der BDEW betont allerdings, das Gericht habe im Eilverfahren zunächst lediglich einem ersten Kläger gegen die Allgemeinverfügung vorläufig Recht gegeben. Das Gericht habe den Verwaltungsakt für rechtswidrig angesehen, den das BSI in der Form der Allgemeinverfügung erlassen hat, nicht das Messstellenbetriebsgesetz selbst.

Die Entscheidung des OVG wirke sich rechtlich zunächst nicht für die Messstellenbetreiber aus, die keine Beschwerde gegen die Allgemeinverfügung eingelegt hätten. Sie seien bis zu einer möglichen Aufhebung der Verfügung durch das BSI weiterhin verpflichtet, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben intelligente Zähler auszurollen, so der BDEW. Allerdings sei damit zu rechnen, dass einige Kunden die Einbaupraxis nun verstärkt in Frage stellten.

Weiter für intelligente Zähler

Mit der Klage gegen die Allgemeinverfügung wenden sich die jeweiligen Messstellenbetreiber in der Regel nicht grundsätzlich gegen intelligente Zähler, sondern die mit der Allgemeinverfügung verbundenen Vorgaben. Das Messsystem des Unternehmens, dass jetzt vor dem OVG im Eilverfahren erfolgreich war, basiert auf einer sekündlichen Messung des Verbrauchs. Die durch die Allgemeinverfügung zugelassenen Systeme richten sich aber auf eine nur viertelstündliche Messung. Der Weg zum Einbau von neuen Geräten mit sekündlicher Messung im Anwendungsbereich der Allgemeinverfügung sei daher bisher versperrt gewesen.

Robert Busch, Geschäftsführer des BNE, fordert, das Thema des Smart-Meter-Rollout nach dem Urteil auf ganz neue Füße zu stellen.

BMWi will abwarten

Dagegen will das BMWi offenbar am derzeitigen Verfahren festhalten. Es betont: „Der Roll-out intelligenter und sicherer Mess-Systeme ist und bleibt ein Kernbestandteil der Energiewende. Dies wird auch von dem OVG Münster nicht in Frage gestellt.“

Dieser allgemeinen Meinung sind sicherlich auch viele andere in diesem Markt tätige Unternehmen und Institutionen. Nach der OVG-Entscheidung stellt sich aber die Frage, wie jetzt die Weichen eventuell neu zu stellen sind. Der Smart-Meter-Rollout ist für das BMWi ein sehr entscheidender Baustein. Das gilt besonders für den zunehmenden, besser vernetzten Einsatz erneuerbarer Energien. Wenn nun ein Dominostein ins Fallen kommt, kann das auch andere Pläne des BMWi mit herunterreißen. Wenn Wirtschaftsminister Peter Altmaier in dieser Situation auf das Hauptverfahren warten möchte, braucht er viel Gelassenheit. Allerdings würde er sich dann mit dem Thema in dieser Legislaturperiode wohl gar nicht mehr befassen müssen. Anders als viele Marktteilnehmer, die schon jetzt betroffen sind.

12.3.2021 | Autor: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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