Mieterstrom 2.0: Wohin geht die Reise?
Seit dem sogenannten Mieterstromgesetz zur Novelle des EEG2017 vor fast vier Jahren steht der Photovoltaik-Mieterstrom im Fokus. Gerade für die bundesweit mitregierende Sozialdemokratie ist es ein Herzensthema, in dem Klima- und Sozialpolitik symbiotisch zusammenwachsen könnten. Nun sollen mit dem EEG2021 endlich die Fesseln gesprengt werden, mit denen seinerzeit der Koalitionspartner CDU/CSU das Mieterstromexperiment zunächst klein halten wollte.
Quartiere und neue Zuschläge
Im Zuge von Quartierslösungen können nun größere Mieterstromprojekte mit mehreren Anlagen bis insgesamt 750 kW mit einem Mieterstromzuschlag bedacht werden. Der Zuschlag ist jetzt außerdem an den atmenden Deckel des EEG gebunden und unterliegt keinem überproportionalem Schwund mehr. Und nicht zuletzt hat der Gesetzgeber im EEG2021 klargestellt, dass Mieterstromzuschlag auch gezahlt werden kann, wenn Anlagenbetreiber und Energieversorger verschiedene juristische Personen sind.
Eigentlich sollte ein Blick in das Marktstammdatenregister (MaStR) genügen, um zu kontrollieren, ob sich die Neuerungen bereit im Markt bemerkbar machen. Denn laut § 23c des EEG 2021 besteht der Anspruch auf Mieterstromzuschlag erst, sobald die PV-Anlage im Markstammdatenregister eingetragen und dort vom Betreiber der Veräußerungsform Mieterstrom zugeordnet wird. Allerdings werden die Kinderkrankheiten des Marktstammdatenregisters beim Thema Photovoltaik-Mieterstrom noch besonders deutlich.
MaStR mit Vorsicht zu genießen
Bei Recherchen der Solarthemen-Redaktion in der vergangenen Woche spuckte das Register der Bundesnetzagentur unter dem Schlagwort Mieterstrom 3387 PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von Brutto 86,7 Megawatt und Netto (Wechselrichterleistung) 71 MW aus. Allerdings gibt es an beiden Enden der Tabelle, wenn man diese nach Anlagenleistung sortiert, erhebliche Zweifel. Ganz oben stehen einige Anlagen, die schon aufgrund ihrer Größe eigentlich keine Mieterstromanlagen sein können. Die größte misst angeblich 9,3 Megawatt.
Die Pressestelle der Bundesnetzagentur (BNetzA) bestätigt auf Anfrage, dass es sich hier offenbar um einen 1000er Kommafehler handele.
Auf der anderen Seite des Spektrums stehen rund 1400 Anlagen, die kleiner sind als 10 kW. Auch hier vermuten Branchenkenner, dass es sich nicht in jedem Fall um Mieterstromanlagen im Sinne des Gesetzes handelt. Nach Anlagengröße und Anlagennamen wie „Balkonkraftwerk“ zu schließen, haben sogar einige Leute ihre Stecker-Solarmodule stolz – und im Wortsinne durchaus richtig – der Rubrik „Mieterstrom“ zugeordnet. Die BNetzA bestätigt. „Es gibt Falscheintragungen,. Gerade bei dem Begriff des Mieterstroms ist das zu erwarten, weil der Begriff womöglich trotz der intensiven Hinweise in den Hilfetexten missverstanden werden kann. An Berichtigungen der Daten wird gearbeitet. Das wird sicherlich noch eine ganze Zeit in Anspruch nehmen.“
Täglich würden aber Netzbetreiberprüfungen vorgenommen, und in zahlreichen Fällen warteten Netzbetreiber auf eine Reaktion der Anlagenbetreiber. Sie seien es, die im MaStR die Verantwortung für die Daten trügen, betont die BNetzA.
Vielleicht 60 Megawatt
So gesehen lässt sich auf Basis des Marktstammdatenregisters eine Zahl von maximal etwa 60 Megawatt installierter Mieterstromanlagen als realistisch abschätzen. Wahrscheinlich ist sie sogar deutlich tiefer. Und somit liegt die binnen vier Jahren installierte Gesamtleistung noch sehr weit unterhalb jener 500 MW, die laut EEG jährlich maximal als Mieterstromanlagen in Betrieb gehen dürfen. Diese Obergrenze im Zuge der EEG-Novelle zu entfernen, hätte also nur symbolischen Wert gehabt. Gleichwohl konnte sich die Große Koalition nicht dazu aufraffen, diesen Deckel zu lüften. Und dies obwohl der Mieterstromzuschlag das EEG-Konto eher weniger belastet als eine Einspeisung entsprechender PV-Kilowattstunden ins öffentliche Netz. Er liegt im März 2021 je nach Anlagengröße zwischen 2,30 und 3,68 Cent/kWh.,
Noch nicht vollzogen hat der Gesetzgeber die angekündigte Klarstellung zu Gewerbesteuern von Wohnungsgesellschaften. Im Rahmen der Steuergesetzgebung soll die Bundesregierung dies laut Bundestagsentschließung „unverzüglich“ in Angriff nehmen. Sie soll eine Regelung vorbereiten, „nach der Wohnungsunternehmen die erweiterte Kürzung bei der Gewerbesteuer nicht verlieren, wenn sie unter anderem Mieterstrom über Solaranlagen auf ihren Gebäuden erzeugen und veräußern“.
Mieterstrom und Sektorenkopplung
In vielen Fällen sind es allerdings derzeit nicht die Wohnungsunternehmen, die Mieterstromanlagen betreiben und den Strom an die Mieter verkaufen. Sondern es sind Energieversorger, insbesondere Ökostromanbieter und Stadtwerke. Während sich große Energieunternehmen und auch der private Wohnungsbau noch vornehm zurückhalten, sind diese Pioniere bereits dabei, ihre Geschäftsmodelle in Richtung Mieterstrom 2.0 weiterzuentwickeln. Dazu gehört perspektivisch auch der Bereich der Elektromobilität und das Wärme-Contracting. So titelte der Münchener Mieterstromspezialist Polarstern kürzlich: „Wärmepumpen verdrängen BHKWs im Mieterstrom“. Sprich: Ein Stromverbraucher wird Teil des Mieterstrommodells anstelle eines fossilen Stromerzeugers.
Wie geht das? – Manuel Thielmann, Leiter dezentrale Energieversorgung bei Polarstern erklärt: „Wir haben uns mittlerweile auch zum Wärmelieferanten entwickelt. Und es wird in Zukunft immer mehr in die Richtung gehen, dass Mieterstromprojekte im Zusammenhang mit Wärmecontracting und auch Mobilitätscontracting zu sehen sind.“
Reversible Wärmepumpen
In mehreren Projekten, setzt Polarstern neben Mieterstrom auch auf Wärmepumpen, die teil reversibel betrieben werden können. Sie tragen also im Sommer, wenn viel Solarstrom da ist, zur Kühlung bei. So versorgt Polarstern ein Mehrfamilienhaus in Gießen mit elf Wohnungen mit Mieterstrom aus einer rund 20 kW starken PV-Anlage. Und auch reversible Wärmepumpen und Ladestationen für E-Mobilität sind im Energiekonzept enthalten. Sie steigern den Direktverbrauch der erzeugten Energie. So übernehmen im Sommer die Wärmepumpen die Kühlung des Gebäudes.
Eine Voraussetzung des Geschäftsmodells ist freilich, dass ein und dieselbe natürliche und juristische Person Wärmepumpe und PV-Anlage betreibt. Denn nur so ist der PV-Strom vom Dach, teils umlagebefreit, zur Wärmeerzeugung nennenswert günstiger als spezielle Wärmepumpentarife von Stromversorgern.
Noch kein Geschäftsmodell?
Diesen Zusammenhang nennt Simon Sprenger von der Berliner Solarimo GmbH als Hauptgrund dafür, warum das Mieterstrom-Start-up bislang von Wärmepumpen im Verbindung mit Mieterstrom-Projekten die Finger gelassen habe. „Wir haben uns zwar intensiv mit dem Thema auseinander gesetzt, aber wirklich geschäftsmodell-tauglich ist der Betrieb von Wärmepumpen mit PV insbesondere in Mehrfamilienhäusern leider nicht.“
Auch die Düsseldorfer Naturstrom AG beobachtet die Sektorenkopplung im Zusammenhang mit Mieterstromprojekten intensiv. Sie gehört spätestens seit Übernahme des Hamburger Grünstromwerkes vor vielen Jahren zu den Pionieren im Mieterstromsegment. Nach Referenzen zum Geschäftsmodell Mieterstrom plus Wärmepumpe fragt man aber auch dort bislang vergeblich. Naturstrom-Sprecher Sven Kirrmann verweist auf deutlich kompliziertere Mess- und Abrechnungskonzepte. Denn das mittlerweile von Netzbetreibern weitgehend anerkannte einfache Summenzählermodell stoße an seine Grenzen, wenn Eigenverbrauch und Mieterstrom gleichzeitig aus einer Anlage realisiert werden sollen.
Eine registrierende Lastgangmessung sei in den meisten Projekten von Polarstern ohnehin schon eingepreist, berichtet hingegen Manuel Thielmann von Polarstern. Er sieht eher ein Problem in teurer Fernwirktechnik, die fällig wird, sobald ein Mieterstromprojekt über 100 kW geplant würde – hier gelte es jeweils mit Netzbetreibern kooperativ zu verhandeln. Dabei geht es um die Fragen der Anlagenzusammenfassung im erweiterten Quartiersansatz des EEG 2021 – denn die einzelne Solaranlage auf einem Gebäude darf laut § 21 im EEG2021 weiterhin höchstens 100 kW groß sein. Auf den meisten Mietshäusern ist aber ohnehin nicht so viel Platz.
„Kleiner Mieterstrom“
Das alles sind Themen, die Millionen potenzielle PV-Betreiber unter Deutschlands Kleinvermietern nicht weiterbringen. Das Thema „Kleiner Mieterstrom“ hat die Politik auch in der jüngsten EEG-Novelle völlig außen vor gelassen. Thomas Seltmann, PV-Experte der Verbraucherzentrale NRW, sagt: „Das EEG 2021 hat an der Behinderung gemeinschaftlicher Eigenversorgung innerhalb von kleinen Mehrfamilienhäusern nichts geändert. Bei der Novelle wurden nicht einmal die Mindestanforderungen der EU-Richtlinie umgesetzt. Nach wie vor werden Verbraucher mit praktisch nicht umsetzbarer Bürokratie und Kosten belastet, wenn der Solarstrom im Haus von mehreren Nutzern gemeinsam verbraucht werden soll. Die EU-Richtlinie nennt solche Regelungen „diskriminierend“ und „unverhältnismäßig“.
21.3.2021 | Autor: Guido Bröer | Solarserver
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