Rechenfehler: Weniger Wind-Infraschall

Offshore Windpark WindenergieFoto: malp / stock.adobe.com
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hielt jahrelang an überhöhten Infra­schall­­wer­ten fest, die angeblich von Wind­kraft­anlagen hervorgerufen wer­­­den. Jetzt musste sie ihre Studie zurückziehen.

Es war ein peinlicher Moment für die BGR. Die Fachbehörde musste einräumen, in einer Studie über Infraschall-Belastungen durch Windkraftanlagen einen schwerwiegenden Rechenfehler gemacht zu haben. Diesen erachtete auch die Politik als derart relevant, dass sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, dem die Behörde untersteht, persönlich zu einer öffentlichen Entschuldigung genötigt sah.

Jahrelang fehlerhafte Annahme

Auslöser war eine Studie der BGR schon aus dem Jahr 2005. Sie hatte die großen Anteil daran, dass der Infraschall als vermeintliches Problem im Zusammenhang mit Windkraftanlagen populär werden konnte. Windkraftgegner warnten seither immer wieder vor dem – vermeintlich so intensiven – nicht hörbaren Schall. Doch über Jahre hinweg überprüfte niemand die Berechnungen ernsthaft.

Erst im März 2020 kamen Stefan Holzheu Zweifel. Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Bayreuth, der dort mit Sensordatenerfassung betraut ist, war aus Anlass eines Windprojekts in seiner Region auf die Modellrechnungen der BGR gestoßen. Dabei fielen ihm erhebliche Unstimmigkeiten auf. Während die BGR-Forscher im Umfeld einer Windkraftanlage Infraschallwerte von mehr als 100 Dezibel ermittelten, kamen andere Institutionen, speziell die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), auf deutlich niedrigere Werte. Und „deutlich“ bedeutete hier: drei bis vier Zehnerpotenzen. Also nichts, was man als Messungenauigkeit abtun konnte.

Ein Mann rechnet nach beim Infraschall

Diese Differenz ließ Naturwissenschaftler Holzheu nicht ruhen – er begann zu recherchieren und zu rechnen. Weil er dabei auf Werte kam, die den niedrigen Zahlen der LUBW entsprachen, nahm er Kontakt zur BGR auf. Er erhielt dort jedoch, wie er sagt, nur „ausweichende Antworten“. Also ging er in die Offensive und startete im April 2020 eine öffentliche Wissenschaftsdebatte über die Infraschallwerte. Er stellte eine „Diskussionsseite zur Klärung eines wissenschaftlichen Sachverhalts“ ins Netz.

Die BGR wehrte weiterhin ab. Sie verwies stur darauf, dass ihre Ergebnisse einen Peer-Review-Prozess eines Fachjournals durchlaufen hätten – ein übliches Verfahren zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeit. Diese Linie erhielt sie aufrecht, bis auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt sich einschaltete und Holzheus Kalkulationen stützte.

Nun erst räumte die BGR „einen systematischen Fehler“ ein. Die veröffentlichten Schallwerte seien um „36 Dezibel zu hoch“ gewesen. Da die Skala logarithmisch ist, beläuft sich der Fehler damit auf einen Faktor von mehreren Tausend. Das entsprach ziemlich genau den Kalkulationen Holzheus, der den Rechenfehler bereits frühzeitig „auf einen Faktor 1000 bis 10.000“ beziffert hatte.

Formal keine Auswirkungen auf Genehmigungsverfahren

Formal sind die Folgen der Korrektur allerdings gering. Denn die fehlerhaften Berechnungen sollen „in Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen keine Rolle gespielt“ haben, wie das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Anfrage des Grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer erläuterte. Aber die Studie sei „leider oft von Bürgerinitiativen angeführt“ worden, um „fälschlicherweise daraus eine Gefahr von Infraschall von Windenergieanlagen für den menschlichen Organismus abzuleiten“.

So beschränkt sich die Relevanz der BGR-Zahlen auf ihre politische Wirkung. Die falschen Berechnungen hätten über Jahre hinweg „die Diskussionen in den konkreten Projekten stark belastet und emotionalisiert“, sagt Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes Windenergie (BWE). Sie hätten „auch in der Abstandsdebatte immer wieder als Hilfsargument“ gedient. In welchem Umfang der Rechenfehler die Akzeptanz an den Windstandorten geschädigt und damit auch Projekte verhindert hat, ist jedoch schwer zu bemessen.

21.5.2021 | Autor: Bernward Janzing | Solarserver
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