Thinktanks: Gasheizungen im Neubau ab 2024 verbieten

Zu sehen ist das Deckblatt der Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz von Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende.Grafik: Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende
50 Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz.
Stiftung Klimaneutralität, Agora Energiewende und Agora Verkehrswende zeigen auf, wie die nächste Bundesregierung mit schnellem und konsequentem Handeln das angehobene Zwischenziel für 2030 erreichen und Fehlinvestitionen vermeiden kann. Unter den 50 Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz befindet sich auch ein Verbot von Gasheizungen im Neubau ab 2024.

Nach der Novellierung des Klimaschutzgesetzes, die der Bundestag nach derzeitiger Planung noch vor der Sommerpause vom Bundestag beschließen soll, ist rasches Handeln gefordert. Die Politik muss in der neuen Legislaturperiode unverzüglich konkrete Instrumente vorlegen. Nur so kann Deutschland sein angehobenes Ziel erfüllen, den CO₂-Ausstoß um mindestens 65 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 zu senken. Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität, Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende und Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende haben nun 50 Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz vorgelegt.

„In großen Teilen der Welt setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Klimawandel schnelles Handeln erfordert. Es gibt einen Wettbewerb um die beste Strategie auf dem Weg zur Klimaneutralität. Dabei geht es auch um den Erfolg auf den Märkten von morgen“, sagt Rainer Baake. „Unser Ansatz basiert auf einem Mix von 50 Instrumenten. Mithilfe von CO₂-Bepreisung, Ordnungsrecht, Fördermaßnahmen und steuerlichen Anreizen kann eine innovative und zugleich sozial ausgewogene Transformation der deutschen Volkswirtschaft in Richtung Klimaneutralität gelingen. Unsere Vorschläge sind sorgfältig über die Sektoren hinweg aufeinander abgestimmt und ergänzen einander. Sie vermeiden Fehlinvestitionen, verbessern die Effizienz und sorgen für eine breite Elektrifizierung aller Sektoren sowie den Einsatz von Wasserstoff.“

Baake, Graichen und Hochfeld wollen ihre Handlungsempfehlungen als Angebot an die politischen Parteien verstanden wissen, die nach der Bundestagswahl in Koalitionsverhandlungen zum Thema Klimaschutz eintreten werden. „Über alle Sektoren hinweg haben wir die wesentlichen Hebel zur Treibhausgasminderung identifiziert und hierfür Instrumente entwickelt. Diese basieren auf einer Vielzahl von wissenschaftlichen Studien und rechtlichen Gutachten, die unsere drei Institutionen in den vergangenen Monaten in Auftrag gegeben haben.“

Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz im Einzelnen

Die 50 Handlungsempfehlungen sind in die für den Klimaschutz relevanten fünf Schlüsselsektoren der deutschen Wirtschaft aufgegliedert. Energie, Verkehr, Industrie, Gebäude und Landwirtschaft. Hinzu kommen sektorübergreifende Maßnahmen. Dazu zählt etwa ein „automatischer Nachsteuerungsmechanismus“ im Bundes-Klimaschutzgesetz, der dafür sorgen soll, dass der CO₂-Preis erhöht oder vergleichbar wirksame Maßnahmen greifen, falls man die Sektorziele verfehlt.

Zudem plädieren die drei Thinktanks für eine grundlegende klimaschutzorientierte Reform des bisherigen Systems von Steuern, Abgaben, Umlagen und CO₂-Bepreisung, so dass es marktwirtschaftliche Anreize zum Umstieg auf klimafreundliche Technologien bietet. Um die Stromkosten zu senken, soll die Politik die EEG-Umlage schnellstmöglich, frühestens zum 1. Januar 2023 und spätestens zum 1. Januar 2025, abschaffen. Zur Gegenfinanzierung sollen die Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel und aus der höheren CO₂-Bepreisung dienen. Weitere für die ökologische und sozial gerechte Modernisierung freiwerdende Mittel versprechen sich die Experten von dem drastischen Abbau umweltschädlicher Subventionen.

Um Fehlinvestitionen und Entschädigungsansprüche von Privaten gegen die Gemeinschaft der Steuerzahlenden (wie beim Kohleausstieg) zu vermeiden, soll der Gesetzgeber die Verwendung von fossilen Energieträgern in allen Bereichen der Volkswirtschaft auf den 1. Januar 2045 gesetzlich befristet. Verabschiedet man 2022 ein entsprechendes Gesetz, bleiben allen Beteiligten 22 Jahre Zeit für Abschreibungen und Anpassungen.

Handlungsempfehlungen Energie

Da eine Elektrifizierung der anderen Sektoren und die Produktion von Wasserstoff große CO₂-freie Strommengen erfordern, schlagen die drei Organisationen ein breites Bündel von Maßnahmen vor, mit dem ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien gelingen kann. Deren Anteil am Stromverbrauch soll bis 2030 auf mindestens 70 Prozent steigen. Mit konkreten Gesetzesvorschlägen wird aufgezeigt, wie für Windenergie-Anlagen zusätzliche Flächen verfügbar gemacht werden können, die Genehmigungsverfahren gestrafft und der Zielkonflikt mit den Belangen des Artenschutzes durch Schutzabstände gegen Vogelschlag konstruktiv aufgelöst werden kann. Darüber hinaus soll auch der Bau von Offshore-Windenergie-Anlagen forciert und die Erzeugung von Solarenergie in Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen gestärkt werden. Für Neubauten und Dachsanierungen soll die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen zum verbindlichen Standard werden.

Des Weiteren schlagen die drei Thinktanks einen nationalen CO₂-Mindestpreis für den Stromsektor vor. Dieser solle den CO₂-Preis im Rahmen des europäischen Emissionshandels nach unten absichern, 2025 bei 50 Euro starten und bis 2030 auf mindestens 65 Euro steigen. Baake: „Damit wird die Kohleverstromung bis 2030 beendet.“

Handlungsempfehlungen Verkehr

Mit einem Kanon aufeinander abgestimmter Maßnahmen wollen die Klimaexperten den Bestand an Elektro-Pkw bis 2030 auf mindestens 14 Millionen steigern. Die Politik soll dies unter anderem mit einer Umgestaltung der Kfz-Steuer erreichen. Diese entfaltet eine deutliche Lenkungswirkung in Richtung Elektro-Pkw. Zudem empfehlen die Thinktanks, im Rahmen der Dienstwagenbesteuerung anfallende klimaschädliche Subventionswirkungen bei Verbrennerfahrzeugen zu beseitigen.

Entlastungen emissionsfreier Fahrzeuge sowie Belastungen für Verbrenner-Lkw bei der Lkw-Maut, die Beschleunigung des bedarfsgerechten Ausbaus der Ladeinfrastruktur und eine Verschärfung der CO₂-Flottengrenzwerte in der EU sollen die Elektrifizierung von Lkw voranbringen.

Zu den weiteren Maßnahmen zählen der Ausbau des Eisenbahnnetzes und die Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs. Ziel ist hier eine Verdopplung der Fahrgastzahlen und ein Anteil der Schiene am gesamten Güterverkehr von 25 Prozent. Darüber hinaus soll die Politik den Bundesverkehrswegeplan an die Erfordernisse eines klimaneutralen Deutschlands im Jahr 2045 anpassen. Vorrang sollen die Substanzerhaltung der Verkehrsinfrastruktur und der Ausbau des Schienennetzes bekommen. Finanzielle Privilegien des Luftverkehrs soll der Gesetzgeber beseitigen. Dazu soll er die Sätze der Luftverkehrsabgabe auf das Niveau des Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent anheben.

Christian Hochfeld: „Die aktuelle Debatte um steigende Benzinpreise hat deutlich gemacht: Bevor wir im Verkehrssektor über Maßnahmen diskutieren, braucht es einen politischen Grundkonsens, den es in der Wissenschaft längst gibt: Wir können uns nicht aus der Klimakrise herausfördern. Neben Fördermitteln und Angeboten für Elektromobilität und öffentlichen Verkehr, die ein neues Mobilitätsverhalten als Alternative zum privaten Pkw ermöglichen, braucht es strengere Vorgaben und höhere Preise für klimaschädliche Mobilität. Nur so können die höchstambitionierten Klimaschutzziele im Verkehr erreicht werden.“

Handlungsempfehlungen Industrie

Für den Industriebereich empfehlen die drei Thinktanks, klimaneutrale Technologien in der Grundstoffindustrie zu fördern. Dazu soll die Politik Klimaschutzverträge in Form von Carbon Contracts for Difference (CCfD) gesetzlich einführen. Mit denen finanziert man die Differenzkosten zwischen der klimaneutralen Technologie und den am Markt erzielbaren Erlösen.

Graichen: „Wenn die Politik nicht schnell handelt, wird am Standort Deutschland nicht mehr investiert. Schon 2022 brauchen wir ein Gesetz, das klimaneutrale Investitionen in der Industrie ermöglicht, sonst überaltert die wirtschaftliche Basis Deutschlands, denn keine Firma investiert jetzt noch in alte, fossile Technologien.“

Handlungsempfehlungen Gebäude

Für Neubauten soll ab 2024 der Einbau fossiler Heizungsanlagen nicht mehr zulässig sein. Für wesentliche Umbauten von Bestandsgebäuden legt der Gesetzgeber erhöhte energetische Anforderungen fest. Den klimaneutralen Neubau und die klimaneutrale Gebäudesanierung wollen die Klimaexperten jährlich mit zwölf Milliarden Euro fördern.

Die steigenden CO₂-Kosten sollen Vermieter ab 2023 nicht mehr auf Mieterinnen und Mieter umgelegen dürfen, um so Vermietenden einen Anreiz zur energetischen Sanierung und Umstellung auf CO₂-freie Heizsysteme zu geben. Die Modernisierungsumlage bei energetischer Sanierung soll der Gesetzgeber auf 1,5 Prozent absenken. Fördermittel muss der Vermieter zukünftig nicht mehr von den umlagefähigen Kosten abziehen und sie verbleiben so beim Gebäudeeigentümer (Drittelmodell). „Sowohl klimapolitisch als auch sozialpolitisch gilt: Strompreis runter, CO₂-Preis rauf. Und die höheren CO₂-Kosten nicht auf die Mieterinnen und Mietern abwälzen, sondern als Anreiz bei den Vermietenden belassen. Denn die haben es in der Hand, in eine neue, CO₂-arme Heizung oder eine gute Dämmung zu investieren“, sagt Graichen.

Die 50 Handlungsempfehlungen für den Klimaschutz der drei Thinktanks sind unter diesem Link zu finden.

17.6.2021 | Quelle: Agora Energiewende | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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