EU-Maßnahmen zum Klimaschutz: „Fit for 55“: Lob fürs Ganze, Kritik im Detail

Flaggen der Mitgliedsländer vor EU Parlament in Straßburg, EuropaFoto: Guido Bröer
Am gestrigen Mittwoch hat die EU-Kommission ihr Maßnahmenpaket „Fit for 55“ vorgestellt, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Echo ließ nicht lange auf sich warten.

„Fit for 55“ beschreibt die Maßnahmen, mit denen die EU ihre Klimaschutz-Ziele im Rahmen des „Green Deal“ erreichen will (vgl. gestriger Solarthemen-Artikel). Zentrale Aspekte sind die Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die Sektoren Wärme und Verkehr, Anpassungen der Erneuerbare-Energien-Richtlinie und der Energieeffizienzrichtlinie und der Energiesteuerrichtlinie. Im Großen und Ganzen nehmen Verbände und Interessensvertreter das Paket positiv auf. An vielen Punkten gibt es aber auch Kritik.

Svenja Schulze: Deutschland ist gut vorbereitet

Bundesumweltministerin Svenja Schulze zeigt sich erfreut von den Plänen: „Es geht um nichts weniger als eine neue industrielle Revolution, angeführt von der Europäischen Union.“ Deutschland sei gut vorbereitet und habe mit ihrem neuen Klimaschutzgesetz die neuen Vorgaben aus Brüssel schon weitgehend eingeplant. Sie rechne allerdings noch mit intensiven Verhandlungen.

Dena: Globale Kooperationen schaffen

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur dena, lobt die Klimaschutz-Maßnahmen der EU für ihre „Vielschichtigkeit“. Er betont die Bedeutung der anstehenden Verhandlungen mit den globalen Stakeholdern, unter anderem in Bezug auf Leitmärkte für klimaneutrale Produkte und den Aufbau einer globalen Wasserstoffwirtschaft. Dabei sei auch die EU auf internationale Kooperation angewiesen.

BDEW: Deutscher Brennstoffemissionshandel als Blaupause für EU

Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), begrüßt die nun gesetzten Leitlinien angesichts des Zeitdrucks. „Bis 2030 sind es nur noch wenige Jahre“, sagt sie. Der BDEW sieht in den CO2-Preisen das Schlüsselinstrument unter den Klimaschutz-Maßnahmen der EU schlechthin. Es sei positiv, dass der Emissionshandel in der EU vorerst als separates System erhalten bleibe. Andreae begrüßt auch die „angemessene Anhebung“ des linearen Reduktionsfaktors auf 4,2 Prozent, die an den neuen Klimazielen ausgerichtet sei.

Der Emissionshandel für die Sektoren Gebäude und Verkehr gehe in die richtige Richtung. Hier gebe es allerdings noch einige Fragezeichen, zum Beispiel zur Abgrenzung der Sektoren. Sie legt der EU den deutschen Brennstoffemissionshandel als Blaupause nahe. Um das neue Ausbauziel für die erneuerbaren Energien von mindestens 40 Prozent zu erreichen, müssten allerdings Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller werden. „Hier hätten wir uns von der EU-Kommission mehr Unterstützung gewünscht“, sagt Andreae. Das indikative Ziel, im Gebäudesektor 49 Prozent erneuerbare Energien zu erreichen, könne man nur erfüllen, wenn „alle Erfüllungsoptionen ausgeschöpft werden“. Das sind neben der Elektrifizierung auch der Ausbau der Fernwärme und erneuerbare Gase. Vorgaben zur „Additionalität“ dürften den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft nicht ausbremsen. Außerdem sollte ein System handelbarer Herkunftsnachweise ergänzt werden, findet der BDEW.

BNE: EE-Ausbau nicht durch neue Beihilfe-Vorschriften bremsen

Der Bundesverband neue Energiewirtschaft (bne) nennt das Klimapaket „mitunter ambitionierter als vorab bekannt gewordene Entwürfe erahnen ließen.“ Bne-Geschäftsführer Robert Busch lobt insbesondere den Sozialfonds, in den 25 Prozent der Einnahmen aus dem Emissionshandel ETS fließen sollen. Dennoch seien an vielen Stellen Nachbesserungen nötig. Mit Blick auf die Erweiterung des ETS auf die Sektoren Wärme und Verkehr mahnt er, zunächst das bestehende System zu reformieren. Nachdem nun der Reduktionsfaktor für Energieerzeugung und Industrie verdoppelt worden sei, müsse man frei zugeteilte Zertifikat streng begrenzen. Busch mahnt die EU außerdem, dem Ausbau der Erneuerbaren nicht selbst durch neue Beihilferichtlinien im Wege zu stehen.

BEE: Ziele zu niedrig und unverbindlich

Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) wirft der EU zu niedrige Ausbauziele für die Erneuerbaren vor. Anstelle von 40 Prozent seien mindestens 45 Prozent nötig und machbar. Außerdem fehle es an verpflichtenden Zielen für die Mitgliedsstaaten, sodass die Ziele insgesamt nicht abgesichert seien. BEE-Präsidentin Simone Peter warnt vor „zahlreichen offenen Flanken“ in den Klimaschutz-Maßnahmen der EU: Blauer Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe würden durch lange Investitions- und Förderzeiträume ein überkommenes Energiesystem zementieren. Der Fokus für die Sektoren Verkehr und Gebäude müsse zudem auf dem möglichst direkten Einsatz erneuerbaren Energien liegen, ohne den Umweg über Sekundär- und Tertiärenergieträger. Peter begrüßt die besseren Rahmenbedingungen für Power Purchase Agreements (PPA) und die Reform des ETS. „Die CO2-Bepreisung im Bereich Wärme und Verkehr über den ETS sei eine wichtige Bedingung für fairen Wettbewerb.“ Explizite THG-Minderungsquoten, Effizienzvorgaben und gezielte Förderprogramme würden aber dennoch für längere Zeit nötig bleiben.  

Solar Heat Europe: Erneuerbare Wärme dreimal so schnell steigern

Der Branchenverband Solar Heat Europe lobt die EU für die „hervorragende Arbeit“, die in das Paket eingeflossen sei und die Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III). Costas Travasaros, Präsident von Solar Heat Europe, verweist aber auch auf die lange Lebensdauer von Heiz- und Kühlsystemen. Es sei daher entscheidend, die Umstellung auf erneuerbare Lösungen wie Solarwärme zu beschleunigen. „Unsere Industrie ist bereit zu liefern“, sagt Travasaros. Die vorgesehen Steigerung für erneuerbare Wärme solle daher nicht wie vorgesehen bei 1,1 Prozentpunkten liegen, sondern bei 3,1. Travasaros lobt die Benchmark von 49 Prozent Erneuerbaren Energien. Dafür müssten jährlich 6 Prozent alter und ineffizienter Heiz- und Kühlgeräte ausgetauscht werden, rechnet er vor.

Solar Heat Europe lobt auch jährlichen Steigerungsziele von 2,1 Prozentpunkten für die Fernwärmenetze und 1,1 Prozentpunkten für die Industrie. Diese müssten allerdings verbindlich werden. Der Verband weist darauf hin, dass die Energieagenturen Irena und IEA in ihren Klimschutzpfaden eine globale Vervielfachung der Solarthermie vorsehen würden. In Dänemark sei solare Fernwärme im Jahr 2019 für 0,045 US-Ct pro Kilowattstunde erzeugbar gewesen. Auch in Österreich und Deutschland seien die Installationskosten in den letzten sieben Jahren um etwa die Hälfte gesunken.

15.7.2021 | Quelle: BMU, dena, BDEW, bne, BEE, Solar Heat Europe | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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