Timo Leukefeld: Wir brauchen einfache Technik

Timo Leukefeld vor einer GlasfassadeFoto: Stefan Mays
Timo Leukefeld
Prof. Timo Leukefeld lehrt als Honorarprofessor an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und an der BA Glauchau das Thema vernetzte energieautarke Gebäude. Er entwickelte selbst energieautarke Häuser, zunächst mit großen Solarthermie-Anlagen. Im Interview erklärt er, warum er sich nun der Photovoltaik zuwendet und warum er sich für einfacheres Bauen einsetzt.

Solarthemen: Die Lübbener Wohnungsbaugesellschaft baut in Lübben bei Berlin die ersten enttechnisierten und energieautarken Mehrfamilienhäuser Deutschlands gemeinsam mit Ihnen. Was genau bedeutet „enttechnisiert“ und was „energieautark“?

Timo Leukefeld: Wir wollen nicht weniger als einen Paradigmenwechsel im Bauen erreichen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre, vorangetrieben durch die staatliche Förderung, wie die KfW-Programme, hat zu einer technisierten Bauweise geführt. Je mehr Technik verbaut wird, umso höher fällt die Förderung aus. Wenn ich zusätzlich Technik einbaue, dann wird das von staatlicher Seite belohnt. Das führt aber dazu, dass die Haustechnik für den Bauherren trotz Förderung immer teurer wird.

Was bis jetzt noch übersehen wird: Damit steigen auch die Instandhaltungs- und Modernisierungskosten. Was zudem gerne übersehen wird, ist der zunehmende Handwer­kermangel. Er ist für uns praktisch ausschlaggebend für die Abkehr von der vielen Technik. Die Zukunftsforschung rechnet in zehn Jahren mit Preisen von 200 bis 250 Euro/Stunde zum Beispiel beim Heizungsbauer. Wir sprechen bereits von der so genannten 3. Miete, die immer mehr an Bedeutung gewinnen wird, wenn man diesen Weg vollzieht. Wir müssen uns trauen, vielbeschworene Technik in Frage zu stellen.

Weniger ist mehr. „Enttechnisiert“ bedeutet für uns, dass wir die Gebäudeversorgung mit Energie, also Heizung, Warmwasser und Strom, komplett strombasiert ausführen und keine wassergeführten Systeme mehr einbauen. Das heißt keine Wärmepumpe mehr, keine Radiatoren mehr, keine Fußbodenheizung. Stattdessen heizen wir zum Beispiel mit Infrarot-Heizungen. Leider fällt bei uns dann auch die Solarthermie weg. „Energieautark“ bedeutet für uns echte Unabhängigkeit, im Sinne von Selbstversorgung vor Ort mit mehr als 50 Prozent echter solarer Deckung des gesamten Energiebedarfs des Gebäudes. Wir grenzen uns damit auch vom Begriff der „Klimaneutralität“ ab, der meist bilanziell errechnet wird. Ich bin kein Freund von Jahresbilanzen in diesem Sinne.

Sie sind zuerst über das Thema Solarthermie und großer, gebäudeintegrierter Speicher sehr bekannt geworden. In Ihrem neuen Konzept spielt die Solarthermie keine Rolle mehr, stattdessen die Photovoltaik. Warum dieser Wandel? Ist er Ihnen schwergefallen?

Das ist mir in der Tat schwergefallen. Ich bin drei Monate in ein tiefes Loch gefallen und war praktisch für keinen ansprechbar. Es ist schon schwer, wenn man erkennt, dass ein Weg nicht weitergeht, und sich das dann selbst einzugestehen. Zumal auch in Deutschland, wo hier Richtungsänderungen nur schwer verziehen werden, anders als zum Beispiel in den USA. Wohlgemerkt, wenn sie begründet sind und es sich nicht um Opportunismus handelt. Die Solarthermie ist nicht günstiger geworden im letzten Jahrzehnt, die Photovoltaik schon.

Die PV liegt heute im Einfamilienhaus bei 9 bis 10 Cent je Kilowattstunde, in 10 Jahren wird sie bei 1 bis 2 Cent liegen. Hinzu kommt, und das klingt zynisch, dass aufgrund des Klimawandels das Thema Heizen gegenüber dem Thema Kühlen in Zukunft in Verbindung mit hochgedämmten Häusern an Bedeutung verliert. Wir werden uns mehr der Frage zuwenden müssen, wie wir Gebäude kühlen. Die Solarthermie wird aus meiner Sicht im Altbau weiter eine große Rolle spielen, im Neubau aber nicht.

Sie sprechen im Rahmen Ihres Konzepts von der „doppelten Disruption“, die nötig sei. Was meinen Sie damit?

Der Begriff Disruption beschreibt im technischen Umfeld ja die Situation, dass eine bestehende Technik durch eine neue ersetzt wird. Man kann das aber verallgemeinern und grundsätzlich übertragen. In unserem Fall bezieht sich der Begriff Disruption einerseits auf die Technik, indem wir strombasierte Hauskonzepte verwirklichen und auf die klassische wassergeführte Haustechnik verzichten. Andererseits bedeutet es auch einen Bruch mit der klassischen Herangehensweise, wie Immobilien als Mietobjekt kalkulatorisch und dann später auch vertragstechnisch aufgezogen werden.

Wenn in zunehmend technisierten Gebäuden der Faktor Wartungs- und Instandhaltungskosten größer wird sowie die 2. Miete, die klassischen Betriebskosten, etwa über Heizkosten, weiter steigen und die CO2-Steuer greift, dann wird die Marge für Investoren, die Rendite über die Kaltmiete erzielen wollen, immer kleiner, weil sich in der Summe die Mietpreise dann nicht mehr kommunizieren lassen. Bei der Disruption geht es also auch um ein Umdenken. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle.

Eine Säule in Ihrem Konzept ist, eine Pauschalmiete inklusive einer Energieflat für Wärme und Strom zu garantieren. Würden Sie einmal konkret erläutern, was darunter zu verstehen ist und was das beinhaltet, auch in Zahlen? Was sind Ihre Berechnungsgrundlagen und wie hoch wird die Miete in Lübben unterm Strich sein?

Wir bauen energetisch gesehen vergleichbar mit dem vielen bekannten KfW-55-Standard. In Lübben wird eine PV-Gesamtleistung von 48,3 Kilowatt installiert. Wir planen, eine echte solare Deckungsrate von 50 bis 70 Prozent bei Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom in den von uns so konzipierten Häusern und orientieren uns bei dem Begriff an der Definition des Sonnenhaus-Instituts. Das simulieren wir im Vorfeld anhand von uns vorliegenden Daten und auch über Daten aus den Monitorings, die wir an bereits durchgeführten Projekten sammeln, zum Beispiel in Cottbus und Wilhelmshaven.

Neben der PV fließen hier andere Planungsfaktoren mit ein, um das Ziel zu erreichen. Dazu gehört es, Pultdächer zu bauen, auch die Fassade als Fläche für PV zu nutzen und, was auch ganz wichtig ist, in Punkto Baukörper als Energiespeicher wieder neu zu denken in Richtung Massivbau und Wandstärken. Südfenster werden bei uns tatsächlich relativ klein gehalten. Die Erfahrung aus dem heute hochgedämmten Wohnungsbau ist ja leider, dass diese Häuser im Sommer durch die passive Sonneneinstrahlung sehr schnell überhitzen. Beobachten Sie mal, wie viele Jalousien heruntergefahren werden, wenn die Sonne im Sommer scheint. Wir gehen mit dem Angebot einer Miet- und Energie­flatrate – einschließlich Heizung, Warm­wasser, Haushaltsstrom und E-Auto tanken sowie sonstigen Betriebskosten – mit 2-3 Euro/m2 Aufschlag auf die Kaltmiete an den Markt. Die Energieflat wird im Vertrag dann über 5 oder 10 Jahre in dieser Höhe garantiert. Hier kann der Vermieter wählen, welches Modell er nimmt.

Wird die Flat in der Praxis funktionieren? Sie lädt auch zu Mehrverbrauch ein. Man guckt nicht mehr so genau hin. Welche Sicherheitssperren sind im Konzept eingebaut, um zu vermeiden, dass dem Vermieter aufgrund von unkalkuliertem Verbraucherverhalten die Kalkulation um die Ohren fliegt?

Wir sprechen in solchen Fällen von Energienomaden, die jegliche Flatrate sprengen. Das ist auch aus anderen Bereichen bekannt, zum Beispiel beim Handy, wenn jemand seine Flatrate dazu nutzt, um eine Telefonstandleitung nach China aufzubauen. Hier verfahren wir wie alle anderen auch: Wir setzen eine Verbrauchsobergrenze, die allerdings auch sehr großzügig bemessen ist, so dass im Normalfall hier niemand an die Grenze stößt. Sollte allerdings doch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dann haben wir die Möglichkeit, die Stromflüsse über einen Elektriker aktuell zu messen. Unser Konzept basiert ja zwar auch darauf, dass bei uns keine individuellen Zähler mehr eingebaut werden und damit auch Messkosten von Messdiensten entfallen und das ganze Abrechnungswesen für Mieter und Vermieter sehr vereinfacht wird. Dennoch gibt es die Möglichkeit, im Zweifelsfall Stromflüsse zu ermitteln. Aber die Mieter, die in solche Objekte ziehen wollen, tun das auch sehr bewusst.

Was ist mit selbst erzeugtem PV-Strom, den man zeitweise weder direkt nutzt noch in gebäudeeigenen Solarstromspeichern parkt und der deshalb ins Netz fließt? Zu anderen Zeiten muss aber Strom bezogen werden. Wo sind da gegebenfalls die Stellschrauben?

Wir haben da verschiedene Möglichkeiten. Der erste Weg, wenn PV-Strom geparkt werden muss, ist sicher der in die von uns eingeplanten Solarstromspeicher. Bei der Warmwasserbereitung setzen wir ja auch nicht auf ein zentrales System, sondern auf dezentrale Systeme. Der Klassiker ist der Durchlauferhitzer. Wir setzen auf selbst entwickelte kluge dezentrale Boiler mit Solarüberschussstromnutzung. Wir planen auch, die E-Mobilität mit einzubauen. Wir stellen uns vor, dass ein E-Auto für einen Komplex in der Flatrate inbegriffen ist. Die Mieter können dann über ein Car-Sharing das hauseigene Auto nach Voranmeldung nutzen. Das macht das Konzept zusätzlich attraktiv. Die Nachfrage ist enorm. Beim Strombezug von außen schreiben wir Ökostrom verbindlich vor. Das Konzept würde ja auch keinen Sinn machen, wenn die Deckungslücke wahlweise auch mit Atom- oder Kohlestrom aufgefüllt wird.

Sind schon weitere Projekte in Planung und wo?

Wir haben aktuell tatsächlich 325 Wohneinheiten in der Planungspipeline, verteilt über ganz Deutschland, auch in Österreich und der Schweiz. In Frankreich planen wir das Konzept im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, was auch neu ist. Dazu ein paar Sonderbauten. Wir machen ja auch keine Ausführungsplanung, sondern liefern mit unserem energetischen Kompass die schlüsselfertige Strategie bis hin zum Mietvertrag.

16.9.2021 | Interview: Dittmar Koop
© Solarthemen Media GmbH

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