Grüne Wärme aus der Wand
So kommt grüne Wärme aus der Wand: an einem Grazer Hochhaus will das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC ab Herbst seine neue Energiefassade demonstrieren. Sie soll die alten Mauern mit minimalem Aufwand zu Flächenheiz- und Kühlsystemen machen, die auch Energie speichern können. Der Prototyp hat im Projekt MultiTab die Tests am Prüfstand gut bestanden. Auch ein Patent gibt es bereits. Durch serielle Sanierung lassen sich hunderttausende unsanierte Häuser aus den 60er bis 80er Jahren zu geringen Kosten auf Klimaschutzkurs bringen.
Geringe Sanierungsquoten
Um die Klimaschutzziele im Wärmesektor zu erreichen, ist eine umfassende Sanierung des Gebäudebestandes nötig. Doch diese läuft seit Jahren bestenfalls schleppend. In Österreich lag die Sanierungsquote zuletzt bei 0,5 Prozent, in Deutschland hing sie im letzten Jahrzehnt bei etwa 1 Prozent fest. Die serielle Sanierung mit vorgefertigten, gedämmten Vorhangfassaden könnte dabei Abhilfe schaffen.
Das im Rahmen von Austrian Cooperative Research (ACR) geförderte Projekt MultiTab unter der Leitung von AEE – Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) geht noch einen Schritt weiter. Die Vorhangfassade ist hier zugleich die Tragekonstruktion für Solarenergiesysteme (Photovoltaik oder Solarthermie), Flächenheizsystem und Wärmespeicher. Das ermöglicht eine hohe Sanierungstiefe bis hin zur thermischen Bauteilaktivierung, die im Bestand sonst nicht möglich wäre. Die Sanierung kann vor Ort in kurzer Zeit und mit geringem Personaleinsatz erfolgen. Die Gebäude können zugleich durchgängig bewohnt beziehungsweise genutzt werden, was zu einer erhöhten Akzeptanz führt.
Im Forschungsprojekt MultiTab haben AEE INTEC und die Partnerorganisationen Protypen für eine solche Energiefassade und grüne Wärme entwickelt und auf dem Prüfstand getestet. Der Piloteinsatz läuft gerade an.
Prototyp hat sich auf dem Teststand bewährt
Grundlage für den Prototypen ist eine Vorhangfassadenkonstruktion in Holz- oder Metallbauweise. Als aktives Heizelement kommt ein kommerziell verfügbares Fußbodenheizsystem zum Einsatz, das mit Klettmaterial auf einer Hohlkammerplatte befestigt wird. Das Riegelwerk ist innen und außen jeweils von einer Windfolie umschlossen. Beim Einblasvorgang des Dämmmaterials wird dieses komprimiert und drückt das Flächenheizsystem an die bestehende Außenwand des Gebäudes. Zugleich sorgt das eingepresste Dämmmaterial dafür, dass der Kontakt dauerhaft bestehen bleibt. So stellt es einen guten Wärmeübergang zwischen Heizschicht und der alten Außenwand sicher.
Mit diesem Aufbau und Anpressverfahren erreicht der Prototyp einen Heat Transfer Coefficient (HTC) von etwa 5 W/m²K. Dieser Wert beschreibt, wie gut die Wärme aus der Energiefassade an die Wand übergeht. Insgesamt ist die Vorhangfassade gut 25 Zentimeter dick. Für den Fassadenaufbau und das Verfahren zum Anpressen der aktiven Heizschicht an die Fassade hat AEE INTEC ein Patent angemeldet.
Den Prototypen hat AEE INTEC in der eigenen Fassaden-Prüfeinrichtung für grüne Wärme knapp drei Monate lang unter realen Bedingungen getestet. Dabei zeigte sich, dass die Messwerte für Wärmedurchgang und andere Eigenschaften sich sehr gut mit den Werten aus der Simulation decken. Auch auf potenzielle Kondensationsprobleme bei einer Kühlanwendung wurde die Fassade untersucht. Doch selbst bei niedrigen Kühltemperaturen für hohe Kühlleistungen trat bei der fachgerechten Montage keine Kondensation auf.
Gebäude der 1960er bis 1980er gut geeignet
Die Untersuchungen im Projekt MultiTab haben gezeigt, dass diese Art der Sanierung für Gebäude aus den 1960er bis 1980er Jahren besonders interessant ist. Die Fassaden aus dieser Bauzeit sind meist geradlinig, was den Einsatz großflächig vorgefertigter Fassadenelemente vereinfacht. Zugleich sind die Gebäude nicht eigens gedämmt. Das erhöht nicht nur die Energiekosteneinsparung, sondern erleichtert auch das Heizen und Kühlen über die Außenwand. In jenen Jahrzehnten bestanden Außenwände vor allem aus Hochlochziegel, Vollziegel, Vollbeton oder Mantelbeton. Die Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass sich bei entsprechender Reduktion des Heizwärmebedarfs all diese Wandaufbauten ausgezeichnet für eine Beheizung oder Kühlung über die Außenwände eignen. Allerdings leitet Beton die Wärme deutlich besser als Hohllochziegel. Das kann man kompensieren, indem man bei Hohllochziegeln die aktive Heizebene der Energiefassade mit Wärmeleitblechen ausstattet. Je nach Heizsystem kann man auch auf höhere Vorlauftemperaturen setzen.
Bauteilaktivierung von außen bietet großes Speicherpotenzial
Ein weiterer Vorteil der aktiven Energiefassade ist es, dass sie Gebäude und Wände als thermische Speicher nutzbar macht. Durch diese Bauteilaktivierung wird es möglich, den fluktuierenden Wind- und Solarstrom genau dann in Wärmepumpen zu nutzen, wenn er in großen Mengen verfügbar ist. Die energieaktive Fassade für grüne Wärme bietet die Möglichkeit, auch die großen Potenziale von Bestandsgebäuden hierfür zu erschließen. Die maximale Speicherkapazität ist im Vergleich zu bestehenden Radiatorheizungen mehr als zehn Mal so hoch. Demensprechend länger sind die Zeiträume, die nach dem Beladen der Wand ohne aktive Wärmezufuhr überbrückt werden können.
Je nach Behaglichkeitsempfinden sind sogar mehrere Tage möglich. Auch um Produktionsspitzen in der Windenergie abzupuffern und sinnvoll zu nutzen, eignet sich die Bauteilaktivierung. In Österreich gibt es rund 624.000 Wohnungen aus den 60er bis 80er Jahren. Sie haben zusammen 26 Millionen Quadratmeter Fassadenflächen. Würde man diese mit Energiefassaden sanieren, erhielte man einen thermischen Kurzzeitspeicher mit einer Kapazität von 31,2 GWh(th). Das ist genug, um eine Stunde lang die Energie aus mehr als 6.000 großen Windkraftanlagen aufzunehmen.
Vom Prototypen zum Pilotprojekt
Der erste praktische Einsatz des vollständigen Konzeptes soll ferner in einem Bürogebäude in einem Grazer Gewerbegebiet erfolgen. Ein ehemaliger Futtermittel-Silo wird dabei zu einem Bürogebäude im Passivhausstandard umgebaut. Die multifunktionale Energiefassade ist ein essentieller Teil des Konzepts und liefert die komplette Heiz- und Kühlenergie sowie einen Teil des Stroms für die Wohnungen. Durch die fassadenintegrierten Photovoltaikmodulen wird mehr Strom über das Jahr produziert als das Gebäude verbraucht. Gemeinsam mit Strom aus einem kleinen Wasserkraftwerk treiben sie eine Wärmepumpenkaskade im Quartier an. So stammt die gesamte Energie zum Heizen und Kühlen des Gebäudes aus lokalen Ressourcen. Die Umbauten sollen im Herbst 2021 beginnen.
21.9.2021 | Quelle: AEE INTEC | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH