Dena veröffentlicht Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“

Säulendiagramm zeigt den Weg zur Klimaneutralität von 2018 bis 2045Grafik: dena / Ausschnitt: Solarserver
Schnelle Reduktion bis 2030: Die neue dena-Leitstudie zeigt ein ambitioniertes Szenario für die Klimaneutralität.
Die dena-Leitstudie ist ein Mammutprojekt und ist in 17 Monaten intensivem Austausch entstanden. Beteiligt waren zehn wissenschaftliche Institute, mehr als 70 Unternehmen und ein 45-köpfiger Beirat mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.

Die erste Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ der Deutschen Energie-Agentur (dena) erschien 2018. Die aktuelle Studie verfolgt ebenso wie die erste einen systemisch integrierten Ansatz. Neu ist, dass diesmal neben den vier Sektorthemen auch die Querschnittsthemen Energiemarktdesign, Transformation sowie Wirtschaft und Europa explizit behandelt wurden. Im März veröffentlichte die dena bereits einen Zwischenbericht.

Die Studie stellt dar, mit welchen Technologiepfaden sich aus heutiger Perspektive realistisch ein klimaneutrales und integriertes Energiesystem bis 2045 erreichen lässt. Dabei ging es auch um die Frage, welche Rahmenbedingungen dafür nötig sind. Trotz der großen Zahl der Beteiligten kommt die Studie in vielen Punkte zu deutlichen Aussagen.

Einzelne Aufgaben sind machbar, zusammen sind sie eine Herausforderung

Neben der ausführlichen Analyse enthält die Leitstudie als Ergebnis auch 84 Aufgaben in zehn Handlungsfeldern. Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der dena, betont deren Gemeinsamkeit: „Jede einzelne Aufgabe ist machbar“. Alle Aufgaben parallel zu orchestrieren, sei allerdings eine gewaltige Herausforderung. Deutschland brauche neuen Schwung und eine neue Veränderungsdynamik. „Energiewende und Klimapolitik müssen besser organisiert, das historische Klein-Klein der vergangenen Jahre überwunden werden“, so Kuhlmann. Wenn dieser Aufbruch gelinge, werde man die gesetzlichen Ziele für das Jahr 2030 erreichen können und die Klimaneutralität 2045 zu einer erreichbaren Perspektive.

Sektorziele der nächsten Jahre nicht realistisch zu erreichen

„Die konkreten sektorspezifischen Jahresziele für die unmittelbar vor uns liegenden Jahre werden allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erreicht“, sagt Kuhlmann. In den vergangen Jahren sei zu viel liegen geblieben. „Die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen stehen einem zielorientierten effizienten Handeln entgegen und verhindern so die notwendige Dynamik.“

Ohne CO2-Senken geht es nicht

Die dena-Leitstudie zeigt anhand eines zentralen Szenarios (Szenario Klimaneutralität 100, KN100), wie die Sektorziele im Jahr 2030 und die Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden können. Sie stellt vor, welche Energieträger und Technologien dafür in welchen Mengen nötig sind und welche Veränderungen zu bewältigen sind. Dabei betrachtet sie vier Ausprägungen des Szenarios, bei denen die Rollen von Strom, Gas, flüssigen Energieträger und effizienter Vernetzung variieren. Dabei untersucht sie auch Zielkonflikte und Trends, die umgekehrt werden müssen.

Vier technologische Säulen bilden bei den Szenarien der dena-Leitstudie die Grundlage für das Erreichen der Klimaneutralität: mehr Effizienz, Elektrifizierung, erneuerbare Energieträger und Rohstoffe flüssiger und gasförmiger Art sowie CO2-Senken. Letztere können sowohl natürlich als auch technisch sein.

Verwaltung muss in die Gänge kommen

Die Zeithorizonte für die vier Säulen seien unterschiedlich. Doch allen sei gemeinsam, dass erhebliche Anstrengungen für den Aufbau der Infrastruktur nötig seien. „Das gilt für Strom, Gas, Wasserstoff, Wärmenetze und CO2 in gleicher Weise wie für die Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung und die administrative Infrastruktur, gegenwärtig eine der Hauptblockaden für das Aufnehmen neuer Dynamik“, erklärt Kuhlmann.

Energiesektor: Doppelt so viel Ökostromkapazität bis 2030 nötig

Weil die Energieversorgung das meiste CO2 emittiert, müsse man hier am schnellsten und stärksten reduzieren. Das bedeutet umgekehrt mehr als eine Verdopplung der erneuerbaren Stromkapazitäten bereits bis 2030. Die installierte Photovoltaik-Leistung müsse von 45 Gigawatt (GW) auf 131 GW wachsen, Onshore-Windenergie von von 52 GW auf 92 GW. Die Kohleerzeugung werde 2030 kaum noch eine Rolle spielen, die Erdgasnutzung dagegen zunächst steigen. Diesem „Fuel Switch“ schreibt die Studie bereits eine erhebliche Emissionsminderung zu.

Grüne Wasserstoff-Rückverstromung ab 2045 wichtige Säule der Stromversorgung

Wasserstoff und strombasierte Kraftstoffe würden dagegen bis 2030 nur eine geringe Rolle spielen. Dennoch müssten Infrastruktur und Märkte geschaffen werden. Ab 2045 werde die Rückverstromung von grünem Wasserstoff nach Windkraft und Photovoltaik zur drittwichtigsten Stromquelle. Bis 2035 sieht die Leitstudie auch eine geringe Rolle von blauem Wasserstoff, danach verschwinde er aus dem Markt.

Versorgungssicherheit mit Flächen für Erneuerbare und Kapazitätsmechanismen sichern

Die Leitstudie betont die Bedeutung der Flächenverfügbarkeit für den Ökostromausbau. Dafür brauche es eine Vereinheitlichung und Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und die Bereitstellung von mehr Flächen. Auch der vorzeitige Kohleausstieg müsse aktiv begleitet werden. Für die Versorgungssicherheit seien ein Zubau an gesicherter Leistung und mehr Flexibilität nötig. „Ohne einen entsprechenden Mechanismus für die Sicherung neuer Kapazitäten wird das nicht möglich sein“, sagt Kuhlmann. Auch für den Ausbau der Stromnetze und die Wärmeversorgung seien Absicherungen nötig.

Industriesektor: Stahl- und Chemiebranche im Fokus

In der Industrie stagnierten die Emissionen in den vorigen zwei Jahrzehnten weitgehend. Nun steht eine Senkung um rund 36 Prozent bis 2030 an. Rund zwei Drittel davon sollen durch einen saubere Energieversorgung erfolgen. Die stärksten Veränderungen würden bis 2030 auf die Branchen Stahl und Chemie zukommen. Die Studie fordert eine transparente Treibhausgasbilanz in der Wertschöpfungskette, konsequente Kreislaufwirtschaft, finanzielle Lenkung über den CO2-Preis, neue Leitmärkte und einen schnellen Hochlauf von emissionsarmen Technologien. Die EEG-Umlage müsse zudem sofort auf Null sinken, um Aussicht auf Erfolg zu haben, sagt Kuhlmann. Da grüner Wasserstoff vor allem in der Industrie wichtig sei, müssten hier die Infrastruktur und Voraussetzungen für die Umstellung der Prozesse geschaffen werden.

Mobilität: Förderung von Individualverkehr bremst die Veränderung

Der Verkehrssektor muss schon bis 2030 seine Treibhausgasemissionen um rund 48 Prozent senken – das ist von allen Sektoren die stärkste Minderung. Dabei ist zuerst der Individualverkehr gefragt. Bis 2030 soll es laut Studie 9,1 Millionen vollelektrische Fahrzeuge geben (14 Mio. inkl. Hybride). Wasserstoff und E-Fuels sind dagegen für den Schwerlastverkehr vorgesehen. Hinzu kommen ein deutlich stärkerer ÖPNV und dessen Verknüpfung mit anderen Mobilitätsangeboten. Kuhlmann fordert zudem mehr Gestaltungsfreiheit für die Kommunen. Er stellt auch klar: „Förderinstrumente, die im Wesentlichen auf die Zementierung der Individualmobilität ausgerichtet sind, stehen den erforderlichen transformatorischen Veränderungen im Verkehrsbereich eher im Weg.“

Gebäudesektor: Dämmung, Wärmepumpen, Wärmenetze, Wasserstoff

Mit einem Minus von 44 Prozent bis 2030 muss der Gebäudesektor seine Emissionen ähnlich stark senken wie der Verkehrssektor. Dafür hält die dena vor allem mehr Dämmung, mehr Wärmepumpen und den Ausbau von Wärmenetzen für nötig. Im Standardszenario KN100 heißt das in Zahlen: Bis 2030 sollen 4,1 Millionen Gebäude mit Wärmepumpen heizen und 1,3 Millionen neu an Wärmenetze angeschlossen werden. Außerdem müsse sich der Einsatz von klimaneutralen Brennstoffen bis 2030 verdreifachen. Ohne Wasserstoff und klimaneutrale Gase sei ein klimaneutraler Gebäudebestand aus heutiger Sicht aber nicht denkbar, heißt es. Zudem müssten Gebäude mit dem schlechtesten Standard zuerst angepackt werden. Kuhlmann fordert standardisierte Sanierungsverfahren und massive Investitionen.

Gesamtpaket muss passen: Energiemarktdesign und CO2-Preis

Um die Maßnahmen zusammenzubringen, schlägt die dena-Leitstudie weitere Schritte vor. Dazu gehört zum Beispiel ein „zielführendes Energiemarktdesign“ und ein „CO2-Preis mit mehr Lenkungswirkung“, die „Angleichung staatlich induzierter Preisbestandteile“ und eine „integrierte Infrastrukturplanung“.

Von einer Vorfestlegung auf einen der Technologiepfade rät Kuhlmann ab. Das würde die Optionen zur Erreichung der Klimaziele unnötig einschränken. Stattdessen müsse man alle Optionen skalieren und vorantreiben.

In Europa müsse eine integrierte Infrastruktur entwickelt werden. Kuhlmann betont auch die Bedeutung der internationalen Energiepartnerschaften für Wassersoff. Die Importe würden sich radikal verändern. Damit seien geopolitische Herausforderungen für die Partnerländer verbunden. Das mache deutlich, dass Klimapolitik eine zentrale Aufgabe für den oder die nächsten Außenminister:in sein müsse.

Bürgerbeteiligung: Energy Communities, Energiegeld und Abschaffung klimaschädlicher Subventionen

Bürgerinnen und Bürger müssten profitieren und die Energiewende sozial gerecht gestaltet werden. Dafür setzt die dena-Leistudie auf „Energy Communities“ und eine stärkere Rolle von Prosumern. Weitere Vorschläge sind eine verbindliche Beteiligung der Kommunen an den Einnahmen aus Erneuerbare-Energien-Projekten, die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen und ein Pro-Kopf-Energie-Geld. Insgesamt brauche es vor allem ein konsistentes Politikkonzept.

Der Abschlussbericht zur dena-Leitstudie „Aufbruch Klimaneutralität“ kann hier heruntergeladen werden.

7.10.2021 | Quelle: dena | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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