Fehlanreize in der BEG-Förderung
„Wir werden den Klimaschutz beim Neubau stärken und die energetische Sanierung im Bestand beschleunigen, um die Klimaziele auch im Gebäudebereich zu erreichen.” So kurz und knapp steht im Sondierungspapier der möglichen rot-gelb-grünen Koalition, was sie im Gebäudesektor anstoßen möchte. Es ist wohl in Kombination zu sehen mit der Zielformulierung, das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Klimaziel zu erreichen und die erneuerbaren Energien massiv auszubauen.
Kritik am derzeitigen Förderprogramm
In den Koalitionsverhandlungen werden die Parteien bei diesem Thema noch deutlich intensiver diskutieren. SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen die Baustandards verschärfen. Dagegen wird die FDP möglicherweise auf mehr Freiwilligkeit setzen wollen. Sie muss dann aber auch die Frage beantworten, wie sie Investitionsruinen vermeiden möchte, wenn gesetzlich definierte Energiestandards für neue Gebäude nicht dem Kriterium der Klimaneutralität entsprechen. Allein durch eine CO2-Abgabe, auch wenn diese wahrscheinlich ansteigt, ist aktuell im Baubereich wohl nur eine geringe Lenkungswirkung zu erwarten.
Ein Instrument beim Neubau, aber vor allem bei der Sanierung dürfte auch künftig die Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) sein. Nachdem inzwischen Energieberater, Verbände und Wohnungsunternehmen Erfahrungen mit der neu gestalteten BEG gesammelt haben, rührt sich allerdings auch Kritik. Die trifft vor allem die Förderung effizienter Neubauten. Für das Effizienzhaus 55 (EH55) gebe es Fehlanreize, sagt Klaus Lambrecht von Econsult, der sich seit vielen Jahren mit Gebäudestandards befasst. „Ich hatte die letzten Wochen mehrere Beratungstermine bei Bauträgern”, berichtet Lambrecht: „Hier ist der EH55-Standard der Favorit. Das liegt daran, dass dieser mit 15 Prozent meines Erachtens viel zu hoch gefördert wird und deshalb der Abstand zum EH40 mit 5 Prozentpunkten zu gering ist, um einen entsprechenden Anreiz zu schaffen.” Im Neubaubereich übersteigt die Förderung für ein EH55 nach Aussage von Lambrecht die Mehrkosten eines solches Hauses im Vergleich mit dem gesetzlichen Mindeststandard. So fließe auch insgesamt sehr viel Geld aus dem Bundeshaushalt in einen überförderten Standard, der zudem gemessen am Ziel der Klimaneutralität nicht mehr angemessen sei.
Förderung für EH55 ein Auslaufmodell
Aus Sicht von Lambrecht ist eine Förderung von neuen EH55-Gebäuden sogar insgesamt nicht notwendig, weil der Standard bei geringen Mehrkosten und der Energieeinsparung sowieso schon wirtschaftlich sei. Jetzt sei die Förderung für Bauherren ein „nice to have”, so Lambrecht, aber eigentlich ein „Auslaufmodell”. Eine Abschaffung der EH55-Förderung eröffne dem Gesetzgeber aber Spielräume, um anderswo stärker fördern zu können. Das betreffe im Neubausektor beispielsweise den EH40-Standard, aber vor allem die Sanierung von Bestandsgebäuden.
Kritik an der Neubauförderung kommt auch von einem Bündnis bestehend aus dem Verein CO2-Abgabe, der Ingenieurgesellschaft Solares Bauen, der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW), dem Bundesverband Kraft Wärme Kopplung, der Fördergesellschaft Erneuerbare Energien e.V. (FEE) und dem Solararchitekten Rolf Disch.
Martin Ufheil von Solares Bauen, der als Sprecher dieses Bündnisses fungiert, erklärt: „Durch die neue BEG werden Neubauvorhaben gegenüber der Sanierung mit Fördermitteln geradezu überhäuft.” Und dies, obwohl jedes noch so energieeffiziente Neubauvorhaben schon allein durch dessen Errichtung, Flächenverbrauch aber auch durch den Betrieb die CO2-Emissionen gegenüber heute erhöhe.
Beispiele für Fehlanreize in der BEG
Ufheil erklärt, ein EH55 erhalte eine Förderung bis zu 26.250 Euro je Wohneinheit, wobei die tatsächlichen Mehrkosten nicht nachgewiesen werden müssten. Je nach Konzept betrügen die tatsächlichen Mehrkosten bei einer Wohnungsgröße von 60 Quadratmetern gegenüber dem gesetzlich festgelegten Standard allerdings nur etwa 6000 bis maximal 12.000 Euro pro Wohneinheit.
Ufheil reklamiert anhand von vier Beispielen weitere Fehlanreize. So nennt er das Beispiel eines Unternehmens, das ein 3200 Quadratmeter großes Bürogebäude errichte. Werde es über ein Nahwärmenetz an weitere bestehende Gebäude angeschlossen und über eine Gasheizung mit Wärme versorgt, sei es schon relativ aufwändig, allein die Bestimmungen des Gebäude-Energie-Gesetzes zu erfüllen. Werde dagegen eine Wärmepumpe installiert, die 80 Prozent der Wärme liefere, bekomme das Gebäude allein dadurch einen hohen Effizienzstandard laut BEG. Der Effekt laut Ufheil: Der Bauherr habe Mehrkosten von 50.000 Euro, erhalte aber eine Förderung von 1,4 Millionen Euro. Dabei sei der Klimaschutzeffekt relativ gering.
Das Bündnis verbindet seine Analyse mit einer generellen Kritik, die sich gegen Wärmepumpen und auch Holzheizungen richtet. Stattdessen möchte es Blockheizkraftwerke besser unterstützt sehen – und dies auch, wenn sie mit Erdgas betrieben werden.
Diese Kritik wird in dieser Form von Experten wie Lambrecht nicht geteilt. Denn von fossilen Energien müsse man doch wegkommen. Und dies sollte sich auch in der BEG zeigen.
Kein Königsweg
Einen Königsweg gibt es auch bei der Bundesförderung nicht. Dass etwa Gasbrennwertheizungen in der BEG noch förderfähig sind, ist auch auf das Lobbying der Heizungsindustrie zurückzuführen. Sie konnte sich dabei auf den Klimaschutz insofern berufen, als eine neue Gasbrennwertheizung mit Solarthermieanlage zu weniger CO2-Emissionen führt als eine dadurch ersetzte alte Gas- oder Ölheizung.
Die Frage, die sich eine neue Koalition zu stellen hat, ist aber auch, welche Fördermaßnahmen zum gewünschten Ziel führen. Ist der Zuschuss zu einer Gasheizung noch kompatibel mit dem Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045?
So erklärt die Deutsche Energie-Agentur (dena) in ihrer neuen Studie „Aufbruch Klimaneutralität”: „Die Fördersystematik orientiert sich derzeit noch nicht ausreichend an dem Ziel der Klimaneutralität und sollte zukünftig stärker an der Wirksamkeit bezüglich der THG-Reduzierung ausgerichtet werden. Die Zielkonformität sollte eine zentrale Maßgabe sein, um bestehende Förderprogramme zu evaluieren und gegebenenfalls nachzubessern sowie neue Förderprogramme aufzusetzen.”
Dena: Neue Kombinationsboni
Die Förderimpulse sollten sich, so die dena, auf die Ziele fokussieren. „Hierzu zählen etwa die Sanierung der Gebäudehülle und der Einsatz effizienter Heizsysteme mit erneuerbaren Energien bzw. THG-neutralen Brennstoffen”. Für die Versorgung mit erneuerbaren Energien ist aus Sicht der dena Energieeffizienz zentral. Das sollte nach ihrer Meinung daher auch in der Förderpolitik berücksichtigt werden. „Denkbar wäre hierbei ein Förderbonus für bestimmte Maßnahmenpakete, die gemeinsam bzw. aufbauend aufeinander umgesetzt werden. Beispielsweise könnte auch die kombinierte Installation von PV-Anlagen und die gleichzeitige Sanierung des Daches gefördert werden, um so doppelte Effekte zu erzielen.”
„Der kommende Investitionszyklus ist entscheidend für die Wärmewende, denn Investitionen in Dämmung und Heizungen sind langlebig,“ sagt Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende. „Um den Gebäudesektor schnell und sozialverträglich klimaneutral aufzustellen, ist es nötig, in den ersten 100 Tagen der neuen Legislaturperiode die gesamte Instrumentenpalette anzupassen – von einer Erhöhung und Neuausrichtung der Fördermittel über eine Anhebung der energetischen Standards bis hin zu einem sozial ausgewogenen Ausgleich der Kosten zwischen Mieter:innen und Vermieter:innen.“ Agora und die Stiftung Klimaneutralität schlagen in ihrem 100-Tage-Programm für die neue Koalition vor, ab 2024 keinen Einbau fossiler Heizungsanlagen mehr zu erlauben und für Neubauten und Dachsanierungen eine Solarpflicht einzuführen. Klimaneutralen Neubau und die klimaneutrale Sanierung wollen sie jährlich mit zwölf Milliarden Euro gefördert sehen. Teil dieses 100-Tage-Programms wäre eine Neujustierung der BEG – unter anderem einschließlich des Förderendes für EH55-Neubauten.
Fördern und Fordern
Die Organisationen sprechen sich dafür aus, gesetzliche Standards hochzusetzen, dies aber auch zu fördern. Ähnlich formuliert die dena: „Aktuell gilt, dass gesetzliche Standards im Gebäudebereich nicht zusätzlich gefördert werden können. Diese Entkopplung von Förderung und Ordnungsrecht sollte reflektiert werden.”
21.10.2021 | Autor: Andreas Witt
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