Kai Lippert (EWS): Material sichern und flexibel bleiben!
Solarthemen: Zurzeit stellt sich der Solarmarkt ja etwas unübersichtlich dar. Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Verfügbarkeit von Komponenten?
Kai Lippert: Wir haben in den letzten Tagen von vielen Herstellern Stellungnahmen bekommen. Der eindeutige Tenor ist, dass es Engpässe gibt, weil die Nachfrage im PV-Bereich international schneller wächst als die Produktionskapazitäten. Elektronikchips sind ja für alle Branchen knapp. Bei uns betrifft das vor allem Ladestationen, Hybridwechselrichter und Energiemanager – die sind echt Mangelware. Aber insgesamt sind ja viele Rohstoffe weltweit knapp geworden. Das wirkt sich bei uns auf Preise und Verfügbarkeit von Modulen und Montagegestellen massiv aus.
Hinzu kommt die Nachfrage nach Logistikdienstleistungen, die global die Kapazitäten massiv übersteigt.
Wenn tatsächlich die Produktionskapazitäten einer wachsenden Nachfrage hinterherhinken, dürfte das Problem uns noch länger beschäftigen. Wenn es aber vor allem die coronabedingten Transportengpässe wären, könnte man doch hoffen, dass sich die Lage bald wieder normalisiert. Was meinen Sie?
Die Logistik-Probleme haben sicherlich mit einem Rückstau aus der Corona-Zeit zu tun. Da kann man hoffen, dass sich die Situation in den Häfen bald entspannt, so dass Schiffe nicht mehr im Stau stecken. Das Problem hat jetzt nach den chinesischen auch die europäischen Häfen erreicht. Wenn die Ware überhaupt hierher kommt, dann staut sie sich vor Rotterdam, Bremen und Hamburg. Der Bundesverband Spedition und Logistik spricht von einem „Sendungstsunami“ – die fühlen sich überfordert.
Stromengpässe in China
Hinzu kommt, dass in China jetzt Stromengpässe auftreten, so dass Produktionsminderungen prognostiziert werden. Ich erwarte aber, dass die Lieferturbulenzen und Preiserhöhungen, vor denen Hersteller jetzt sehr konkret für das erste Quartal 2022 warnen, danach bald wieder abflauen werden.
Heißt das, dass es im Moment noch gar nicht so schlimm ist?
Die ganze PV-Branche jammert natürlich auf relativ hohem Niveau. Wir haben ja wesentlich mehr bewegt als in den Jahren zuvor. Wir haben alle gut zu tun – unsere Kunden zum Teil ja nicht nur mit dem Solargeschäft, sondern auch mit den anderen Gewerken, aus denen sie kommen. Und mangelnde Verfügbarkeiten bei bestimmten Produkten sind ja nicht ganz unüblich, sondern fast ständig Thema.
Würden Sie sagen, dass es sich aktuell auf einem einmaligen Niveau abspielt, oder haben Sie das in ihren vielen Berufsjahren alles schon x-mal erlebt?
Es ist nicht einmalig, und allein in diesem Jahr ist es ja schon die zweite Welle, die wir erleiden. Aber die Zuspitzung, die wir jetzt erleben, die übertrifft schon deutlich das normale Maß. Wir empfehlen unseren Kunden jetzt konkret, sich so rechtzeitig wie möglich für anstehende Projekte das benötigte Material zu sichern und Irritationen in Preis und Lieferzeitpunkt am besten schon einzukalkulieren. Am besten sollten sie mit ihren Kunden schon in der Angebotsphase offen kommunizieren, damit sie möglichst flexibel bleiben in Bezug auf Komponentenauswahl und Liefertermin.
Kai Lippert: Bei der Qualität keine Kompromisse!
Auf der anderen Seite gibt es aber weiterhin keinen Anlass, Kompromisse bei der Qualität zu machen. Bei aller Hysterie, die vielleicht auf der Intersolar-Messe jetzt zu spüren war, ist es immer noch so, dass sehr viele hochwertige Produkte verfügbar sind – vor allem für Kunden, die ein bisschen flexibel sind. Beispielsweise kann man einen Energiemanager durchaus nachrüsten oder man kann bei der Wattklasse der Module flexibel sein. Niemand muss auf Material zurückgreifen, das einem irgendwann auf die Füße fällt.
Gerade in Engpasszeiten hören Handwerker von Großhändlern oft den Tipp, doch bitteschön langfristig Kontingente zu ordern, um nicht kurzfristig mit leeren Händen dazustehen. Gilt das tatsächlich noch, obwohl man – offenbar auch noch in der jetzigen Situation – auf Spotmärkten teils deutlich billiger einkaufen kann.
Ich glaube das ist eine Typfrage. Wer sich im Spotmarkt wohlfühlt und auch die Unsicherheit nicht scheut, die sich daraus ergibt, der mag daraus seinen Vorteil ziehen. Es ist aber schwer, dann zu wechseln. Denn langfristige Partnerschaften – das ist wie bei Freundschaften – die bindet man nicht, wenn man sie gerade mal braucht. Sondern das ist eine Frage von Geben und Nehmen in guten wie schlechten Zeiten. Ich glaube, dass die meisten Kunden, auch vor dem Hintergrund der über Jahrzehnte sinkenden Preise, ihr Heil in langfristigen Partnerschaften suchen. Sie bauen bei ihrem Einkauf auf feste Strukturen.
Vor etwa zehn Jahren hat die Solarbranche schon mal doppelt so viel PV installiert wie 2021. Dazwischen liegt ein Markteinbruch, durch den viele Handwerksfirmen ausgestiegen sind. Und heute, wo wieder mehr Photovoltaik verkauft wird, ist der Umsatz pro kW viel geringer als früher. Wie geht Ihre Kundschaft damit um und wie hat sie sich über die Jahre gewandelt?
Geschäft ist beratungsintensiver geworden
Darauf gibt es viele mögliche Antworten. Auf jeden Fall passt sich die Branche den Notwendigkeiten an, die sich aus der Weiterentwicklung der Technologie ergibt. Schon der Übergang zum Eigenverbrauch hat die Branche grundsätzlich verändert. Und auch durch die Sektorenkopplung ergeben sich neue Anforderungen. Das Geschäft ist komplizierter und beratungsintensiver geworden.
Also haben aktive Solar-Handwerksbetriebe heute mehr „Qualität“ in der Mannschaft, wie es im Fußball heißt?
Professionalität in jedem Fall. Das sehe ich in Deutschland auch im Vergleich zu Nachbarmärkten. Einerseits, weil das Handwerk bei uns über längere Erfahrung verfügt, andererseits weil es hierzulande eine zunehmende Nachfrage nach komplexeren Systemen gibt. Das zeigt sich auch in unserer Absatzentwicklung: Wir verkaufen zwar weniger kW als zu Zeiten der Direkteinspeisung bis 2012, aber der Speicherabsatz ist exponenziell gestiegen und die Nachfrage im Bereich der privaten und gewerblichen Ladeinfrastruktur explodiert. Außerdem sehen wir über das Handwerk Arbeit auf uns zukommen durch die Nachrüstung von Post-EEG-Anlagen.
Wenn ein Handwerksbetrieb halb so viele Anlagen verkauft wie früher, zudem mit preiswerteren Modulen, aber dafür mit Speicher und Wallbox, dann macht er den gleichen Umsatz?
Ja. Aber er muss beim Kunden wesentlich mehr Beratungseinsatz zeigen und er muss bei Einkauf und Fortbildung etwas mehr Vorarbeit leisten. Der Fachkräftemangel wird deshalb mittelfristig der Punkt sein, der am meisten bremst.
Trend zur Digitalisierung
Was hat sich in der Corona-Zeit bei Ihnen im Betrieb von EWS nachhaltig verändert?
Der positive Trend bei der Akzeptanz von erneuerbaren Energien hat die potenziell negativen Auswirkungen von Corona bei uns und in der ganzen PV-Branche überkompensiert. Die positive Grundstimmung in Politik und Gesellschaft hat die coronabedingte Kaufzurückhaltung bestimmter Käufergruppen, die vor allem im Gewerbe zu spüren war, mehr als ausgeglichen.
Erhöht hat sich durch Corona der ohnehin schon vorhandene Druck, sich noch stärker zu digitalisieren. In den letzten Jahren sind bei uns alle Vorgänge im Vertrieb und in der Kommunikation stark digitalisiert worden. Wir können heute mit dem gleichen Team dreimal mehr Absatz bewältigen. Unsere Kunden haben wir dabei immer aktiv eingebunden und unterstützt.
Sie haben eben betont, wie wichtig stabile Kundenbeziehungen sind. Können die denn bei zunehmend digitalisiertem Umgang miteinander noch so intensiv und persönlich sein? Wo bleibt das Geschäft per Handschlag?
Den Handschlag haben wir uns ja nun leider alle abgewöhnen müssen. Aber es ist tatsächlich so, dass die Konzentration auf persönliche Wünsche der Kunden jetzt mehr Raum findet.
Mehr Zeit für Kunden
Weil Kunden für standardisierte Vorgänge unsere Online-Tools benutzen, haben wir mehr Zeit, bei schwierigen Fällen enger mit ihnen zusammenzuarbeiten und die Kundenbeziehung zu intensivieren. Die Telefonate sind nicht kürzer, sondern länger geworden.
Wie erleben Sie aktuell die Politik?
Ich habe kürzlich Olaf Scholz persönlich sagen hören, dass er einen PV-Ausbau von jährlich 15 GW für erstrebenswert hält. Dafür muss man natürlich auch etwas andere Rahmenbedingungen schaffen. Denn die Tatsache, dass wir in Deutschland derzeit einen wachsenden Markt haben, kann ja nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklung viel weniger dynamisch ist als in Nachbarländern wie Polen oder den Niederlanden, wo der Zubau pro Einwohner viel höher ist. Bei uns ist noch viel Luft nach oben.
Was steht auf Ihrem Wunschzettel an die neue Bundesregierung?
Erstens: den Ausbaukorridor und die Degressionsschritte anpassen an die Ziele. Zweitens: Homogenisierung der Vergütungssätze innerhalb der Anlagenklassen. Und drittens: die positive Stimmung, die in der Bevölkerung gegenüber den erneuerbaren Energien herrscht, weiter unterstützen, indem die Belastung durch die EEG-Umlage sozialverträglicher organisiert wird.
22.10.2021 | Interview: Guido Bröer
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