Windenergie-Branche erwartet Beschleunigung durch Koalitionsvertrag
In den Monaten Januar bis Oktober 2021 sind in Deutschland Windkraftanlagen mit zusammen 1541 Megawatt ans Netz gegangen. Der Netto-Zubau betrug im gleichen Zeitraum 1350 Megawatt, weil in den ersten zehn Monaten Windturbinen mit 191 Megawatt abgeschaltet wurden. Am Tag, nachdem die Ampelparteien in Berlin ihren Koalitionsvertrag vorgestellt hatten, präsentierte Jürgen Quentin von der FA Wind diese Zahlen auf den Windenergie-Tagen des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW). Nicht nur die schleppenden Genehmigungsverfahren sind für die Misere der Windkraft verantwortlich, sondern auch langwierige Gerichtsverfahren und aktuell auch Materialengpässe.
Quentin zeigt beispielsweise auf, dass sich laut Marktstammdatenregister allein der Zeitraum zwischen der Genehmigung und der Inbetriebnahme für die 2021 erfolgreich ans Netz gegangenen Windturbinen auf einen Rekordwert von 25,2 Monaten erhöht hat. 2017 hatte dieser Wert bei 11,2 Monaten gelegen.
Insgesamt hat sich das Ausbautempo der Windenergie in Deutschland seit dem Tiefstand im Jahr 2019 zwar deutlich erholt. Aber vom Durchschnitt der Jahre bis 2018 ist sie immer noch weit entfernt. Im Fünfjahreszeitraum 2014 bis 2018 sind jeweils zwischen Januar und Oktober im Durchschnitt 2970 MW in Betrieb gegangen. Das war fast das doppelte Niveau der bislang 1541 MW im Jahr 2021 (siehe Grafik).
2 bis 2,4 GW Windausbau 2021
In den Monaten November und Dezember finden zwar traditionell viele Inbetriebnahmen statt. Hermann Albers, der Präsident des Bundesverbandes Windenergie, rechnet daher mit 2 bis 2,4 Gigawatt Zubau im Gesamtjahr 2021. Gegenüber dem bisherigen Tiefpunkt 2019, als nur rund 1 Gigawatt neu ans Netz ging, zeugt das zwar von einer Erholung. Doch um das Pariser Klimaziel zu erreichen, an dem sich die Ampelkoalition ausrichten will, muss sich das aktuelle Niveau vervielfachen.
Kein konkretes Mengenziel für Windenergie
Für Windenergie an Land beziffert der Koalitionsvertrag im Gegensatz zu Photovoltaik und Offshore-Wind kein konkretes Ausbauziel für das Jahr 2030. Jedoch sollen 80 Prozent des Strombedarfs, den die Koalitionäre auf 680 bis 750 Terawattstunden (TWh) taxieren, aus erneuerbaren Energien kommen. Der Geschäftsführer des BWE, Wolfram Axthelm, leitet ein solchen Ziel jedoch aus anderen genannten Zahlen ab. In einem Policy Briefing am heutigen Vormittag sagte er: „Die Windenergie an Land ist zwar ohne konkretes Ziel, muss aber die Lücke zwischen Photovoltaik, Wind Offshore, Bioenergie und Geothermie füllen, um diese 750 Terawattstunden tatsächlich erreichbar zu machen. Das bedeutet, wir brauchen 2030 eine installierte Leistung zwischen 85 und 125 Gigawatt, je nachdem wie der Strombedarf sich tatsächlich entwickelt. Wir gehen eher davon aus, dass es sich am oberen Rand bewegen wird.”
In den kommenden neun Jahren müssten nach dieser Rechnung im Durchschnitt jeweils 4,5 bis 8 Gigawatt neu ans Netz gehen. Allerdings netto – also zusätzlich zu denjenigen Anlagen, die allein schon als Ersatz für die im Laufe der Jahre zunehmend ausrangierten Windkraftwerke gebraucht werden.
Wirtschaftsministerium sofort arbeitsfähig
Zwar kündigt die Ampel im Koalitionsvertrag an, dass sie bereits im Laufe des ersten Halbjahres 2022 die notwendigen Maßnahmen zur Beschleunigung des Windenergie-Ausbaus im Rahmen eines Klimaschutz-Sofortprogramms in Angriff nehmen wolle. Und Axthelm glaubt, dass dies tatsächlich gelingen könne. Er verweist hierzu auf die Personalentscheidung des designierten Wirtschaftsministers Robert Habeck für Patrick Graichen und Sven Giegold als beamtete Staatssekretäre. Axthelm: „Wir sehen, anders als vor vier Jahren, eine Arbeitsfähigkeit des Ministeriums vom ersten Tag an.” Dennoch wird die Windbranche den erforderlichen Turbo nicht schon 2022 mit voller Leistung zuschalten können.
Wie schnell kann der Wind-Turbo zünden?
Dies liegt allein schon an einem Mangel an geplanten und genehmigten Projekten und am bestehenden Fachkräftemangel. Der Geschäftsführer der Westfalen Wind GmbH, Johannes Lackmann, warf während der Windenergietage NRW ein: „Wenn die Bundesregierung morgen die Bremsen löst, heißt das nicht, dass wir auch morgen schon diese Kapazitäten schaffen können.”
Oliver Krischer, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, der an den Koalitionsverhandlungen im Energiebereich maßgeblich beteiligt war, verweist in diesem Zusammenhang auf das Wörtchen „dynamisch”, das im Koalitionsvertrag im Zusammenhang mit geplanten Ausbaumengen zu finden ist. Dieses beziehe sich nicht nur auf das möglicherweise notwendige Nachholen von Ausschreibungsmengen bei der Windkraft. Es gehe vielmehr auch um die Verteilung zwischen den unterschiedlichen erneuerbaren Energieträgern. Krischer: „Dort, wo wir schneller vorankommen, wollen wir schneller voran gehen.”
3.12.2021 | Autor: Guido Bröer
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