Bernd Düsterdiek im Interview: Genehmigungsverfahren müssen schneller sein

Portraitfoot von Bernd DüsterdiekFoto: Düsterdiek
Der Jurist Bernd Düsterdiek arbeitet seit mehr als 20 Jahren beim Deutschen Städ­te- und Gemeindebund. Dort ist er seit Beginn des Jahres 2022 als Beigeordneter (Dezernent) zuständig für die Bereiche Städtebau, Klimaschutz und Umwelt. Die Solarthemen sprachen mit ihm über die Pläne der neuen Regierung, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Genehmigungsverfahren deutlich zu beschleunigen.

Solarthemen: Wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energien geht, sind die Kommunen daran maßgeblich beteiligt. Nun sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt wer­den. Was halten Sie davon?

Bernd Düsterdiek: Als Deutscher Städte- und Gemeindebund halten wir dies für überfällig. Insoweit ist die Ankündigung von Wirtschaftsminister Robert Habeck, hier anzusetzen, sehr zu begrüßen. Wenn wir die ehrgeizigen Klimaschutzziele in Deutschland erreichen wollen, dann geht das tatsächlich nur, indem der Ausbau der erneuerbaren Energien – insbesondere der Wind- und Solarenergie – massiv beschleunigt wird. Dazu bedarf es zügigerer Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Wesentliche Hürden für Genehmigungsverfahren

Wo sehen Sie wesentliche Hürden, wenn es zunächst um das Finden von Flächen für Solar- und Windparks als Basis für Genehmigungs- und Planungsverfahren geht?

Zunächst haben wir ein sehr grundsätzliches Problem. In den Ländern existieren unterschiedliche Regelungen. Dies betrifft etwa die Abstandsregelungen, auf die ja auch Herr Habeck hingewiesen hat, wie die 10-H-Regelung in Bayern, also der zulässige Abstand einer Windkraftanlage zur Wohnbebauung. Dies führt dazu, dass in Frage kommenende Flächen zum Teil sehr beschränkt werden. Auch die Nutzbarkeit von Waldflächen für die Windenergie ist über die diversen Windenergieerlasse der Länder sehr unterschiedlich geregelt. Dies ist nur in wenigen Bundesländern vorgesehen. All das führt zu unterschiedlichen Realisierungsmöglichkeiten für Wind- und Solarprojekte. Auch die erforderliche Rücksichtnahme auf Radaranlagen, Wetterstationen oder auch militärische Liegenschaften begrenzt derzeit die Flächenverfügbarkeit. In die­- sen Bereichen muss man überlegen, wie man das optimieren kann.

Aufgeschlossene Kommunen für Flächenziel

Es gibt das Ziel der Regierung, zwei Prozent der Flächen für Windkraftanlagen zur Verfügung zu stellen. Da sind auch die Länder gefragt. Aber stehen nach Ihrem Eindruck die Kommunen hinter diesem Ziel?

Die Kommunen sind nach meinem Eindruck sehr aufgeschlossen. Der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien muss unter enger Einbindung und Beteiligung der Kommunen realisiert werden. Dieser findet überwiegend in den ländlichen Regionen und nicht in den großen Städten statt. Daher müssen die Bedenken von Anwohnern und Bürgerinnen in diesen Regionen auch ernst genommen werden. Es ist insbesondere eine deutliche Veränderung des Landschaftsbildes, die mit Wind- und auch Solarprojekten einhergeht. Das wird häufig kritisch gesehen, vor allem wenn die Projekte in der Nähe der eigenen Wohnung umgesetzt werden sollen.

Viele Kommunen haben im Rahmen der Flächennutzungsplanung Räume für Wind- und Solaranlagen eröffnet, um selbst gezielt steuern zu können. Dies ist sinnvoll und Ausdruck der kommunalen Planungshoheit. Und es bietet die Möglichkeit einer direkten Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Belange und Interessen. Hilfreich für die Akzeptanz derartiger Projekte ist zudem eine Einbeziehung der örtlichen Bürgerschaft, etwa durch Genossenschaftsmodelle, und eine verbindliche finanzielle Beteiligung der Standortkommunen an den Erträgen der jeweiligen Anlagen. Dies sollte auch für Bestandsanlagen gelten und im EEG klar geregelt werden.

Ansatzpunkte für Beschleunigung

Wo sehen Sie denn Ansatzpunkte, um die Planungs- und Genehmigungsverfahren tatsächlich zu beschleunigen?

Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Wir haben Hindernisse im Natur- und Artenschutz. Da steht derzeit der Individuenschutz im Vordergrund. Sinnvoll wäre es, hier bundeseinheitliche Ausnahmeregelungen zu formulieren und den Populationsschutz in den Fokus zu nehmen. Und es gibt natürlich bei den Verfahren selbst Ansatzpunkte. Dazu ein Beispiel: Viele Festlegungen für Projekte auf kommunalen Flächen, in Flächen­nut­zungs­plä- nen oder auch Regionalplänen, wurden in der Vergangenheit von den Gerichten wegen Formfehlern oder vermeintlichen Abwägungsfehlern aufgehoben. Hier muss man im Bau­pla­- nungsrecht über bessere und praxisgerechte Heilungsmöglichkeiten nach­denken. Es darf nicht jeder Formfehler gleich zur Rechtswidrigkeit eines Flächennutzungs- oder Regionalplans führen. Auch sollte man eine EU-konforme Lösung zur Wiedereinführung von materiellen Präklusions- und Stichtagsregelungen prüfen.

Was würden solche Präklusionsregelungen ausmachen?

Derzeit ist es Naturschutzvereinigungen möglich, gegen bestimmte umweltrechtliche Zulassungsentscheidungen für Infrastrukturvorhaben vorzugehen, ohne dass es einer Ver­let- zung eigener Rechte bedarf. Hinzu kommt, dass mit der Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes im Jahr 2017 die bis dahin bestehenden materiellen Präklusionsregelungen im deutschen Umwelt- und Verfahrensrecht weitgehend gestrichen wurden. Im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung sollte man sehr genau prüfen, welche gesetzgeberischen Spielräume bestehen, festzulegen, dass Einwendungen Dritter in einem Pla- nungs- bzw. Genehmigungsverfahren regelmäßig nur innerhalb einer bestimmten Frist vorgebracht und in nachfolgenden Gerichtsverfahren nicht erneut und wiederholt vorgetragen werden können. Naürlich müssen die Maßgaben des Europarechts hierbei die Leitplanke bilden. Man muss aber bestehende Auslegungsspielräume prüfen und nutzen.

Verzicht auf naturschutzrechtliche Ausgleichsregelung

Der Städte- und Gemeindebund regt bei Klimaschutzprojekten den Verzicht auf naturschutzrechtliche Ausgleichsregelungen an. Wie viel Unterstützung bekommen Sie bei dieser Forderung?

Da gibt es natürlich eine starke und kontroverse Debatte. Hier sollten wir eine klare Fokussierung auf Projekte und Baumaßnahmen legen, die dem Klimaschutz zugutekommen, zum Beispiel bei Wind- und Solarprojekten oder auch dem Radwegebau.

Die neue Regierungskoalition hat sich schon darauf verständigt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen soll. Damit bekämen die Erneuerbaren in den Abwägungen der Behörden mehr Gewicht. Aber wie kann sich das in der Praxis auswirken?

Wir haben im Bauplanungsrecht das Gebot der Abwägung konkurrierender Belange. Das ist sachgerecht und überaus wichtig. Aber wenn wir ein Projektziel haben, dass gesetzlich definiert von überragendem öffentlichen Interesse ist, dann haben die planenden Städte und Gemeinden einen klaren gesetzgeberischen Hinweis, der im Zweifel einen Vorrang von Erneuerbare-Energien-Projekten in der Abwägung mit sich bringt. Dies kann es ihnen im Ergebnis einfacher machen, Entscheidungen und Projekte umzusetzen.

Personelle Engpässe

Sicherlich stoßen die Planungs- und Genehmigungsverfahren auch auf personelle Engpässe. Das sieht auch die Regierung so. Erhoffen Sie sich hier Unterstützung und wie könnte die aussehen?

Das ist ein Problem, das wir nicht von heute auf morgen lösen können. Es geht ja auch darum, fachlich qualifiziertes Personal für die Verwaltungen, in den Planungsämtern usw. zu finden. Hier müssen Gemeinden, Bund und Länder gemeinsam agieren und Lösungen finden, wie man die Rahmenbedingungen für den öffentlichen Dienst insgesamt attraktiver gestaltet. Die Fachkräftegewinnung ist stärker in den Fokus zu rücken. Wichtig ist es, mittel- und langfristig wieder zu einer stärkeren Personalausstattung zu kommen. Das können die Kommunen nicht allein schultern, auch finanziell nicht. Hier sind Bund und Länder gefordert, die Kommunen zu unterstützen.

Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe des Bundes

Sehen Sie in einer Erweiterung von Artikel 91a des Grundgesetzes einen Weg? Hier sind Gemeinschaftsaufgaben definiert, an denen sich der Bund finanziell beteiligen muss. Sollte der Bundestag Klimaschutz und die Energiewende als solche Aufgaben definieren?

Das sollte man ernsthaft überlegen. Wir haben eine entsprechende Aufweitung des Artikels 91a Grundgesetz vorgeschlagen, weil wir es für sachgerecht halten. Der Bund muss in den Feldern des Klimaschutzes und der Klimaanpassung agiler werden. Dies beinhaltet auch eine auskömmliche Finanzierung und finanzielle Förderung für die Kommunen. Ohne die Städte und Gemeinden werden wir die Kimaschutzziele in Deutschland nicht erreichen. Angesichts der Schäden durch die Flutkatastrophe im Sommer 2021 sehen wir zudem die dringende Notwendigkeit eines Förderansatzes im Bereich der Klimafolgenanpassung. Hier bleiben der Bund, aber auch die Länder langfristig gefordert.

Eine weitere Option der Finanzierung könnte künftig auch aus den Einnahmen resultieren, die aus bestehenden Solar- und Windparks an die Kommunen fließen. Sollten Kommunen diese zusätzlichen Einnahmen vor allem in den Klimaschutz und die Klimaanpassung investierten?

Bei der Mittelverwendung sollten die Kommunen einen möglichst breiten Entscheidungsspielraum behalten. Ich gehe allerdings davon aus, dass viele Städte und Gemeinden ohnehin in den Bereichen Klimaschutz und Klimaanpassung investieren werden. Hier besteht ein großer Investitionsstau, allein schon bei der energetischen Sanierung der annähernd 180.000 kommunalen Gebäude. Dies bleibt eine gewaltige Aufgabe und Herausforderung.

21.1.2022 | Interview: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH

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