Hans-Josef Fell: Die Regierung muss mutiger sein
Solarthemen: Wir müssen gerade auf den Krieg gegen die Ukraine schauen. In welchem Maße ist das auch ein durch Energieinteressen bedingter Krieg?
Hans-Josef Fell: Im Krieg gegen die Ukraine spielen sicherlich mehrere Faktoren ein Rolle. Aber wir sehen doch bei den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre, dass es dabei häufig auch darum ging, die Hoheit über fossile Ressourcen zu erhalten oder zu gewinnen. Und zudem zeigt sich jetzt, dass die Abhängigkeit von den fossilen Energien als Waffe eingesetzt wird. Putin nutzt das Gas, um die westlichen Demokratien, vor allem Deutschland, in Schach zu halten.
Aber da können wir derzeit nicht viel tun. Die Bundesregierung will einen Energienotstand verhindern. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat erklärt, er sorge sich um die Situation im Winter, wenn wir vom russischen Gas abgeschnitten werden.
Hans-Josef Fell: Und er muss damit ausbaden, was in den letzten rund 16 Jahren versäumt wurde. Es rächt sich jetzt massiv, dass die Regierungen mit Kanzlerin Merkel die erneuerbaren Energien immer wieder in ihren Möglichkeiten beschnitten haben. Ich erinnere an eine Phase, als Zehntausende Arbeitsplätze in der Photovoltaik aufgrund von fehlerhafter Politik weggefallen sind . Die müssen jetzt erst wieder mühsam aufgebaut werden. Und dennoch: Wir brauchen jetzt viel mehr politischen Mut. Wir haben eine Notsituation und müssen entsprechend reagieren. Das heißt, wir müssen jetzt alles tun, um die Energieversorgung zu 100 Prozent auf Erneuerbare umzustellen. Putin kann uns jederzeit den Gashahn abdrehen. Oder die Gasleitung durch die Ukraine nimmt im Krieg Schaden. Sollen wir denn darauf warten und erst dann das Notwendige tun?
Denkblokaden aufgeben
Das würde aber eine sehr radikale Umstellung unserer Energieversorgung bedeuten, auf die wir sicherlich nicht vorbereitet sind. Wie soll das so schnell gehen?
Hans-Josef Fell: Die Denkblokade, man könne nicht schnell agieren, ist verheerend und führt uns auch an anderen Stellen in die Katastrophe. Aktuell sind in Sidney 40.000 Menschen evakuiert. Die meisten Häuser dort sind kaputt. Das ist schlimm. Das ist der Klimawandel. Wie lange wollen wir denn noch warten, bis wir endlich auf Null-Emissionen kommen und mit der Nutzung von Erdöl, Erdgas und Kohle aufhören? Auch aus dieser Sicht kann das nicht mehr akzeptiert werden.
Allerdings gibt es doch nun Bewegung, würden wohl einige Ihrer Parteifreundinnen und -freunde einwenden. In der neuen EEG-Novelle ist vorgesehen, bis 2030 auf einen Anteil von 80 Prozent an erneuerbaren Energien zu kommen. 2035 sollen es dann 100 Prozent sein. Ist das nicht schon sehr weitgehend?
Hans-Josef Fell: Das gilt aber nur für die Umstellung beim Strom bis 2035, ohne den Verkehr voll auf Strom ausgerichtet zu haben. Das Ziel des neuen EEG beinhaltet nicht den Verkehr, nicht Heizen und Kühlen und auch nicht die gesamte Industrie. Wir brauchen aber im Jahr 2030 eine Gesamtenergieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien, nicht nur Strom.
Wir haben einen Notfall
Das sind nur noch acht Jahre. Unabhängig von möglichen Versäumnissen in den letzten Jahren ist das ein Zeitraum, der eine extreme Herausforderung darstellt. Wie stellen Sie sich hier eine Lösung vor?
Hans-Josef Fell: Es ist möglich, dass es kurzfristig zu persönlichen Einschränkungen kommen kann. Aber mit einem dicken Pullover kann man es in einer Wohnung auch bei 18 statt 22 Grad gut aushalten. Das nur als Beispiel. Es heißt, wir müssen mit dem Energieverbrauch runter. Das geht mit Verhaltensänderungen recht schnell. Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass wir uns nicht in einer normalen Situation befinden. Wir haben tatsächlich einen Notfall – ganz aktuell ist das der Krieg gegen die Ukraine und in den nächsten Jahren der Klimawandel. Wir müssen handeln. Und wir brauchen jetzt dringend politisches Handeln für den Ausbau erneuerbarer Energien. Ich habe dazu erste Vorschläge für ein Erneuerbare-Energien-Notgesetz vorgelegt.
Wir müssen weg von den ganzen Hürden und Schikanen gegen die Erneuerbaren. Die 10-H-Regelung in Bayern war noch nie richtig – jetzt erst recht nicht. Ebenso wie alle anderen Beschränkungen, die nicht notwendig sind. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz müssen wir wieder weg von den Ausschreibungen, die viele Bürgerprojekte blockiert haben. Die in der jetzigen EEG-Novelle vorgesehenen Lockerungen sind nicht ausreichend und zu bürokratisch. Klar vorgegebene Einspeisevergütungen sind hier der bessere Weg. Und dies muss natürlich flankiert werden durch ein echtes Ausbauprogramm für Speicher, für Elektrolyseure, auch für die Umrüstung von Biogasanlagen, damit sie helfen, für eine stetige Stromproduktion zu sorgen.
Für eine neue EEG-Umlage
Dennoch: Bis zum nächsten Winter sind es nur ein paar Monate. Wie kann Gesetzgebung das leisten?
Hans-Josef Fell: Wenn wir es gemeinsam wollen, sind wir als Demokratie in der Lage, wichtige Gesetze auch schnell auf den Weg zu bringen. Leider hat sich die jetzige Koalition noch ausgehend von der letzten Regierung – dazu entschlossen, die EEG-Umlage über den Staatshaushalt zu finanzieren. Das ist ein Fehler, denn jetzt muss jedes EEG erst von der EU-Kommission genehmigt werden. Und das wirft uns zeitlich enorm zurück. Wir brauchen daher ein zweites EEG oder innerhalb des EEG eine zweite Schiene, die den Ausbau Erneuerbarer über eine neue Umlage finanziert, die unabhängig von den Staatsfinanzen und damit unabhängig von Brüsseler Genehmigungen funktioniert. Wir brauchen eine EEG-Umlage II. Damit könnten wir schnell zu einer neuen Gesetzgebung kommen, die den Ausbau von Solar- und Windkraftwerken, von Biogas- und auch Wasserkraftanlagen wieder vorantreibt.
Wir wissen, wie es geht
Tatsächlich? Ist das nicht nur ein frommer Wunsch. Wo sollen die Ressourcen für den Ausbau herkommen?
Hans-Josef Fell: Wir wissen doch, wie das geht. Wir haben es in den ersten Jahren des EEG gesehen. Im Jahr 2000 hat man den erneuerbaren Energien doch noch gar nichts zugetraut. Und welch ein Wachstum haben wir gesehen, obwohl die technologische Entwicklung gemessen an heute noch weit zurück und die Kosten verglichen mit heute horrend waren. Wie rasant der Ausbau der Photovoltaik war, hat doch jedes Jahr neu sogar die Fachleute überrascht. Mit den richtigen Rahmenbedingungen, die ein faires Geschäftsfeld eröffnen, ermöglichen wir einen schnellen Ausbau. Die Solar- und Windkraftfirmen wollen doch etwas tun. Wenn die Gesetze stimmen und die Unternehmen Vertrauen in die Politik setzen können, dann stimulieren wir so viel deutlicher als heute den Aufbau einer sicheren Versorgung.
Allerdings hatten wir in den großen Boomphasen der Photovoltaik wohl eine andere Situation auf dem Arbeitsmarkt. Viele Jobs sind weggebrochen und jetzt fällt es dem Handwerk schwer, neue Beschäftigte zu finden.
Hans-Josef Fell: Auch in den ersten Boomphasen war doch nicht jeder, der Solaranlagen mit aufgebaut hat, eine voll ausgebildete Fachkraft. Wenn wir einen attraktiven Arbeitsmarkt im Bereich der erneuerbaren Energien schaffen, dann gewinnen wir auch die Menschen, die sich dort für unsere Zukunft einsetzen wollen. Und natürlich müssen wir neue Kräfte aktivieren. Es gibt doch viele Menschen, die aus anderen Ländern zu uns geflohen sind, die teils sogar Ingenieure sind, die wir hier in ihren Unterkünften teils jahrelang zum Nichtstun verdammen. Viele von denen würden sehr gern arbeiten. Auch die neue Kriegsflüchtlinge brauchen, so weit sie dies können, eine Arbeitsgenehmigung. Und dies könnte zudem sogar zur Folge haben, dass sie ihre Kenntnisse zu erneuerbaren Energien wieder zurücktragen in ihre Heimatländer, wenn sie wieder in sie zurückkehren sollten.
Es ist widersinnig, den Ausbau zu beschränken
Wenn ich Sie richtig verstehe, so werfen Sie der neuen Regierung, die laut eigener Aussage die erneuerbaren Energien entfesseln möchte, zu zaghaftes Handeln vor. Dabei sind doch die ersten Gesetzentwürfe schon nach wenigen Monaten auf dem Weg.
Hans-Josef Fell: Es gibt aber nur erste Ansätze. Und wie schon gesagt, hat sich die Regierung mit der Verlagerung der EEG-Umlage in den Staatshaushalt selbst Fesseln angelegt. Angesichts der akuten Bedrohung unserer Energieversorgung sowie des Klimas müssen aber viel mehr Schranken für Erneuerbare, die in den letzten 16 Jahren aufgebaut werden, gekippt werden. So sind alle Ausbaupfade für Erneuerbare, die immer Ausbaudeckel waren, abzuschaffen. Sie sind aber auch in der neuen EEG-Novelle immer noch enthalten. Es ist aber widersinnig, in einer Energiekrise den Ausbau zu beschränken.
Und wie könnte man nun konkret vorgehen?
Hans-Josef Fell: Die Regierung muss den Notstand bei der Energieversorgung als Tatsache anerkennen und darf nicht einfach hoffen, dass Russland weiterhin Öl, Gas und Kohle liefert. Und im nächsten Schritt muss Robert Habeck sein Ministerium mit Rückendeckung durch das Kabinett anweisen, aus dem EEG wieder ein echtes Ausbaugesetz zu machen. Vieles wäre in der jetzigen Phase gar nicht so kompliziert. Die Ausbaudeckel sind zu streichen. Und für die unterschiedlichen Technologien, darunter die Speicher, brauchen wir richtige Anreize.
17.3.2022 | Interview: Andreas Witt
© Solarthemen Media GmbH