Soliterm zieht mit Parabolrinnen-Solarfabrik nach Aachen
Rund fünf Millionen Euro will der Solarunternehmer in sein neues Werk investieren, rund 30 Mitarbeiter soll die Belegschaft umfassen, zehn davon in der eigentlichen Produktion: „Die Fertigung der Parabolrinnenkollektoren läuft aber weitestgehend automatisiert, was den Umzug nach Deutschland ökonomisch erst finanzierbar gemacht hat.“ Dass er mit Soliterm komplett in seine zweite Heimat Deutschland zieht, hat auch politische Gründe. Lokurlu sagt: „Die Energiewende war in den letzten Jahren eine reine Stromwende, was wir aber brauchen, ist eine grüne Wärmewende.“ Er geht davon aus, dass sich dafür die Rahmenbedingungen unter der Ampel-bundesregierung schnell und deutlich verbessern werden.
Alles fließt
Wenn er sein Geld nicht als Energieunternehmer verdienen würde, Ahmet Lokurlu selbst, wäre er Philosoph geworden. Der promovierte Energie- und Verfahrenstechniker kennt die Schriften vieler Denker seit der Antike in- und auswendig. Der Aphorismus des griechischen Philosophen Heraklit „panta rhei“ (Alles fließt) ist sozusagen zu seinem Lebensmotto geworden.
Mit dem Fließen ist das so eine Sache. Es gibt nicht nur eine Richtung, die nach vorne, sondern auch Ab- und Rückläufe. Was auch Lokurlu als Unternehmer der Soliterm-Gruppe mit Sitz in Aachen hat erfahren müssen. Vor gut zwei Jahrzehnten hatte der gebürtige Türke, der Ende der 1980er Jahre nach Deutschland gekommen ist, so eine Art Geistesblitz gehabt: Statt wie gewohnt die Kraft der Sonne nur zum Erzeugen von Warmwasser für Heizungen zu nutzen, produzieren seine Parabolrinnenkollektoren auch Heißdampf, aus dem sich beispielsweise in einer Absorptionskältemaschine Kühlenergie gewinnen lässt. Irgendwie schien es, als hätte Lokurlu eine eierlegende, solare Wollmilchsau gefunden. Doch der eigentlich verdiente wirtschaftliche Durchbruch ist in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten ausgeblieben.
Hero of the Environment
Dabei ist Lokurlu dutzendfach – auch mit international anerkannten Awards und Preisen – ausgezeichnet worden. Verbände, Parteien oder auch Umweltgruppen sahen in ihm vor allem den Hoffnungsträger für die solare Kälteerzeugung. 2007 stand er mit Angela Merkel, die sich damals im Zenit ihrer Klima-Kanzlerin-Phase befand, gemeinsam auf dem Podium: Das Time Magazine kürte in jenem Jahr unter anderem beide zu „Heros of the Environment“.
Umweltheld Lokurlu hatte sich für seine Entwicklung eingehend mit der Physik beschäftigt: Statt auf die üblichen Flachkollektoren, die Heizungswärme produzieren, setzte der einige Jahre am Jülicher Forschungszentrum mit Schwerpunkt Brennstoffzellen tätige Wissenschaftler für seine Konstruktion auf Parabolspiegel, die das Sonnenlicht besonders gut sammeln und hohe Temperaturen erzeugen.
Hohes Temperaturniveau mit Parabolrinnen
Das große Plus dabei: Die leichten Soliterm-Parabolkollektoren aus beschichtetem Aluminium liefern die Energie für die Kältemaschinen auf einem Temperaturniveau von 250 Grad Celsius. Das können Flach- und Röhrenkollektoren nicht erreichen. Nach Lokurlus Worten sind sogar Temperaturen von bis zu 400 Grad Celsius erreichbar, mit denen eine Stromerzeugung möglich wäre. „Mit unserer Anlage haben wir den Gesamtwirkungsgrad, also die Solarausbeute, fast verdreifachen können. Dabei benötigt unser System nur ein Drittel des Platzes herkömmlicher Kollektoren“, beschreibt er weitere Vorteile.
Wirtschaftlich hat Lokurlu mit seinen vielseitig einsetzbaren Parabolrinnenkollektoren bislang aber noch zu wenig punkten können. In den vergangenen Jahren gab es für ihn einige Aufträge von Industrieanlagen, Hotelparks und großen Krankenhäusern aus der Türkei, Jordanien und Italien. Zuletzt hatte er vom österreichischen Unternehmen MM Graphia einen Auftrag für dessen Werk in Izmir mit einer thermischen Leistung von immerhin 3,5 Megawatt erhalten. MM Graphia ist Spezialist für Zigarettenverpackungen im Tief- und Offsetdruck sowie bei der Fertigung von innovativen und hochveredelten Faltschachteln. Lokurlu: „Wärme und Prozesskälte ist für den Herstellungsprozess unverzichtbar.“
Parabolrinnen-Kollektoren wettbewerbsfähig
Dass der Soliterm-Geschäftsführer für sein System bislang die Mittelmeerländer als Absatzmarkt gesehen hat, ergibt sich aus den dort vorherrschenden klimatischen Bedingungen: „Tatsache ist, dass in den südlichen Ländern allein in den Sommermonaten mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs für die Klimatisierung und Kältebereitstellung benötigt wird. Da die dortigen Kraftwerke nur einen durchschnittlichen Wirkungsgrad von 30 Prozent haben, ist unser Weg, die Kälte bereitzustellen, nicht nur preiswerter, sondern auch mit einem weitaus niedrigerem Schadstoffausstoß verbunden.“
Auch nach dem Umzug der Fertigung nach Deutschland sieht Lokurlu den Mittelmeerraum weiterhin als wichtigen Markt an. „Auf jeden Fall gehören die Länder Südeuropas zu unseren Exportzielen, wir gehen davon aus, unsere ersten Erfolge in diesen Ländern ausbauen zu können“, sagt er.
Solarthermie-Produktion am Standort Deutschland
Doch für die Frage des besten Produktionsstandortes haben sich in den Augen des Unternehmers die Parameter verschoben. Lokurlu hatte in den vergangenen Jahren seine Parabolrinnen in Ankara fertigen lassen, um die Produktions- und Lohnkosten niedrig zu halten. Damit ist spätestens in diesem Sommer Schluss. Mit seiner Fertigung zieht er bewusst ins Hochlohnland Deutschland um. „Wir haben im Großraum Aachen die direkte Nähe zu bekannten Forschungseinrichtungen. Die dort gewonnenen Erkenntnisse können und wollen wir direkt in unserer Produktion einsetzen.“
Bei dem von Lokurlu geplanten hohen Automatisierungsgrad wird dies zum Standortfaktor: „Wir gehen davon aus, dass das Ausbildungsniveau unserer Mitarbeiter in Deutschland höher sein wird im Vergleich zur Türkei.“
Auch die geopolitische Lage spielt ihm derzeit in die Karten. Der Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine hat die Energiepreise explodieren lassen. „Früher konnten wir gegen Gaspreise von zwei bis drei Cent pro Kilowattstunde nicht mithalten. Derzeit sind wir mit unseren solaren Klimaanlagen richtig wettbewerbsfähig und helfen obendrein Industriebetrieben, sich energetisch unabhängig zu machen und ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern.“
Nicht nur Unternehmen beispielsweise aus der Nahrungsmittelindustrie sieht Lokurlu als potenzielle Abnehmer für sein Parabolrinnensystem. Auch Fernwärmeversorger hat er im Fokus: „Wie soll denn grüne Wärme im großen Stil erzeugt werden, wenn nicht mit Solarthermie?“ Mit ersten Energieunternehmen, lässt Lokurlu durchblicken, liefen derzeit Verhandlungen.
Soliterm will durchstarten
Noch muss sich Lokurlu zwischen zwei Objekten in der Städteregion Aachen entscheiden. Dass er mit seinem Fertigungswerk in wenigen Wochen quasi vor seine Haustür umzieht, freut allerdings Reiner Priggen schon jetzt doppelt. Der Vorsitzende des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW lebt nicht nur seit Jahrzehnten in der Kaiserstadt, sondern kennt den Soliterm-Geschäftsführer seit Ende der 1990er Jahre: „Es spricht für Ahmet Lokurlu, dass er sich von den Rückschlägen in den vergangenen Jahren nicht hat unterkriegen lassen, sondern jetzt noch einmal voll durchstartet.“ Lokurlus Parabolrinnenkollektoren für die Kälteversorgung räumt Priggen, selbst Maschinenbauingenieur, gute Marktchancen bei der Wärmewende in Deutschland ein: „Die Technik funktioniert, das haben erste Projekte gezeigt. Jetzt ist sie wettbewerbsfähig. Also: Wann, wenn nicht jetzt, soll Ahmet Lokurlu seinen längst überfälligen Durchbruch als Solarunternehmen schaffen?“
29.3.2022 | Autor: Ralf Köpke
© Solarthemen Media GmbH