Windstrom & Co. regional vermarkten
Andreas Schmitt, Geschäftsführer der Westfalenwind Strom GmbH, kann sich vor Kundenanfragen derzeit kaum retten. Kein Wunder, denn der vor allem regional im Paderborner Raum tätige Energieversorger bietet auch Neukunden in der Region einen Strompreis von unter 30 Cent je Kilowattstunde. Ein Blick in Vergleichsportale zeigt bei anderen Stromanbietern dagegen Preise von gut über 40 Cent. Dabei machen Schmitt und seine Kolleg:innen jetzt nichts anders als in den Vorjahren. Sie haben von Anfang an auf Erzeugungsanlagen aus der Region gesetzt. Westfalenwind verkauft Strom aus den eigenen Wind- und Solarparks sowie aus Anlagen anderer Betreiber:innen. Mit letzteren hat Westfalenwind langjährige Stromlieferverträge – Power Purchase Agreements (PPA) – geschlossen. Das gab den Partnern in den Vorjahren Sicherheit, jetzt verschafft es Westfalenwind in Zeiten mit sehr hohen Börsenstrompreisen günstige Strombezugspreise.
Dabei setzt sich das Portfolio aus ausgeförderten älteren Anlagen sowie neueren zusammen. Und das auf regionalem Strom aus Wind-, Solar-, Biogas- und Wasserkraftanlagen basierende Geschäftsmodell scheint aufzugehen. Westfalenwind habe aber nie mit Regionalnachweisen gearbeitet, so Schmitt: „Das System ist zu kompliziert und geht am Kunden vorbei..”
Regionalnachweis für Strom aus der Region
Regionalnachweise standen zum ersten Mal im Jahr 2017 im EEG. Nutzbar sind sie seit dem 1. Januar 2019. Die Idee dieser Regionalnachweise: eine klare Zuordnung von regional mit erneuerbaren Energien erzeugten Kilowattstunden, die so handelbar sind. Das Umweltbundesamt erhielt den Auftrag, das Regionalnachweisregister zu führen. Hier können Betreiber der Anlagen ihren Regionalstrom zertifizieren und Energieversorger können die Nachweise nutzen, um Regionalstrom zu vermarkten. Allerdings sind in diesen Regionalstrom EEG-Marktprämien geflossen. Weil es aber nicht erlaubt ist, diesen Strom doppelt als grünen zu vermarkten, wird der Regionalstrom zu Graustrom. Und wollen Energieversorger ihn doch als regional erzeugter Ökostrom anbieten, müssen sie ihn über zusätzlich erworbene Ökostromzertifikate wieder ergrünen lassen. Dies wiederum den Verbraucher:innen zu erklären, macht diese Art der Vermarktung von Regionalstrom nicht gerade zu einem Selbstläufer.
Wie Elke Mohrbach vom Umweltbundesamt (UBA) erklärt, seien am 3. Januar 2022 im Regionalstromnachweisregister 427 Anlagenbetreiber, 147 Händler und 146 Energieversorgungsunternehmen (EVU) registriert gewesen. Diese Zahlen könne man jedoch nicht einfach addieren. Die Registerteilnehmenden können gleichzeitig Anlagenbetreiber und/oder Händler und/ oder EVU sein.
Bisher habe der Regionalstrom eine überschaubare Bedeutung, sagt Mohrbach. „Nach unserer Einschätzung sind es vor allem Stadtwerke mit eigenen Anlagen, die hier punkten können.” Mit dem Angebot von Regionalnachweisen komme man dem Wunsch der Verbraucher:innen nach, Strom aus der Region zu beziehen. Regionalität sei ja auch sonst ein häufiges Kriterium beim Kauf von Produkten und nehme in der Bedeutung weiter zu.
Stadtwerk bietet Regionalstrom an
Eines der Stadtwerke, das sich mit EEG-Regionalstrom einen speziellen Markt erschließt, sind die Stadtwerke Soest. „Nach dem Start am 15. November 2019 haben wir bereits innerhalb weniger Wochen eine hohe dreistellige Zahl an Kunden gewinnen können”, berichtet Harald Feine, Pressesprecher der Stadtwerke: „Inzwischen liegen die Kundenzahlen bei über 1500 Haushaltskunden und verschiedenen Gewerbebetrieben.” Und diese Kunden sind offenbar bereit, rund 2 Cent je Kilowattstunde für das Regionalstromprodukt im Vergleich zum üblichen Stromangebot der Stadtwerke zu zahlen.
„Mit dem Regionalstrom machen wir die Energiewende vor Ort erlebbar und erhöhen zugleich die Bindung an den Versorger vor Ort als lokalen Motor der Energiewende”, sagt Feine zur Motivation der Stadtwerke. Die erhöhte Nachfrage nach regional erzeugtem Ökostrom könne dessen weiteren Ausbau zusätzlich unterstützen.
Rund ein Viertel der Partneranlagen seien ausgeförderte EEG-Anlagen, so Feine. Alle Anlagen seien in eine Softwareplattform eingebunden. Den Kunden des Regionalstromproduktes bieten die Stadtwerke darüber an, ganz konkret einzelne Anlagen in der Region auszuwählen, von denen sie den Strom beziehen wollen.
Schwieriger Markt der regionalen Stromvermarktung
Bislang sei es nur ein kleiner Teil der Stadtwerke, die ein regionales Produkt anbieten, sagt Torsten Brose von der Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) im Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Die ASEW berate einige der Stadtwerke bei der Produktentwicklung und bem Marketing. Dabei sei der EEG-Regionalstrom kein einfaches Produkt. Er sei noch erklärungsbedürftiger als Ökostromprodukte. Und in der Regel sei auch nur ein Teil des Stroms zertifizierter Regionalstrom. Denn gemäß den Regelungen des EEG könne dieser nicht größer sein als der als EEG-Strom ausgewiesene Anteil an einer Stromlieferung. Und er bilde davon nur eine Teilmenge. Da außerdem derzeit die Marktsituation nicht für höherpreisige Premiumprodukte spreche, sei es schwierig, ein Regionalstromprodukt zu platzieren. Es gebe leider nur wenige Beispiele wie in Soest, wo es gut laufe. Aus Sicht von Brose ist es dafür wichtig, den Regionalstrom in ein überzeugendes Gesamtkonzept für den Ausbau erneuerbarer Energien einzubinden.
Interesse an Regionalstrom wächst
Das Umweltbundesamt verzeichne allerdings seit dem letztem Jahr seitens der EVU vermehrt Fragen zum Thema regionaler Grünstrom, erklärt Mohrmann. Das sei auch anhand der Gesamtentwertungsmengen im Regionalnachweisregister (RNR) abzulesen. Für das Stromlieferjahr 2019 sind demnach rund 54,6 Millionen Regionalnachweise von den im RNR registrierten EVU entwertet worden. Im Jahr 2020 seien diese bereits auf rund 214,1 Millionen gestiegen. Dabei entspreche ein Regionalnachweis einer an Letztverbraucher gelieferten Kilowattstunde Strom.
Als lokale Akteure sind Stadtwerke durchaus bedeutsam für den Ausbau erneuerbarer Energien in ihrer Region, sofern sie diese Aufgabe annehmen. Das gilt mindestens ebenso für Energiegenossenschaften. Und für sie sei regionaler Strom durchaus ein spannendes und wichtiges Thema, sagt Felix Schäfer, Vorstand der Bürgerwerke eG, einem Zusammenschluss von rund 100 regionalen Energiegenossenschaften. Ebenso wie die Nutzung des Stroms von der eigenen Solaranlage könne der Strom aus der Region ein guter Hebel sein, um den Menschen die Energiewende nahezubringen, betont Schäfer. Er sollte dann aber auch einen finanziellen Mehrwert liefern.
Und genau dies sei beim Regionalstrom gemäß EEG nicht der Fall. Die aktuelle Rechtslage sei alles andere als trivial, das Verfahren kompliziert, so Schäfer. Das hätten die Erfahrungen einzelner Genossenschaften mit dem EEG-Regionalstrom gezeigt. Dieser Regionalstrom sei damit mindestens genauso teuer wie Egalstrom und überdies sehr erklärungsbedürftig. „Damit holt man niemanden hinterm Ofen hervor“, so das Fazit von Schäfer. Die Energiegenossenschaften nutzen daher eher ihre Verankerung in den Regionen, um ihren Strom zu vermarkten. Helfen könne dagegen den regionalen Energiegenossenschaften ein Energie-Sharing-Konzept, wie es das Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) empfehle.
Energy Sharing als Alternative
Demnach sollten Bürger:innen Windkraft- oder Solaranlagen in ihrer Umgebung mitfinanzieren und den produzierten Strom selbst mit einem Kostenvorteil beziehen können. Doch die bestehenden Strukturen zur Förderung erneuerbarer Energien sähen dies aktuell nicht vor, so das IÖW: „Wir schlagen daher vor, dass Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften das Stromnetz nutzen können und einen finanziellen Vorteil erhalten sollten, wenn sie selbst erzeugten Strom aus ihrer Anlage zeitgleich verbrauchen.“ Dafür sollten die regulatorischen Rahmenbedingungen jetzt geschaffen werden, fordern die Wissenschaftler:innen.
Das vom IÖW vorgeschlagene Modell hängt noch von politischen Entscheidungen ab.
Stadtwerke, Genossenschaften und Unternehmen wie Westfalenwind können aber auch jetzt schon regional erzeugten Erneuerbare-Energien-Strom voranbringen – und damit auch Kunden gewinnen.
19.4.2022 | Autor: Andreas Witt
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