Ammoniak als Energie-Speicher
Als Bundes-Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Robert Habeck im März auf der Arabischen Halbinsel unterwegs war, um Ressourcen für die deutsche Energieversorgung zu sichern, tauchte ein Begriff auf, der mehr nach Kuhstall als nach Energie klingt: Ammoniak. Schon für 2022 kündigt das Ölunternehmen Adnoc aus den Arabischen Emiraten erste „Pilotlieferungen“ von Ammoniak an.
Erst einmal soll es in Containern nach Hamburg kommen, wie die Hamburger Hafen & Logistik AG (HHLA) erklärt. Dabei soll es sich um „blaues“ Ammoniak handeln – es wird also aus Erdgas hergestellt sein, allerdings mit CO2-Abscheidung. Einer der ersten Kunden wird der Hamburger Kupferhersteller Aurubis sein, der den Stoff im Fertigungsprozess einsetzen will.
Mittelfristig suche man eine skalierbare Lösung für den Import von grünem Ammoniak, die sich mit weiteren Projekten in den Nordseehäfen, ergänzen soll, heißt es von HHLA. Zu diesen wird zum Beispiel ein Ammoniak-Terminal in Brunsbüttel gehören, dessen erste Ausbaustufe mit 300.000 Tonnen RWE bis 2026 fertigstellen will. Später sollen es zwei Millionen Tonnen werden.
Rohstoff für die Landwirtschaft
Bisher hat Ammoniak mehr mit Land- als mit Energiewirtschaft zu tun. Das Gas, das für den stechenden Geruch von Misthaufen verantwortlich ist, ist der zentrale Rohstoff zur Produktion von Stickstoffdünger. Das dafür benötigte Zwischenprodukt Ammoniak wird fast ausschließlich in großen Fabriken im Haber-Bosch-Verfahren unter hohem Druck, bei mehreren Hundert Grad und unter Zugabe eines Katalysators hergestellt. Diese Erfindung Anfang des 20. Jahrhunderts ließ die Agrarerträge in die Höhe schnellen. Neben großen Mengen von Stickstoff, der sich vergleichsweise einfach aus der Luft gewinnen lässt, waren dafür 2019 laut der Internationalen Energieagentur 31 Millionen Tonnen Wasserstoff nötig. Dieser stammt bisher weitgehend aus der Spaltung von Erdgas.
Die Ammoniakproduktion ist daher bislang eher als Energieverbraucher denn als Energiespeicher bekannt. Die Ammoniakproduktion ist laut IEA für zwei Prozent des globalen Endenergiebedarfs verantwortlich. Davon gehen 40 Prozent auf den Rohstoffeinsatz in Form von Wasserstoff aus Erdgas und Kohle zurück, der Rest vor allem auf den hohen Wärmebedarf bei der Ammoniakherstellung. Das führt zu CO2-Emissionen von 450 Megatonnen pro Jahr.
Selbst wenn man das Ammoniak nicht zur Energiegewinnung nutzt, ist es also für Energiewende und Klimaschutz relevant.
Grünes Ammoniak als Energie-Träger
Rund um die Welt melden nunmehr Unternehmen, dass sie mit der Herstellung von grünem Ammoniak begonnen haben – oft direkt im großen Stil, denn das Haber-Bosch-Verfahren lohnt nur in Großfabriken. Brasilien plant in seinem neuen Industriehafen Porto Central unter anderem eine grüne Ammoniakproduktion, um seine Abhängigkeit von Düngemittelimporten zu senken. In den USA testen der Düngemittelgigant CF Industries und die kanadische AmmPower jeweils eine eigene Wasserstofferzeugung.
Auch überall dort, wo sich billiger Ökostrom erzeugen lässt, wird die Ammoniakherstellung interessant. An der Küste des Roten Meeres in Saudi Arabien wollen das Unternehmen Neom und der staatliche Energiekonzern Acwa Power laut einer Pressemitteilung gemeinsam fünf Milliarden US-Dollar in eine grüne Ammoniakproduktion investieren. Vier Gigawatt PV- und Windleistung sollen Elektrolyseure antreiben, um 650 Tonnen Wasserstoff und daraus 1,2 Millionen Tonnen grünes Ammoniak zu erzeugen. Und in Norwegen kündigt das Wiesbadener Start-up Hy2Gen die Produktion von gut 200.000 Tonnen grünem Ammoniak jährlich an.
Transportmedium für Wasserstoff
Einiges spricht dafür, das Ammoniak nicht nur für die Düngerherstellung, sondern auch als Energieträger und in anderen Prozessen statt Erdgas oder Wasserstoff zu nutzen. Es wird „schon“ bei – 33 ° C oder einem Druck von 9 bar flüssig. Dann hat es eine Energiedichte von 4,25 kWh pro Liter. Das ist immer noch deutlich weniger als Diesel (9,8 kWh/l), aber mehr als flüssiger Wasserstoff (2,37 kWh/l). Die International Renewable Energy Acency hält Ammoniak deshalb langfristig für das günstigste Medium, um Wasserstoff über lange Strecken auf dem Seeweg zu transportieren.
Um den Wasserstoff zurückzugewinnen, muss man das Ammoniak wieder aufspalten. Das geschieht mithilfe von hohen Temperaturen und Katalysatoren. Für dieses Cracken muss man etwa zehn Prozent der im Ammoniak enthaltenen Energie einsetzen. Der Wasserstoff ließe sich dann zum Beispiel über Pipelines zu den Kunden zu bringen. Diesen Plan verfolgt auch RWE mit seinem Ammoniak-Terminal in Brunsbüttel.
Im Grunde lässt sich Ammoniak aber auch direkt als Brennstoff nutzen. Das geschieht bisher allerdings selten, denn das Gas brennt in seiner Reinform vergleichsweise schlecht. Im Co-Firing wird Ammoniak in Japan in Kraftwerken eingesetzt. Mitsubishi Heavy Industries arbeitet einer Präsentation zufolge sogar an reinen Ammoniakkraftwerken. In Deutschland sind bisher allerdings keine solchen Projekte in Sicht.
Hoffnungsträger für Schifffahrt
Als Hoffnungsträger gilt Ammoniak für die Schifffahrt, wie unter anderem eine Studie der Schiffsklassifizierungsgesellschaft DNV GL verrät. Die Ansätze sind vielseitig. Der Motorenhersteller MAN arbeitet an einem Motor, der sowohl mit Ammoniak als auch mit Diesel laufen kann. Das Forschungsprojekt ShipFC entwickelt den ersten Brennstoffzellenantrieb auf Basis von Ammoniak.
Dieses soll zuerst in Stickstoff und Wasserstoff gespalten werden, der dann eine Festoxid-Brennstoffzelle versorgt. Wegen ihrer hohen Betriebstemperatur ist sie robust und kann auch Reste von Ammoniak gut verkraften. Im Jahr 2024 soll das Versorgungsschiff „Viking Energy“ mit diesem Antrieb auf Testfahrt gehen. Das Projekt Campfire will nur einen Teil des Ammoniaks an Bord cracken und Motoren einer Jacht und einer Fähre mit dem Wasserstoff-Ammoniak-Gemisch betreiben. Brennstoffzellen kommen bei Campfire auch vor – als Bordstromversorgung und in einer Konzeptstudie für den möglichen Antrieb eines Kreuzfahrtschiffes um das Jahr 2030.
CO2-frei, aber nicht ungefährlich
Die Verbrennung von Ammoniak emittiert kein CO2, denn der Brennstoff enthält keinen Kohlenstoff. Doch im Abgas finden sich auch bei einer guten Verbrennung noch gewisse Mengen unverbranntes Ammoniak, Stickoxide und Lachgas. Ammoniak reizt auch in kleinen Konzentrationen Augen und Schleimhäute, Lachgas übertrifft CO2 in der Klimawirkung etwa um den Faktor 300. Um Ammoniakantriebe wirklich umwelt- und klimafreundlich zu machen, sind also eine präzise Steuerung der Prozesse und gute Katalysatoren nötig, die diese Schadstoffe sauber in Stickstoff und Wasser umwandeln.
Ammoniak ist kein Wundermittel. Doch seine Handhabung ist logistisch erprobt, es ist vergleichsweise leicht zu transportieren. Vor allem ist es einfach und günstig in großen Mengen herzustellen. Wo der Einsatz von Ammoniak konkret sinnvoll ist, wird sich bei den „Pilotlieferungen“ nun zeigen müssen. Der Kupferhersteller Aurubis will es zum Beispiel als Reduktionsmittel im Anodenofen ebenso testen wie in Brennern und „neuen Prozessideen“. Dabei geht es ausdrücklich auch darum, die Entstehung von Schadstoffen zu vermeiden, unter anderem durch die richtige Reaktionstemperatur.
Enormer Energiebedarf
Zwei Herausforderungen des Erdgasausstiegs wird Ammoniak aber nicht lösen können. Erstens bleibt der Ausbau der Ökostromerzeugung die dringendste Herausforderung – unabhängig davon, in welchem Medium man diese Energie nun speichert oder transportiert. Allein um die 31 Gigatonnen Wasserstoff zu erzeugen, die 2019 in die Ammoniakherstellung flossen, bräuchte man rund 1500 TWh Ökostrom. Das ist das Sechsfache der deutschen Ökostromerzeugung im Jahr 2021.
Will man das Ammoniak auch als Energieträger einsetzen, muss die Herstellung noch deutlich steigen. Und zweitens ist die Ammoniakherstellung eine klassische Großtechnologie. Gerade weil der Stoff so leicht transportabel ist, liegt es nahe, dass er dort hergestellt wird, wo es billigen Ökostrom und viel Platz gibt, zum Beispiel in den Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien. Das ist zwar grüner als Erdöl und eine Alternative zum Erdgas von Putin – aber ein Beitrag zur dezentralen Energiewende und zu mehr Unabhängigkeit von demokratisch fragwürdigen Staaten ist es nicht.
20.4.2022 | Autorin: Eva Augsten
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