TU Berlin modelliert Ökostrom-Bezug auf Stundenbasis für Google

Eine Animation zeigt Windenergie, Photovoltaik und Stromnetze - Symbolbild für Netzausbau, NetzeingriffeFoto: Eisenhans / stock.adobe.com
Selbst bei ambitionierten Ökostrom-Verträgen wird der Bezug bisher übers ganze Jahr bilanziert. Die TU Berlin und Google arbeiten an einem Modell auf Stundenbasis.

Forschende der TU Berlin wollen nun am Beispiel der Google-Rechenzentren untersuchen, was passieren müsste, um Kunden auf Stundenbasis mit Ökostrom beliefern zu können. Dafür nutzen sie die selbst entwickelte Open-Source-Software PyPSA.

Google kauft seit 2017 Ökostrom und deckt somit bilanziell 100 Prozent seines weltweiten Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien – ebenso wie viele Unternehmen und Verbraucher:innen. Bisher wird die Ökostrom-Lieferung allerdings übers Jahr bilanziert. Ist in einer windstillen Winternacht nur wenig Strom aus erneuerbaren Energien verfügbar, springen eben mehr Kohle- oder Gaskraftwerke ein. An anderen Tagen liefern die Ökostrom-Kraftwerke dann entsprechend mehr Energie aus Wind und Sonne, um das Defizit auszugleichen.

Professor Tom Brown, Leiter des Fachgebiets Digitale Transformation in Energiesystemen an der TU Berlin, sieht darin auch einen sozialen Aspekt. Bisher sei das übrige Stromnetz gezwungen, das System auszugleichen. Das ist auch ein Kostenfaktor. „Der Ansatz des 24/7-Vertrags kann den Einsatz von sauberer Energie fördern, die wirklich dem Verbrauch entspricht und die Bedürfnisse des Gesamtsystems unterstützt.“

Letzter Schritt zur Ökostrom-Vollversorgung auf Stundenbasis ist der schwerste

Auf Stundenbasis deckt Google global zwei Drittel seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien. In Deutschland sollen es bald 80 Prozent sein. Dies geht auf einen besonderen Vertrag mit dem französischen Energieunternehmen Engie zurück. Bis 2030 will Google auf eine Ökostrom-Versorgung umstellen, die in jeder Stunde des Jahres eine vollständige Deckung aus erneuerbaren Energien gewährleistet. Nach vorläufigen Erkenntnissen der TU Berlin wird das eine Herausforderung sein. „Eines der ersten Ergebnisse unserer Modellierung ist, dass der Schritt von 80 auf 100 Prozent 24/7-Anteil am Kauf von CO2-freiem Strom genauso teuer ist wie der Schritt von 0 auf 80 Prozent“, erklärt Brown.

In Europa soll dabei das Bilanzierungsmodell der TU Berlin helfen. In den USA arbeitet Google mit der Princeton University zusammen, die ebenfalls eine Software für diese Aufgabe entwickelt.

Mit Hilfe der Software PyPSA will das Team der TU die Chancen, Vorteile und Kosten des 24/7-Ansatzes in Europa bewerten. Das Programm bezieht globale Wetterdaten, die Standorte von Erzeugungs- und Speicheranlagen sowie die Architektur der Energienetze in den verschiedenen Ländern ein. „Google freut sich, mit der TU Berlin zusammenzuarbeiten, um die Vorteile der CO2-freien Stromversorgung auf Stundenbasis für das europäische Netz mit dem hochmodernen PyPSA-Modell zu untersuchen,“ sagt Caroline Golin, Global Head of Energy Markets and Policy bei Google.

Funktioniert ein räumlicher Ausgleich der Ökostrom-Erzeugung in Europa?

Die Forschenden wollen herausfinden, welche Technologien an welchen Orten besonders geeignet wären, um Verbraucher:innen rund um die Uhr zu 100 Prozent mit Ökostrom zu beliefern. Dabei wollen sie zum Beispiel verschiedene Speicheroptionen vergleichen. Dazu gehören Batterien als Kurzzeitspeicher, Wasserstoff als Langzeitspeicher und auch thermische Speicher im Untergrund. Auch fossile Energiequellen in Kombination mit CO2-Abscheidung wollen die Forschenden modellieren.

Auch wie sehr ein räumlicher Ausgleich über das europäische Netz möglich ist, wollen sie untersuchen – irgendwo in Europa weht der Wind schließlich immer. „Wir wollen auch verstehen, wie wichtig es ist, Strom in der Nähe von Googles Rechenzentren zu erzeugen, und ob Berechnungen je nach Wetterlage zwischen den Zentren verschoben werden können“, erklärt Brown.

„Das Besondere an PyPSA ist, dass der Code für sehr große Netzwerke und lange Zeitreihen optimiert wurde“, sagt Brown. Das sei genau das, was man für die Simulation der Schwankungen von Wind und Sonne brauche. Ein erster Überblick über die Netzsituation einzelner Länder sei in wenigen Minuten machbar. Eine hochauflösende Simulation für die gesamte EU dauere allerdings rund zwölf Stunden.

Da es sich bei PyPSA um eine Open-Source-Software handelt, könne sie leicht an die Bedürfnisse verschiedener Nutzer:innen angepasst werden „Wir haben PyPSA außerdem besonders benutzerfreundlich gestaltet, mit einer einfach zu bedienenden Oberfläche und einer ausführlichen Dokumentation“, sagt Brown.

Institute, Think Tanks und Netzbetreibende arbeiten laut Brown seit mehreren Jahren mit dem Open-Source-Produkt. Er rechnet mit vielen weiteren Studien mit PyPSA. Auch der Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz ist interessiert. Das Unternehmen arbeitet im Projekt EU-Projekts Energy Track and Trace bereits an einem europäischen Industriestandard mit, um die Ökostrom-Versorgung rund um die Uhr abzubilden.

Für „interessierte Laien“ hat die TU-Berlin eine Art vereinfachte Demoversion der Software erstellt, die sich hier testen lässt.

„Granulare Zertifikate“ sollen Ökostrom-Lieferung auf Stundenbasis abbilden

Google ist nicht das einzige Unternehmen, dass an Ökostrom-Lieferung in Echtzeit interessiert ist. Mehr als 65 Organisationen haben bisher den von „Sustainable Energy for All“ organisierten  „24/7 Carbon-free Energy Compact“ unterzeichnet.

Brown hält es auch für möglich, die Ökostrom-Zertifikate auf Stundenbasis statt jährlich zu handeln. Die Industrie-Initiative  „EnergyTag“ hat gerade einen internationalen Standard für solche granulare Energiezertifikate veröffentlicht. Er basiert auf den „Zertifikaten für erneuerbare Energien“ in Nordamerika und den „Herkunftsnachweisen“ in Europa. Allerdings fügt er diesen einen Zeitstempel hinzu. Aus diesem ist ersichtlich, in welcher Stunde oder halben Stunde der der Ökostrom produziert wurde. Damit könnte man auch nachvollziehen, ob der Strom für die Elektrolyse von Wasserstoff wirklich aus erneuerbaren Energien stammt. Solche Zertifikate könnten daher die Einführung von grünem Wasserstoff beschleunigen.

Der zeitliche und räumliche Ausgleich der Strommengen ist eine Herausforderung für Netzbetreiber, für die es viele Forschungs- und Lösungsansätze gibt. Eine Idee ist, dafür die Speicher aus Elektroautos einzusetzen.

03.05.2022 | Quelle: TU Berlin | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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