Wind-an-Land-Gesetz: Tempo auf Kosten der Rechtssicherheit?

Zu sehen sind Windenergie-Anlagen an Land vor untergehender Sonne. Der Bund will mit dem Wind-an-Land-Gesetz den Windenergieausbau voranbringen.Foto: Nightman / stock.adobe.com
Die Bundesregierung will das Tempo der Gesetzgebung zum Windkraftausbau forcieren. Mit zwei umfangreichen Formulierungshilfen für die Ampelfraktionen will die Bundesregierung das bereits laufende parlamentarische Verfahren zum sogenannten Osterpaket ergänzen. Für die Windenergie will Wirtschaftsminister Habeck unter anderem das 2-Prozent Flächenziel rechtlich vorrangig vor den Abstandsregelungen der Länder installieren. Zudem geht es darum, Sonderregelungen für die Windenergie im Bundesnaturschutzgesetz zu verankern.

Diese Gesetzgebungsvorhaben will die Bundesregierung noch vor der Sommerpause mit der EEG-Novelle des sogenannten Osterpakets über die parlamentarischen Hürden bringen. Im Arbeitsplan von Wirtschaftsminister Habeck waren sie eigentlich erst für das spätere Sommerpaket geplant. Branchen- und Umweltverbände wie der Bundesverband Windenergie (BWE) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) unterstützen zwar grundsätzlich, dass die Ampelregierung beim Windenergieausbau auf’s Tempo drückt. Dass die komplexen Neuregelungen nun allerdings ohne eine Möglichkeit zur intensiven Beteiligung der Verbände durchs Parlament gepeitscht werden sollen, hält vor allem der BWE für keine gute Idee. Der Verband warnt vor nicht rechtssicheren Schnellschüssen.

Windenergie-an-Land-Gesetz

Die Branche benötige schnell Klarheit und Verbindlichkeit, sagt BWE-Präsident Hermann Albers: „Wir haben immer unterstrichen, dass für die Erreichung der Ziele die Bereitstellung von Flächen, vereinfachte und beschleunigte Genehmigungsverfahren und die Standardisierung im Artenschutz unerlässlich sind. Bei dem notwendigen Tempo dürfen allerdings Rechtssicherheit und Praxistauglichkeit nicht auf der Stecke bleiben.“ Die Formulierungshilfen befinden sich aktuell in der Ressortabstimmung zwischen den Ministerien. Das Bundeskabinett will sie offenbar schon in der kommenden Woche beschließen.

Ganz neu ist der Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung der Flächenausweisung für Windenergieanlagen an Land (Wind-an-Land-Gesetz – WaLG). Es enthält ein völlig neues Windflächenbedarfsgesetz (WindBG), eine Änderung des Baugesetzbuches und einige Änderungen im EEG. Grundsätzlich will der Bund damit das 2-Prozent-Flächenziel des EEG – in leicht unterschiedlichem Maße – auf die Bundesländer aufteilen. Die Änderung des Baugesetzbuches (BauGB) soll dafür sorgen, dass überall dort wo Länder bzw. Träger der Kommunal- oder Regionalplanung ihrer Pflicht nach WindBG nicht nachkommen, automatisch die uneingeschränkte Privilegierung für Windenergieanlagen im Außenbereich gilt.

Änderung im Bundesnaturschutzgesetz

Die zweite Formulierungshilfe zum Bundesnaturschutzgesetz sieht erstmals spezielle Regelungen zum Artenschutz beim Betrieb von Windenergieanlagen vor. Sie enthält neue Anlagen zum Gesetz, die es in sich haben. Beispielsweise werden mit einer Anlage zum Gesetzestext Bereiche zur Prüfung bei kollisionsgefährdeten Brutvogelarten definiert. Eine weitere Anlage enthält eine gänzlich neue, komplexe Formel zur Berechnung der Zumutbarkeit von Ertragsverlusten. Zugleich definiert sie die Höhe der Ausgleichszahlung für Artenhilfsprogramme. Gleichzeitig wird damit der erst mit der jüngsten EEG-Novelle eingeführte § 16 b im Bundesimmissionsschutzgesetz teils wieder aufgehoben. Der betroffene Absatz 4 sollte das Repowering von Windenergieanlagen erleichtern, indem Vorbelastungen durch die Altanlagen bei der immissionsschutz-rechtlichen Prüfung der Neuanlagen zu berücksichtigen sind.

Windenergieanlagen als Sonderfall für den Artenschutz

BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm kritisierte bei einem Internet-Briefing am Freitag bereits die geplante Einführung von Windenergieanlagen als Sonderfall im Bundesnaturschutzgesetz als zweifelhaften Ansatz. „Windenergie würde damit die einzige Technologie sein, die im Bundesnaturschutzgesetz erwähnt wird, als eine Technologie, die Tiere gefährdet.“ Der BWE kritisiert die Behauptung, Windenergieanlagen würden signifikante Tötungsgefahren verursachen, als unwissenschaftlich und somit inakzeptabel.

Die geplanten Neuregelungen könnten anstelle der beabsichtigten Beschleunigung und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren sogar das Gegenteil bewirken. Das befürchtet BWE-Präsident Albers: „Hinter der Formel zur Berechnung der Zumutbarkeit und Höhe der Zahlung in Artenhilfsprogramme verbirgt sich eine völlig neue Regelung zu scheinbar tolerierbaren Abschaltungen und Energieverlusten. Die Formel ist in ihren Praxisauswirkungen kaum zu bewerten. Die mit ihr als zumutbar berechneten Abschaltungen betreffen nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern werden vor allem den Stromertrag aus der installierten Leistung dauerhaft mindern.“

Flächenkulisse im Wind-an-Land-Gesetz unzureichend

Mit dem Wind-an-Land-Gesetz will Klimaschutzminister Robert Habeck den Ländern in zwei Schritten individelle Mindestumfänge für deren jeweilige Flächenkulisse vorgeben. Die erste Stufe mit noch geringerem Flächenanteil griffe im Jahr 2026. Im Endstadium 2032 sollen diese Mindestziele je nach Potenzial zwischen 0,5 Prozent der Landesfläche für die drei Stadtstaaten und 2,2 Prozent für sechs Nord- und ostdeutsche Flächenländer variieren. Die Südstaaten Bayern und Baden-Württemberg kämen wegen der vergleichsweise geringeren Windhöffigkeit vieler Gebiete mit 1,8 Prozent ihrer Landesfläche hin.

Grundsätzlich sollen die Länder weiterhin zwei Möglichkeiten haben, wie sie eine ausreichende Flächenkulisse sicherstellen. Entweder können sie landesweit Raumordnungspläne ausweisen, die das Flächenziel berücksichtigen. Oder sie delegieren die Aufgabe, indem sie verbindliche Ziele für ihre jeweilige Kommunal- beziehungsweise Regionalplanungsebene vorgeben.

Der BWE befürchtet dadurch weitere Verzögerungen. Die Zweistufigkeit und die späten Termine bei der schrittweisen Erweiterung der Flächenkulisse im Wind-an-Land-Gesetz kritisiert der BWE massiv. „Wir brauchen sofort wirksame Maßnahmen, um die Ausschreibungsvolumen bereits ab 2023 zu erreichen“, sagt Albers. „Warum die Flächenbeitragswerte ausgerechnet bei Bundesländern mit einem hohen eigenen Strombedarf das 2-%-Flächenziel nicht erreichen sollen, ist unverständlich.“

Positiv sei aber die im Baugesetzbuch angelegte Klarstellung, dass die Flächenziele Mindestziele sind, so der BWE.

DUH fordert Abschaffung von Abstandsregeln

Auch Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH begrüßt die Pläne der Bundesregierung, mit dem Wind-an-Land-Gesetz bundesweit durchschnittlich zwei Prozent der Fläche für die Windkraft zu reservieren. Doch er kritisiert: „Das Ziel, den Ausbau der Windenergie bundesweit massiv zu beschleunigen, wird jedoch dadurch unterlaufen, dass bestehende Abstandsregeln einzelner Bundesländer wie Bayern und Nordrhein-Westfalen weiterhin bestehen bleiben.“ Für eine glaubhafte Energiewende müsse man Mindestabstände grundsätzlich abschaffen. „Dass Bundesländer wie Bayern oder Nordrhein-Westfalen bis 2032 Zeit haben, das Flächenziel zu erreichen, ist außerdem absolut inakzeptabel. Wir müssen die Windenergie hier und heute ausbauen“, so Müller-Kraenner.

11.6.2022 | Autoren: Guido Bröer, Jens Peter Meyer
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