Simone Peter (BEE): Jetzt die Wärmewende boostern!
Solarthemen: Die Energierohstoffe, die Deutschland aus Russland bezieht, verbrennen wir zum weit überwiegenden Teil, um Wärme zu erzeugen. Und doch scheint sich die durch den Ukraine-Krieg forcierte energiepolitische Diskussion einmal mehr vor allem um Strom zu drehen. Täuscht der Eindruck?
Simone Peter: Die mediale Aufmerksamkeit ist auf den Stromsektor gelenkt, weil die Ampelregierung mit dem großen Strom-Osterpaket gestartet ist. Die Wärme hat sie auf das Sommerpaket vertagt. Mit der zunehmenden Sektorenkopplung – Stichwort Wärmepumpen, Power-to-Heat – muss man es aber sowieso zusammendenken. Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Lage verschärft und eine Kosten- und Versorgungskrise ausgelöst. Die Importabhängigkeit von Russland betrifft insbesondere Gas und deshalb den Wärmebereich. Die Bundesregierung muss nun schnell Maßnahmen zur Wärmeversorgung nachlegen. Wir fordern, jetzt mindestens mit demselben Ehrgeiz wie beim Strom auch die Erneuerbare Wärmeversorgung auszubauen. Wir haben daher unseren Maßnahmenvorschlag zur Beschleunigung der Wärmewende und zum prioritären Ausbau der Erneuerbaren Energien überarbeitet. Denn für jedes Wärmeproblem gibt es eine Erneuerbare Wärmelösung.
Schnell versus nachhaltig?
Der Ukrainekrieg mahnt zu noch schnelleren Lösungen. Gibt es einen Zielkonflikt zwischen besonders nachhaltigen und besonders schnell verfügbaren erneuerbaren Energien? Ist die Sektorenkopplung nicht schlicht zu langsam in Fahrt zu bringen im Vergleich etwa zu den Potenzialen der Biomasse zur Wärmeerzeugung.
Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir dürfen natürlich jetzt keine Weichen stellen, die uns später teuer zu stehen kommen, weil sie für 10 bis 20 Jahre falsche Strukturen manifestieren, zum Beispiel, was den Einsatz von LNG angeht. Wir werben dafür, dass die Potenziale jener erneuerbaren Energien, die in den vergangenen 20 Jahren auch für den Wärmebereich mühsam aufgebaut wurden, jetzt genutz werden. Mithilfe von Biogas könnte man beispielsweise kurzfristig durch kleine Änderungen am EEG im kommenden Winter 4 bis 5 Prozent russisches Erdgas ersetzen – mittelfristig sogar 40 bis 50 Prozent. Dazu müsste man verststärkt Rest- und Abfallstoffe nutzen und Biomasse von Grünland oder Biodiversitätsflächen. Mittelfristig steht auch die Geothermie zur Verfügung und für Wärmepumpen und Solarthermie braucht es jetzt Boosterprogramme. Denn auch sie können den fossilen Energiebedarf innerhalb weniger Jahre erheblich senken. Wobei besonders der Mangel an qualifizierten Handwerkern kurzfristig zu stemmen ist.
Also: Alle kurzfristigen Maßnahmen nutzen, ohne die langfristigen außer acht zu lassen. Das ist kein Widerspruch. Private Sektorenkopplung, sich eine Photovoltaikanlage aufs Dach zu setzen, um damit die Wärmepumpe und das E-Auto teilweise zu füttern, ist eine kurzfristige Maßnahme, die auch langfristig wirkt.
Simone Peter: „Vieles springt noch zu kurz“
Also alles gut, was die Ampel jetzt tut?
Nein. Einiges ist in der Pipeline, aber vieles springt noch zu kurz. Auch, weil es noch vor dem russischen Angriffskrieg konzipiert wurde.
Ein Beispiel bitte!
Da fallen mir aber viele Punkte ein: Im Wärmebereich müssen sämtliche Programme schnell überarbeitet werden, um schneller aus fossilen Heizungen auszusteigen. Dabei die erneuerbare Nutzungspflicht deutlich anheben. Auch die schnellstmögliche Absenkung des Neubaustandards auf 55 Prozent des Referenzgebäudes gehört dazu. Im Stromsektor sind Regelungen der Eigenversorgung zu unterstützen. Bei der PV-Eigenerzeugung ist die Vergütung zu erhöhen und weitere Abgaben vom Strompreis zu nehmen, um die Wärmepumpe attraktiver zu machen.
Booster für die Wärmewende
Eben fiel schon das Wort Booster-Programme. Welches sind für den Wärmesektor die Booster-Technologien?
Booster-Technologien sind sicherlich die Solarthermie, die als zuverlässige Technologie lange bereit steht. Sie könnte jetzt beispielsweise unmittelbar bei 5 Millionen Gasheizungen, die in der vergangenen zehn Jahren eingebaut wurden, den Gasbedarf um 25 bis 50 Prozent reduzieren. Wir wollen ja, dass die ältesten Heizungen, zuerst ausgetauscht werden, die zudem oft bei den einkommensschwächsten Haushalten für hohe Heizkosten sorgen. Die Umlage des CO2-Preises auf Mieterinnen und Mieter muss daher – bis zum Erreichen treibhausgasneutraler Gebäude – beschränkt werden.
Wo neuere Heizungen schon vorhanden sind, sollte man einen Solar-Booster-Bonus gewähren und dafür auch massiv Öffentlichkeitsarbeit machen. Auch bei Wärmepumpen bedarf es einer breiteren Kampagne – auch um Handwerker anzuwerben und auszubilden. Das Motto: Die Handwerker:in von heute ist die Klimaschützer:in von morgen.
Ein weiterer Booster wäre die Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW), die immer noch auf sich warten lässt. Eigentlich sollen Kommunen und Wärmenetzbetreiber jetzt beginnen, ihren erneuerbaren Anteil in der Fernwärme auf langfristig 100 Prozent zu steigern und die Nah- und Fernwärmenetze zugleich auszubauen. Das muss geplant werden. Die kommunale Wärmeplanung braucht jetzt Unterstützung, damit Strukturen der Wärmeversorgung jetzt verändert werden.
Wo bleibt die BEW?
Der BEW-Entwurf liegt seit Jahren vor und kommt einfach nicht. Was fällt Ihnen dazu noch ein?
Der Entwurf liegt nach wie vor in Brüssel zur Genehmigung. Für uns ist auch nicht nachvollziehbar, warum das so lange dauert. Sobald die Förderrichtlinie da ist, muss man sie auch schon wieder nachbessern. Die Fördermittel
sind zu erhöhen. Die Betriebskostenförderung ist auch bei der Geothermie zu erhöhen. Auch die Genehmigungen sind hier zu beschleunigen. Und die Begrenzung der Betriebsstunden für Biomasse sollte die Bundesregierung jetzt streichen, damit sofort alle Potenziale genutzt werden, die es gibt.
Ein weiteres Förderprogramm, das schnell geändert werden muss ist die Bundesförderung effiziente Gebäude. Auch hier muss die Förderung von fossilen Gaskesseln sofort gestrichen werden.
Ist das denn Konsens innerhalb der BEE-Mitgliedsverbände? Für den Solarverband BSW macht die Kombination von Solaranlagen mit fossilen Kesseln ja durchaus einen großen Teil des Solarthermie-Geschäftes aus.
Unsere Forderungen sind mit allen Mitgliedsverbänden abgestimmt. Bei neuen Hybridanlagen darf nur der erneuerbare Teil gefördert werden. Und auch die Nachrüstung bestehender, noch junger Fossilkessel mit Solaranlagen ist für uns kein Widerspruch. Da sind wir als Verbändefamilie ganz klar.
GEG-Novelle
Eine der wichtigsten Baustellen im Wärmebereich ist das Gebäudeenergiegesetz, das GEG, dessen Novelle die Ampelregierung für den Herbst angekündigt hat. Wie hat Putins Krieg Ihren Blick auf das GEG geändert?
Wichtig ist, die Nutzungspflicht für erneuerbare Energien gegenüber den bisherigen Entwürfen zu stärken. Außerdem muss der Gesetzgeber das Betriebsverbot für 30 Jahre alte Kessel auf Niedertemperatur- und Kohlekessel ausweiten. Der Energiestandard im Neubau muss schnellstens auf 55 Prozent des Referenzgebäudes abgesenkt werden. Das ist im bisherigen Gesetz nicht konsequent enthalten.
Mit der von der Koalition vorgeschlagenen Aufteilung der CO2-Kosten in Mietshäusern ist der BEE auch nicht zufrieden. Was würden Sie ändern?
Alle drei Jahre sollten sich die angelegten Standards für die Verteilung zwischen Hauseigentümer und Mieter zugunsten der Mieter in Richtung höherer Effizienzstandards verschieben. Wir haben dazu eine differenzierte Tabelle vorgelegt.
Eine der BEE-Forderungen ist eine Quote mit handelbaren Zertifikaten für erneuerbare Energien in der Fernwärme. Warum machen Sie da ein neues Fass neben der überfälligen BEW-Förderung und dem ETS auf?
Also erstmal gilt es, die Förderung der fossilen KWK zu stoppen. Das KWK-Gesetz ist heute ein reines Erdgas-Förderinstrument. Die Erneuerbaren müssen in der KWK als Normalfall betrachtet werden. In dem Zusammenhang können auch handelbare Quoten helfen. Und auch Biomasse muss auf den erneuerbaren Anteil angerechnet werden können – im Gegensatz zur heutigen iKWK-Förderung.
Flächen für die Wärmewende
Wobei auch bei der Wärme die Realisierung von Regenerativ-Projekten oft nicht an zu wenig Förderung scheitert, sondern – etwa bei Solarthermie und Geothermie – an Genehmigungen und Flächenverfügbarkeit.
Wir wollen deshalb die Verbesserung der Schutzgüterabwägung zugunsten der Erneuerbaren, so wie sie jetzt in der EEG-Novelle angelegt ist, ausdrücklich auch auf den Wärmesektor erweitern. Auch Wärme braucht Infrastruktur mit entsprechender Planung und Genehmigung. Deshalb benötigen wir im Baugesetzbuch eine Privilegierung der Wärmeerzeugung aus Erneuerbaren.
Zur Person: Dr. Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE), leitet den Dachverband der Regenerativbranchen-Verbände seit 2018. Von 2013 bis 2018 war sie Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, zuvor Umweltministerin des Saarlandes. Ab 2005 organisierte sie die Kampagne „Unendlich viel Energie“, aus der unter ihrer Leitung die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) hervorging.
16.6.2022 | Interview: Guido Bröer
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