Experten fordern Ausbau europäischer Photovoltaik-Produktion
Andreas Bett, Leiter des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), weist beim PV-Symposium in Freiburg auf das große Ungleichgewicht zwischen Installation und Produktion von Photovoltaik in Europa hin. Dabei blickt er auf die gesamte Wertschöpfungskette in der PV-Produktion. Die beginnt bei der Silizium-Herstellung und führt über Silizium-Ingots sowie PV-Wafer bis hin zu Solarzellen und Photovoltaik-Modulen. 96 Prozent aller Ingots und Wafer kämen derzeit aus China. Bei Solarzellen seien es 78 und bei Modulen rund 70 Prozent. Es reiche daher nicht, sich mit einer Zell- und Modulproduktion im Gigawatt-Maßstab in Europa zu befassen. Die gebe es mit der Produktion von Meyer Burger schon. „Ein Gigawatt reicht nicht“, so Bett: „Es müssen mindestens 10 Gigawatt sein.“ Zum Vergleich: Eine Reihe chinesischer Hersteller arbeitet bereits jeweils im Bereich von einigen Dutzend Gigawatt.
PV-Herstellung über alle Wertschöpfungsketten
Im Auf- oder besser Ausbau einer solchen PV-Produktion in Europa über alle Wertschöpfungsstufen stecke eine sehr große Chance, betont Bett. Derzeit habe China einen großen Vorsprung. Aber den könne Europa aufholen. Die Photovoltaik-Industrie hier könne bei entsprechender Skalierung mit derjenigen in China konkurrieren. „Aber wir brauchen jetzt die Unterstützung der Politik“, so Bett. Es gehe um die Anfangsinvestition für die nächsten drei bis vier Jahre, nicht um eine Dauersubvention.
Schon jetzt seien die Treibhausgasemissionen von europäischen im Vergleich zu chinesischen Modulen geringer, so Bett. Untermauert wird diese Aussage von Holger Neuhaus, dem Abteilungsleiter Modultechnologie beim ISE. Er berichtet von Lebenszyklus-Analysen. Hier wirke sich vor allem der hohe fossile Anteil an der Stromproduktion in China aus. Allerdings macht Neuhaus ebenso deutlich, dass auch der mit chinesischen Modulen produzierte Strom um ein Vielfaches klimafreundlicher ist als der deutsche Strommix.
Vorteil europäischer gegenüber chinesischer Photovoltaik-Produktion
Im Wettbewerb kann die geringere CO2-Emission europäischer Module ein Vorteil sein. Es ist mit Blick auf die Herausforderungen aber ein Randaspekt. Die beim PV-Symposium versammelte Fachwelt stellt sich die Frage, ob und wie die geplante hohe Zahl an PV-Installationen auf Dächern und in der Fläche zu schaffen ist. Bett nennt das Ziel von 20 Gigawatt (GW) jährlichem Zubau in Deutschland. In Europa sei mit 60 bis 100 GW neuer PV-Anlagen in den nächsten Jahren zu rechnen. Und 60 Prozent dieser Leistung sollten nach Betts Ansicht in Europa auf möglichst allen Wertschöpfungsstufen selbst produziert werden. Daraus ergibt sich ein erforderliches Produktionsvolumen von etwa 40 bis 60 Gigawatt.
Eine solche europäische Produktion sei auch aus Sicht europäischer PV-Großhändler und -Projektierer ein Vorteil, erklärt Julius Möhrstedt von der IBC Solar AG. Heimische Photovoltaik-Fertigung reduziere vor allem bei größeren PV-Projekten die damit verbundenen Risiken. So habe sich bei Importen aus China gezeigt, dass im Rahmen von Projekten mit zweijährigem Planungsvorlauf Währungsschwankungen von 25 Prozent auftreten könnten. Dies sei ein großes finanzielles Risiko. Hinzu komme die Zuverlässigkeit bei internationalen Kooperationen. Nach Aussage von Möhrstedt kommen lediglich 14,4 Prozent der Lieferungen an wie vereinbart. Daher müsste ein Unternehmen wie IBC bei großen Projekten entweder hohe Lagerkapazitäten vorhalten oder Verzögerungen hinnehmen. Beides kostet Geld.
Heimische PV-Produktion hat Vorteile
Möhrstedt hebt zudem hervor, wie wichtig den europäischen Gesellschaften die Unabhängigkeit im Energiesektor sein sollte. Das bewiesen die aktuellen Entwicklungen gerade sehr deutlich. Und für die Energieunabhängig sei die Photovoltaik von großer Bedeutung. Um zu einem Wiederaufbau der PV-Anwendung und -Produktion in Europa zu kommen, sind geeignete politische Rahmenbedingungen nach Meinung von Möhrstedt entscheidend.
„Wir brauchen barrierefreie Marktbedingungen“, sagt dazu Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft. Er sei froh, dass die Regierungsziele für den Zubau der Photovoltaik inzwischen nahezu deckungsgleich seien mit den Empfehlungen der Branche. Allerdings sei der Reformstau des letzten Jahrzehnts nicht mit einem Fingerschnipsen aufzulösen. Und auch im aktuellen Gesetzentwurf habe die Regierung noch nicht alle Hürden abgebaut. So habe sie die Prosumer darin vernachlässigt.
Die Basis für den Aufbau der hiesigen Produktion sei ein verlässlicher Heimatmarkt, betont Körnig. Mit verbesserten Bedingungen könne die Regierungskoalition hier einen wichtigen Schritt machen. Die Produzenten stünden aber auch in einem Standortwettbewerb – nicht nur mit Asien, sondern auch mit den USA. Die Branche sei sich in dieser Situation einig, dass sie bei der Förderung keine Vorteile für heimische Produkte und auch keine Abwehrzölle wolle. Die Produktion in Europa sei aber auch dank hoher Automatisierung nicht mehr im Nachteil, so Körnig. Außerdem gibt es Vorteile bei Transport und Logistik. Bett erklärt, die Transportkosten machten inzwischen rund 10 Prozent der Kosten für Module aus China aus. Möhrstedt nennt sogar Logistik- und Lieferkosten von bis zu 20 Prozent.
Gute Chance für Wiederaufbau der Photovoltaik-Industrie
So sieht auch Körnig gute Chancen für den Wiederaufbau der Produktion in Europa. „Es wäre ein Jammer, wenn wir die neuen Möglichkeiten nicht nutzten“, sagt Körnig. Die Situation sei inzwischen eine andere als vor zehn Jahren. Allerdings muss auch die Branche ihre Hausaufgaben machen. Der Handwerkermangel brenne unter den Nägeln. Hier sei aber zu beobachten, dass sich und mehr Elektriker wieder oder erstmals der Photovoltaik zuwendeten. Das bestätigt Katharina David, Geschäftsführerin der K2 Systems GmbH, die auf einem Onlineportal des Unternehmens ein wachsendes Interesse von neuen Kunden aus dem Handwerk verzeichnet.
In welchen Maße das Thema schon beim Bundeswirtschaftsministerium angekommen ist, ließ sich beim PV-Symposium nicht klären. Anders als in der Vergangenheit war kein:e Vertreter:in des Ministeriums anwesend. Sie sind aktuell in Berlin selbst stark bei den Verhandlungen um das energiepolitische Gesetzespaket gefordert. Zugeschaltet zum Symposium war der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Bernhard Hermann. Er ist selbst ein großer Freund der Photovoltaik, ist an den EEG-Verhandlungen aber nicht direkt beteiligt. Und er hielt sich an das selbst auferlegte Schweigegelübde der Ampelkoalition, sich während laufender Verhandlungen nicht zum Stand der Gespräche zu äußern. So konnte er lediglich von seinem Gefühl berichten, dass sich bei den PV-Vergütungen noch etwas bewegen könne. Hermann zeigte sich aber überzeugt, dass sich die PV-Branche auf eine stabilere politische Kulisse freuen könne als in den vergangenen Legislaturperioden.
PV-Symposium in diesem Jahr in Freiburg
Das PV-Symposium, das traditionell in der Regel im März im Kloster Banz in Bad Staffelstein stattfand, kommt in diesem Jahr derzeit in Freiburg zusammen. Grund sei die Corona-Situation, so Bernd Prozelius vom Organisator Conexio-PSE GmbH. Mit den Regelungen im Kloster wäre das Symposium in diesem Jahr nicht möglich gewesen. Er hoffe ebenso wie viele Teilnehmer:Innen auf eine Rückkehr nach Bad Staffelstein im kommenden Jahr, sagte Porzelius.
22.6.2022 | Autor: Andreas Witt
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