65-%-Klausel für die Heizung: Wird Bioenergie zur erneuerbaren Wärmequelle zweiter Klasse degradiert?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hatte gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) im Juli in einem Konzeptpapier Vorschläge für die Umsetzung einer Pflicht zum Einsatz von mindestens 65 % erneuerbarer Energien in neuen Heizungen ab 2024 vorgelegt. Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und das Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB) haben dazu Stellungnahmen abgegeben. „Die Dekarbonisierung des Wärmemarktes ist eine enorme Herausforderung für die Energiebranche. Zugleich bietet sie hervorragende Chancen, Wasserstoff und klimaneutrale Gase erfolgreich zu nutzen“, kommentiert der DVGW-Vorstandsvorsitzende Gerald Linke die Regierungspläne zur 65-%-Klausel für die Heizung. „Gut ist, dass die Bundesregierung mit der Vorgabe, bereits ab 2024 möglichst alle neu eingebauten Wärmeerzeuger auf Basis von mindestens 65 Prozent erneuerbaren Energien zu betreiben, die Klimaziele im Gebäudesektor wirksam und verbindlich erreichen möchte.“
Bestehende Gasinfrastruktur hat systemische Vorteile
Mit Blick auf die Heterogenität des Gebäudebestands bedürfe es laut DVGW aber auch in Zukunft verschiedener klimaneutrale Energieträger, Infrastrukturen und Heiztechnologien. Hierzu zählten auch KWK-Anlagen, Brennstoffzellen und Gaswärmepumpen sowie die anteilige Anrechnung verschiedener Technologieoptionen. Der DVGW-Vorstandsvorsitzende kritisiert: „Ein Stufenmodell lehnen wir ab. Es ist in der Praxis nicht umzusetzen, würde die Endkunden bürokratisch sowie finanziell belasten und basiert letztlich auf willkürlichen Kriterien.“ Laut DVGW lässt die Bundesregierung außer Acht, dass Gastechnologien und die Versorgung über die bestehende Gasinfrastruktur auch langfristig erhebliche systemische Vorteile gegenüber den als Vorrangoptionen aufgeführten elektrischen Wärmepumpen und Stromdirektheizungen aufweisen. Für eine Elektrifizierung des Wärmesektors wäre ein kostspieliger Ausbau des Stromnetzes ebenso erforderlich wie die Bereitstellung von zusätzlicher gesicherter Kraftwerksleistung während der Heizperiode – mit der Folge eines massiven Anstiegs des Strompreises.
„Die Anerkennung von klimaneutral betriebenen Gasheizungen unterstützen wir ausdrücklich. Die benötigten Mengen dieser Gase können durch die richtigen politischen Rahmenbedingungen rechtzeitig gehoben werden. Nach Berechnungen des DVGW würde für die Erfüllung des 65-Prozentanteils für 600.000 verbaute Gasheizungen pro Jahr ein jährlicher zusätzlicher Grüngas-Bedarf von 8 bis 16 TWh bei einem durchschnittlichen Heizwärmebedarf bestehen“, sagt Linke. Diese Menge wäre laut DVGW in Form von Biomethan ab 2024 etwa durch eine sukzessive Umrüstung des Biogasanlagenbestands zu heben und man könnte sie dem Endkunden bilanziell zur Verfügung stellen. Spätestens ab 2030 kann der Wärmesektor auch mit klimaneutralem Wasserstoff versorgt werden – vorausgesetzt die Politik stellt schon heute die Weichen für einen ambitionierten Hochlauf.
Hauptstadtbüro Bioenergie: Kritik an 65-%-Klausel für die Heizung
Laut Hauptstadtbüro Bioenergie (HBB) stellt das Konzeptpapier zwei Erfüllungsoptionen der 65-%-Klausel für die Heizung zur Diskussion. Dabei will man in Option 1 alle erneuerbaren Energien gleichrangig behandeln und in Option 2 der Einsatz von Bioenergie als erneuerbare Wärmequelle nachrangig gegenüber allen anderen erneuerbaren Energieoptionen und nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zulassen.
„Bioenergie leistet als mit Abstand wichtigste erneuerbare Wärmequelle bereits heute einen großen Beitrag für die Reduktion von Treibhausgasen und den Ersatz fossiler Energieimporte“, sagt Sandra Rostek, Leiterin des HBB. „Sie wird aus lokal und regional verfügbarer Biomasse gewonnen und leistet so einen direkten Beitrag zur Unabhängigkeit von Energieimporten. Zudem wird durch die Nutzung von biogenen Brennstoffen wie Holz und Biomethan der Strombedarf reduziert und die Netze entsprechend entlastet. Umso irritierender wirkt der Vorschlag von BMWK und BMWSB zur Degradierung der Bioenergie zur erneuerbaren Wärmequelle zweiter Klasse. Wenn die Bundesregierung es mit der Wärmewende ernst meint, dann muss sie den Eigentürmern alle Erfüllungsoptionen gleichrangig zur freien Entscheidung zur Verfügung stellen. Nur so können Hauseigentümer für sich und ihre Mieter die optimale erneuerbare Heizlösung finden und eine weitere Verzögerung der Wärmewende durch langwierige und kostspielige Gutachten vermeiden.“
23.8.2022 | Quelle: HBB, DVGW | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH