Sven Giegold: Transformationstechnologien europäisch anschieben!

Portraitfoto von Sven Giegold - Interview zu TransformatonstechnologienFoto: Dominik Butzmann
Sven Giegold, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Im Solarthemen-Interview erklärt Sven Giegold Deutschlands Vorschlag für eine europäische Plattform für Transformationstechnologien. Sven Giegold ist seit Dezember 2021 Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Er gab dafür sein Abgeordnetenmandat im Europaparlament auf. Der Finanzexperte war seit 2009 EU-Parlamentarier und seit 2014 Sprecher der deutschen grünen Europaabgeordneten.

Solarthemen: Wie glücklich sind Sie nach einem Dreivierteljahr über Ihren Rollenwechsel vom Europaparlamentarier in die Bundesregierung?

Sven Giegold: Als Parlamentarier ist das Leben grundsätzlich einfacher, aber was man aus der Bundesregierung heraus gestalten kann, ist schon großartig. Dinge, für die man im Parlament lange streiten muss, gehen hier sehr schnell. Was ich und was wir zum Beispiel an Bürokratieabbau im Bereich der Erneuerbaren erreichen konnten oder für den Green Deal oder jetzt für die Transformationstechnologien, das ginge aus dem Parlament heraus zwar auch, aber viel langsamer.

Solarthemen: Ihre Initiative für eine europäische „Plattform für Transformationstechnologien“ ist der Anlass unseres Gespräches. Erklären Sie kurz, worum es geht!

Transformationstechnologien in Europa herstellen

Giegold: Mit dem Green Deal fahren wir den Bedarf an erneuerbaren Energien massiv hoch. Windkraftwerke, Solaranlagen, aber auch Speicher, Elektrolyseure, Netze, Kabel und die Dienstleistungen dazu werden wir in neuen Größenordnungen brauchen. Die Gefahr besteht, dass es uns wieder so geht, dass diese Güter überwiegend aus anderen Teilen der Welt kommen. Noch haben wir in den zentralen Technologien namhafte Hersteller. Und wir wollen, dass das so bleibt. Der Green Deal soll auch die industriellen Fertigkeiten Europas stärken. Die Ebene, auf der wir dies am besten fördern können, ist die europäische. Das hat die European Battery Alliance gezeigt. Und wir wollen, dass dies in ähnlicher Weise für alle relevanten Transformationstechnologien aufgezogen wird.

Solarthemen: Was meint der Begriff „Plattform“?

Giegold: Für die jeweiligen Technologien, also Wind, Photovoltaik, Wärmepumpen, Elektrolyseure, Kabel und Netze, werden die relevanten Akteure zusammengebracht. Also: Produzenten, Forschungseinrichtungen und auch die öffentliche Seite. Gemeinsam werden sie überlegen, was notwendig ist für ein Produktions-Ökosystem in Europa. Dieses muss sichern, dass hier geforscht und produziert wird mit allen Teilen der Wertschöpfungskette, die dafür notwendig sind. Dies geschieht bereits erfolgreich bei der European Battery Alliance. Dort ist es gelungen, die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien nach Europa zurückzuholen, aber gleichzeitig auch an der nächsten Generation von Batterien zu forschen. In ähnlicher Weise hat die EU-Kommission dies auch schon für den Bereich der Photovoltaik mit dem REpowerEU-Plan angekündigt. Aber trotz vielfachen Zuredens meinerseits und durch die Bundesregierung hat sie das für die anderen Transformationstechnologien nicht getan. Jetzt haben wir das Thema aber direkt im Rat für Wettbewerbsfähigkeit vorgetragen und haben dort allgemein offene Türen eingerannt. Darüber freue ich mich sehr.

Solarthemen: Die Batterieallianz läuft schon fünf Jahre. Wie lange würde es dauern, bis Ihre Initiative für die anderen Technologiefelder Resultate zeigen kann?

Erste Gespräche laufen

Giegold: Ich freue mich jetzt erst mal, dass Industrie-Kommissar Thierry Breton uns geschrieben hat, dass er den Ball jetzt sofort aufnehmen wird. Wie lange das dann läuft, soll mit den Stakeholdern besprochen werden. Dem will ich nicht vorgreifen.

Solarthemen: Wenn Abstimmung zwischen eigentlich konkurrierenden Unternehmen staatlich befördert wird, wie schmal ist dann der Grat zwischen legitimer Industriepolitik und Kartellbildung?

Giegold: Die Frage ist berechtigt. Wenn der Staat diese Prozesse begleitet, kann und muss er sicherstellen, dass sie nicht zu Preisabsprachen und Ähnlichem führen. Der Staat kann die Zusammenarbeit der einzelnen Produktionscluster wettbewerbskonform moderieren. Darum geht es. Nicht darum, den Wettbewerb auszuschalten. Denn ohne scharfen Wettbewerb würden wir in Europa auch nicht wettbewerbsfähig. Der Schutz vor Wettbewerb hat noch nie zu Wettbewerbsfähigkeit geführt. Aber die notwendigen Cluster zu stärken durch Coaching und Vernetzung zu den Universitäten, auch durch die Bereitstellung von öffentlichen Geldern, um Innovationen zu fördern, das kann man tun. Und gleichzeitig ist es das gute Recht des Staates, seine Industrien auch vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Wir schauen zum Beispiel sehr genau hin, was jetzt die Vereinigten Staaten beschlossen haben mit dem Inflation Reduction Act. Ebenso hat die EU angefangen – wenn auch spät – kri­tisch hinzuschauen, was China in einigen Bereichen gemacht hat.

Solarthemen: Das Negativbeispiel bisheriger Industriepolitik ist die PV-Industrie. Da waren wir in Deutschland schon mal führend. Heute kommen die PV-Module aus China. Wie wollen Sie vermeiden, dass das Fiasko sich wiederholt?

Vollbremsung bei der Photovoltaik zerstörte Arbeitsplätze

Giegold: Ich glaube, aus dieser Episode haben alle Beteiligten viel zu lernen. Der Staat hat zu lange hohe Fördersätze im EEG garantiert, als damit erhebliche Renditen verdient wurden. Das hat viele der Unternehmen träge gemacht. Und als dann die Fördersummen sehr hohe Ausmaße erreichten, hat der Staat einfach erratisch eine Vollbremsung hingelegt und damit Zehntausende von Zukunftsarbeitsplätzen zerstört.

Was kann man daraus lernen? Zusammenarbeit darf nicht Überförderung bedeuten. Auch die Unternehmensverbände müssen sich fragen, ob sie nicht zu lange für zu hohe Fördersätze Werbung gemacht haben. Und umgekehrt war der plötzliche Einschnitt bei den Vergütungssätzen industriepolitisch ein schwerer Fehler. Der Heimatmarkt ist weggebrochen und zugleich hat China mit hohen Subventionen eine sehr wettbewerbsfähige Massenproduktion aufgebaut.

Daraus kann man aber auch lernen, dass Europa tendenziell Nachteile hat, wenn ein Geschäftsfeld zu sehr eine reine Massenproduktion wird. Wir haben aber in vielen Bereichen nach wie vor erhebliche Standortvorteile. Das ist insbesondere die Forschungsstärke und die Bereitschaft, Techniken breit anzuwenden, so wie wir das mit dem Green Deal machen. So entsteht ein attraktiver Heimatmarkt, der helfen kann, auch die marktnahe Produktion mit ihren niedrigen Transportkosten, europäischen Standards und somit hoher Akzeptanz hier zu stabilisieren beziehungsweise aufzuziehen.

Solarthemen: Was verstehen Sie unter europäischer Produktion? Mir fällt gerade die Tesla-Fabrik in Grünheide ein. Wäre es im Sinne der neuen Industriepolitik, wenn chinesische Photovoltaikhersteller Fabriken in Europa aufbauen, oder stellen Sie sich etwas anderes vor?

Investitionen in Transformationstechnologien

Giegold: Wir haben einiges gelernt, was Naivität angeht. Beim Abverkauf etwa von Technologien aus Europa oder bei geostrategischen Abhängigkeiten sind wir viel vorsichtiger, als wir das früher waren. Gleichzeitig bleibt Europa offen für Investitionen und das gilt natürlich auch für den Bereich der Transformationstechnologien.

Solarthemen: Themenwechsel: Das Europaparlament hat gerade seine Position zur Neuauflage der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, der RED III, beschlossen. Der Rat hatte bereits im Juni seine erste Position festgelegt. Nun geht es in den Trilog. Früher gehörte Deutschland oft genug zu den Bremsern. Wie wird es diesmal mit der Ampelregierung sein?

Weiterentwicklung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED III

Giegold: Deutschland hat ja auch die Einigung zum „Fit for 55“-Paket massiv vorange­trieben und war dort eben nicht mehr Bremser. Ich habe diese Verhandlungen für Deutschland koordiniert. Ich sehe mit großer Spannung auf die RED-Verhandlungen. Ich kann sagen: Das Europaparlament ist für höhere Ziele, innerhalb der Mitgliedsstaaten sind wir ebenso offen für höhere Ziele. Und ich hoffe, dass wir dafür am Ende Mehrheiten finden. Entscheidend ist allerdings nicht einfach nur die Zielsetzung, sondern ob dann die entsprechenden Mengen auch auf die Straße kommen. Dabei geht es insbesondere um die Verbindlichkeit der Ziele. Hier ist der Rat beispielsweise beim EE-Ziel für den Wärmesektor ambitionierter als das Parlament – wir treten für ein verbindliches Ziel an, das Parlament nur für ein indikatives. Dafür hat sich die Bundesregierung im Rat eingesetzt und konnte hier eine starke Koalition für mehr Ambition bilden.

Solarthemen: Könnten Sie sich vorstellen, dass auf die RED-III-Vorlage aus dem Parlament vonseiten des Rates sogar noch eine Schüppe draufgelegt würde?

Hürden bei Genehmigungsverfahren abbauen

Giegold: Ja, bei einem zentralen Thema: Wir haben große Hürden in den Genehmigungsverfahren. Die sind teilweise auch europäisch bedingt. Deshalb müssen wir diese RED-Reform nutzen, um mehr Planungssicherheit und Geschwindigkeit für die Investoren zu finden. Bei der ambitionierten Ratsposition war die Bundesregierung die treibende Kraft. Gleichzeitig haben wir in Deutschland nach wie vor massive bürokratische Hindernisse für den Einsatz erneuerbarer Energien. Ich arbeite daran, diese systematisch abzubauen und freue mich auf alle Hinweise aus der Branche, was wir verändern müssen.

Sie sehen also: Deutschland gehört im Rat nicht mehr zu den Bremsern einer ambitionierten Klimapolitik, sondern zu den Treibern. Das haben wir in den Verhandlungen zum „Fit for 55“-Paket und auch an anderen Stellen gezeigt. Da hatten die Mitgliedsstaaten beim Emissionshandel eine fortschritt­lichere Position als das Parlament. Während sich das Parlament in den Bereichen Gebäude und Verkehr nicht herantraut, wollen die Mitgliedsländer Emissionsdeckel mit handelbaren Zertifikaten für einen viel größeren Anteil der Emissionen. Und das hat auch mit der neuen Regierung in Deutschland zu tun.

18.10.2022 | Interview: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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