Erlösabschöpfung für EE-Anlagen ab 1 MW
Sehr zum Missfallen vieler in der Regenerativstrombranche will die Bundesregierung freilich nicht zufällige Gewinne, sondern – gemäß der EU-Marschrichtung – Erlöse abschöpfen.
Seit dem 30. September schreibt eine Notfallverordnung der EU künftige Obergrenzen für Markterlöse von Kraftwerksbetreibern vor. Das Limit haben die Energieminister der Mitgliedsstaaten mit der EU-Kommission auf 180 Euro pro Megawattstunde (MWh), also 18 ct/kWh festgeschrieben. Die EU-Staaten sind damit unmittelbar verpflichtet, ab 1. Dezember 2022 höhere Erlöse aus dem Betrieb unter anderem von Regenerativkraftwerken zu sozialisieren und für ihre jeweilige nationale Strompreisbremse zu verwenden. Die 180 €/MWh können von den Mitgliedsstaaten jederzeit unter-, aber nur in begründeten Fällen überschritten werden. Die EU-Verordnung gilt nur vorübergehend bis zum 30. Juni 2023. Sie kann aber bei Bedarf verlängert werden.
Inzwischen kristallisiert sich heraus, wie sich die Bundesregierung die Einnahmeseite der Strompreisbremse vorstellt. Bereits in einem am 2. November lancierten Eckpunktepapier von Bundeskanzleramt, Wirtschaftsund Finanzministerium stellt die Bundesregierung klar, dass sie von einer pauschalen 180-Euro-Obergrenze nichts hält. Stattdessen will sie die Strommarkterlöse aufgrund unterschiedlicher Grenzkosten der einzelnen erneuerbaren Energien technologiespezifisch abschöpfen.
Erlösabschöpfung ab 1 MW
Seit Bekanntwerden des neuesten Papiers in der vergangenen Woche ist nun klar, dass die Ertragsabschöpfung für jede einzelne Anlage ab 1 Megawatt Spitzenleistung auf Basis ihrer individuellen anzulegenden Werte im Vergleich zu den Spotmarktpreisen erfolgen soll. Betreiber kleinerer Anlagen müssen sich also um das Thema Erlösabschöpfung aktuell keine Gedanken machen. Für alle anderen schlägt die Bundesregierung ein Standardverfahren vor, welches sich aber durch mehrere Optionen für verschiedene Sonderfälle variieren lässt. Die neue Aufgabe der Erlösabschöpfung sollen offenbar die Netzbetreiber übernehmen.
Nach dem zweistufigen Standardmodell der Bundesregierung würde allen Megawatt-Anlagen, denen nach dem EEG ein individueller anzulegender Wert zugeordnet werden kann, ein Erlös in Höhe dieses anzulegenden Wertes und ein Sicherheitszuschlag von 30 Euro pro Megawattstunde zugestanden. Liegt der Preis am Day-Ahead-Spotmarkt der Strombörse höher, so soll die Differenz grundsätzlich zu 90 Prozent abgeschöpft werden. 10 Prozent sollen dem Anlagenbetreiber als Anreiz für eine möglichst effiziente Vermarktung der Strommengen bleiben. Hinzu kommt speziell für Wind- und Solarparkbetreiber ein zweiter Sicherheitszuschlag, der 4 Prozent des Terminmarktwertes des Stroms ausmachen soll.
Die zweite Stufe des Standardmodells soll sich nämlich am Terminmarkt der Strombörse orientieren, an dem von Direktvermarktern üblicherweise sogenannte Hedging-Verträge gemacht werden. Sie sollen das Preisrisiko des Verkaufs am Spotmarkt mindern. Im Modell der Bundesregierung sollen Anlagenbetreiber zwei Optionen haben, wie sie die Abrechnung der Erlösabschöpfung durch ein Hedging korrigieren.
Abschöpfung auch für PPA
Ausdrücklich bestimmt die EU-Verordnung, dass Mitgliedsstaaten die Erlösabschöpfung auch auf ungeförderte Anlagen erstrecken müssen. Deshalb soll Betreibern, die ihre Anlage über einen vor dem 1.11.2022 bestehenden PPA-Vertrag vermarkten, hierzulande wahlweise ein anderes Abschöpfungsverfahren offenstehen. Sie dürfen sich alternativ zum Benchmark-Verfahren für die Dauer des PPAs gemessen an ihren tatsächlichen Erlösen abschöpfen lassen. Dann sollen anstelle des anzulegenden Wertes Referenzkosten von 100 €/MWh angenommen werden. Hinzu kommt anstelle des 30-Euro-Sicherheitszuschlages für diese Option allerdings nur ein Bonus von 10 Euro. Der Pauschalwert soll auch für alle ausgeförderten Anlagen (Ü20-Anlagen) gelten.
Ein weiterer Sonderfall soll für Anlagen gelten, die ihre Förderberechtigung in Form einer fixen Marktprämie in einer EEG-Innovationsausschreibung gewonnen haben. Diese können 100 €/MWh zuzüglich der fixen Marktprämie als Referenzkosten geltend machen, bevor die Abschöpfung greift.
Rückwirkung weitgehend vom Tisch
Besonders umstritten war seit Bekanntwerden der ersten Pläne zur Strompreisbremse im Spätsommer die Frage rückwirkender Abschöpfungen. Ursprünglich war in den Ministerien diskutiert worden, bereits ab dem 1. März 2022 Erlöse rückwirkend abzuschöpfen. So hätte man die vollen sommerlichen Auswüchse des Strommarktes zunächst zugunsten der Staatskasse kassiert, um sie später den Stromverbrauchern zukommen zu lassen. Doch gegen diesen Plan regten sich verfassungsrechtliche Bedenken, die sich inzwischen offenbar durchgesetzt haben. Ging das Eckpunktepapier des Kanzleramtes immerhin noch vom 1. September 2022 als Stichtag für eine rückwirkende Abschöpfung aus, so wird dieser im neuesten Papier auf den 1. November gelegt. Wie der Rechtswissenschaftler Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht auf den Windenergietagen in Linstow vergangene Woche erläuterte, gehe es bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer solchen „unechten Rückwirkung“, die im Prinzip erlaubt sei, stets um die Frage, ab wann Betroffene damit hätten rechnen können, dass eine anhaltende Rechtslage sich ändert.
Nur wenig Erlösabschöpfung für die Strompreisbremse
Während also der Stichtag immer weiter an die Gegenwart herangerückt ist, befinden sich die Marktwerte für Wind- und Solarstrom am Stromspotmarkt seit September im Sinkflug. Und mit ihnen schrumpft überproportional die abzuschöpfende Differenz zwischen den vom geplanten Gesetz zugestandenen Referenzkosten nebst Sicherheitszuschlägen der einzelnen EE-Anlagen und den Börsenstrompreisen. Hätte sie im August mehr als 30 Cent pro Kilowattstunde betragen, so bleibt aktuell nur eine Differenz zwischen 1 und 3 Cent. Die Zeit scheint somit derzeit für die Anlagenbetreiber zu spielen.
Nichtsdestotrotz wehren sich die im Bundesverband Erneuerbare Energie zusammengeschlossenen Branchenverbände weiterhin grundsätzlich gegen das Modell der Ertragsabschöpfung. Sie favorisieren stattdessen eine steuerliche Gewinnabschöpfung, so wie es das von politischer Seite viel zitierte Schlagwort von den „Zufallsgewinnen“ tatsächlich nahelegen würde. Hauptargument: Die Erlöse seien von der Branche ganz im Sinne der Energiewende für Reinvestitionen in Regenerativenergie-Anlagen schon verplant, teils auch für massiv gestiegene Beschaffungskosten.
Erlöse oder Gewinne abschöpfen?
Ob Gewinn- statt Erlös-Abschöpfung im Rahmen der EU-Notfallverordnung, die lediglich von „Markterlösen“ spricht, überhaupt zulässig wäre, das wiederum ist eine spannende Frage für Juristen. Selbst Thorsten Müller, der diese Frage im Prinzip bejaht, mag ansonsten zum Top-Thema der diesjährigen Windenergietage keine abschließenden Antworten geben. Ziemlich sicher ist er nur, dass irgendjemand das im Entstehen befindliche Gesetz „nach Karlsruhe tragen“ wird. Und seine gebannte Zuhörerschaft aus der Windbranche entlässt er mit den Worten: „Ich kann Ihnen die Aufgabe nicht abnehmen, mit dieser Unsicherheit zu leben.“
17.11.2022 | Autor: Guido Bröer
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