Biogas aus Agaven: Reste statt Rausch
Gleich hinter dem Agavenfeld klafft ein großes Loch im Acker. Edwin Zelaya rührt die rostbraune Flüssigkeit mit einem Holzknüppel durch. „Das hier ist die Vinasse, die nach der Destillation der Agaven übrig bleibt”, erklärt der Agronom von der Universität Oaxaca in Zentralmexiko. „Sie eignet sich für nichts besser, als Biogas und Biodünger daraus zu produzieren.”
Denn ansonsten ist Vinasse ein für die Umwelt giftiges Gebräu: mit einem pH-Wert von 3,5 bis 4, der die Böden versauert, und organischen Substanzen, die Sauerstoff an sich binden und im Kontakt mit Wasser dessen Sauerstoffgehalt sinken lassen. Das führt zu Fischsterben. Auch der „Restalkohol” in Form von Methanol und Ethanol sorgt bei Flora und Fauna für einen schweren Kater.
90 Millionen Liter Abfall
Jährlich fallen im Bundesstaat Oaxaca bis zu 90 Millionen Liter der Substanz an, rechnet Zelaya vor, weit mehr als die etwa sechs Millionen Liter des Agavenschnapses, die der mexikanische Bundesstaat pro Jahr erzeugt. Bisher kippen die Destillerien das Gros des flüssigen Abfalls irgendwo in die Umwelt – oder wie hier bei der Destillerie „Tierra de Jaguar” rund 20 Kilometer außerhalb der 700.000-Einwohner-Stadt in ein zwei Meter tiefes und anderthalb Meter breites Loch hinter dem Feld. Regulatorien für die Entsorgung gibt es in Mexiko keine. Bisher muss die Natur irgendwie damit klarkommen.
Doch das Problem wird größer: Weil Mezcal in den letzten Jahren zu einem wahren Trendgetränk in Bars rund um den Globus geworden ist, steigt die Nachfrage steil an. Und Mezcal kommt fast ausschließlich aus Oaxaca. Die Folge: „Immer mehr Landwirte bauen Agaven statt Mais an. Das lohnt sich wesentlich mehr”, berichtet Zelaya. Denn Mezcal ist teuer. Die Bauern können deutlich mehr als mit Lebensmitteln verdienen. Entsprechend steigen auch die Abfallmengen. Der Wissenschaftler will die wilde Entsorgung der Vinasse stoppen. In seiner Doktorarbeit hat er im letzten Jahr untersucht, welches Potenzial sie für die Biogasgewinnung bietet.
Erträge wie Zuckerrüben
Dazu zählte die praktische Erprobung direkt am Feld bei „Tierra de Jaguar”. Und zwar in Form mehrerer luftdichter weißer Säcke aus PVC-Folie, die gleich nebenan auf dem Boden liegen. Sie fassen 6,5 Kubikmeter: 5 cbm für die Vinasse, 1,5 für das potenzielle Gas
Erträge wie Zuckerrüben
Zelaya hat den Ertrag von reiner Vinasse sowie verschiedener Mischungen mit Rindergülle gemessen. Das Ziel war, zu ermitteln, welche Mischung in welcher Zeit am meisten Methan produziert. Zwar war reine Vinasse am ertragreichsten – mit 300 Milliliter Methan pro Gramm Substrat in etwa vergleichbar mit Zuckerrüben hierzulande. Weil es aber Tage dauere, bis die Vergärung in Gang kommt, sei ein Mix mit Rindergülle im Verhältnis 75 zu 25 zu bevorzugen. „Im Rindermagen sind alle Bakterien vorhanden, die wir für die Vergärung brauchen”, so Zelaya. Die Vergärung beginne sofort, sodass die Anlage bereits nach zwei Tagen den maximalen Ertrag liefere.
Die Mikroorganismen sorgen außerdem dafür, die toxischen Substanzen in der Vinasse zu zersetzen. Durch die Beimischung von Kalk in die Beutel-Fermenter hat sich auch der pH-Wert neutralisiert. Übrig bleibt ein Gärrest, der sich als Dünger eignet, wie der Wissenschaftler an zwei Gruppen von jungen Agaven demonstriert. Die eine hat den biologischen Dünger erhalten und dankt das mit üppigem Wachstum. Die andere musste ohne Dünger klarkommen und ist weniger als halb so kräftig. Seine Doktorarbeit bestätigt den hohen Nährstoffgehalt des sogenannten „Biol”. Der Dünger ist reich an Stickstoff, Phosphor und Kalium.
Biogas statt Feuerholz
Zelaya ist überzeugt, dass Biogas für Oaxaca eine nachhaltige Zukunft bietet. Deshalb stellt er die Systeme selber her und hat dafür ein kleines Startup gegründet. Neben Anlagen für Landwirte hat er bisher ein System an eine Destillerie verkauft und es auch installiert – rund eine dreiviertel Stunde Autofahrt von der Testanlage entfernt.
Die Destillerie „Capotlan” will ihr Image als nachhaltiger Produzent aufpolieren, etwa gegenüber den Touristen aus den USA und Europa, die täglich zu einer Mezcal-Verkostung vorbeikommen. Das Unternehmen setzt auch auf Solarstrom. Auf dem Dach arbeitet eine 220 Kilowatt starke PV-Anlage, deren Strom in den Produktionsprozess einfließt.
Außerdem auf der Agenda: die Aufforstung von regionalen Bäumen. Schließlich benötigen die Destillerien beim Schnapsbrennen viel Holz zur Wärmeerzeugung. Das Biogas kommt in der Personalküche zum Einsatz und ersetzt Feuerholz, das in der ariden Region knapp ist. Perspektivisch könnte es auch einen Motor für die Agavenmühle antreiben, der noch mit Strom läuft wie Produktionsleiter Pablo Ramos Santana erklärt.
„Solche Vorreiter sind wichtig, damit sich Biogas in der Branche durchsetzen kann”, sagt Zelaya. Denn eine staatliche Förderung gibt es nicht. Die Unternehmen müssen die Investition in Höhe von 2.000 bis 3.000 Euro aus dem eigenen Geschäft refinanzieren. Das scheuen aber viele der überwiegend kleinen Produzenten, für die das Thema Biogas völlig neu ist.
Neben der Finanzierung wäre deshalb auch Aufklärung willkommen, so Zelaya. Bisher aber ist Biogas politisch in Mexiko kaum ein Thema. Dabei ist das Potenzial erheblich, um positive Klimaschutzeffekte zu erzielen und Kreisläufe zu schließen. Mit Ausnahme einzelner Anlagen insbesondere bei Großlandwirten im Norden des Landes sowie auf Mülldeponien großer Städte beschränken sich Biogas-Projekte auf Einzelinitiativen.
Auch die Technische Universität Cottbus-Senftenberg hat vor wenigen Jahren mit einem Institut der Elektrochemie im Bundesstaat Querétaro das örtliche Biogaspotenzial ermittelt. Es ging darum, für einen Futtermittelhersteller eine Anlage aufzubauen. Doch mit dem Ende der Finanzierung durch das Bundesforschungsministerium ist das Vorhaben wieder eingeschlafen.
Große Chance für den Klimaschutz
Auch von der amtierenden Ampelkoalition, in der die Bioenergie ohnehin einen schweren Stand hat, gibt es keine Unterstützung. Dabei könnten sich durch eine maßvolle Exportförderung Projekte wie die Vinasse-Verwertung in Mexiko ganz schnell rechnen, schätzt der Fachverband Biogas.
„Die Vergärung von organischen Reststoffen und Bioabfällen ist nicht nur in Deutschland, sondern gerade auch in Entwicklungs- und Schwellenländern eine große Chance sowohl für die Wirtschaft als auch für den Klimaschutz”, sagt Geschäftsführer Stefan Rauh.
„Bei der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln entstehen Unmengen an biogenen Abfällen, aus denen sich noch Energie erzeugen ließe. Dadurch können fossile Quellen ersetzt und unkontrollierte Methanemissionen vermieden werden. Darüber hinaus entstehen Arbeitsplätze beim Bau und Betrieb der Biogasanlage.”
Der Fachverband würde es deshalb „ausdrücklich begrüßen, wenn der Bau von Abfallvergärungsanlagen im Ausland durch eine entsprechende Exportförderung unterstützt würde. „Profitieren können letztendlich alle: die deutschen Firmen, die die Anlage realisieren, die Menschen vor Ort und das Klima”, so Rauh.
Edwin Zelaya versucht derweil das Thema unter Wissenschaftler:innen voranzubringen. Und unter seinen Student:innen: etwa mit einem Vorhaben, indigenen Ureinwohnern in den Bergen Oaxacas die Vergärung von Reststoffen näherzubringen. Von vielen werde das Thema positiv aufgenommen, sagt er. Die Menschen seien überrascht, wie produktiv die Abfälle doch sein können.
21.4.2023 | Autor: Oliver Ristau
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