Erneuerbare von überragendem öffentlichem Interesse im Bau- und Energierecht
Ein neuer Begriff hat Eingang gefunden in die deutsche Rechtssprechung: überragendes öffentliches Interesse. Auf diesen, zumindest im Energierecht neuen Rechtsbegriff bezog sich zum Beispiel jüngst das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, als es die Genehmigung einer Windenergieanlage für rechtens erklärte, obwohl sie durch ihre pure Präsenz die Sichtbarkeit einer historischen Mühle beeinträchtigen kann. Das Gericht ging sogar noch weiter: Sei ein nach Baugesetzbuch (BauGB) privilegiertes Vorhaben zur Windenergienutzung ansonsten genehmigungsfähig, so stehe seiner Genehmigung der öffentliche Belang des Denkmalschutzes nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 des BauGB nicht entgegen. Sollte es allerdings nötig sein, dass eine Genehmigungsbehörde in einem solchen Fall, wo eine Windkraftanlage das Erscheinungsbild eines nicht besonders bedeutsamen Kulturdenkmals beeinträchtigt, so seien Standortalternativen nicht etwa bundesweit, sondern grundsätzlich nur auf dem Gebiet der Standortgemeinde zu prüfen.
Erneuerbare Energien als vorrangiger Belang
An diesem Beispiel zeigt sich bereits, was es praktisch bedeutet, dass laut EEG § 2 bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, „die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden“ sollen.
Die Jurist:innen der Fachagentur Windenergie an Land stellen in ihrer Bewertung des Lüneburger Urteils außerdem heraus, dass es danach für kommunale Genehmigungsbehörden bei der Abwägung zwischen Windenergie und Denkmalschutz nicht mehr viel zu diskutieren gebe. Das Gericht habe klargestellt, „dass weder ein behördlicher Beurteilungsspielraum, noch ein behördliches Ermessen bestehe. Die Errichtung einer Windenergieanlage in der Umgebung eines Denkmals stelle regelmäßig lediglich einen reversiblen Eingriff in das Erscheinungsbild dar.“ Es gibt ein eindeutiges öffentliches Interesse.
Erstaunlich schnell konkret werden also die Auswirkungen einer für juristische Laien zunächst abstrakt, wenn nicht gar schwammig klingenden Formulierung, die mit der EEG-Novelle im vergangenen Jahr Premiere hatte. Dort heißt es in § 2, dass Errichtung und Betrieb von stromerzeugenden Erneuerbare-Energien-Anlagen laut Gesetz „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegen und sie „der öffentlichen Sicherheit“ dienen. Das bezieht sich auf den Vergleich zu öffentlichen Belangen aller Art, von Naturschutz über das Landschaftsbild bis eben zum Denkmalschutz. Laut EEG ausgenommen ist aber die „Landes- und Bündnisverteidigung“.
Öffentliches Interesse: Windenergie sticht Denkmalschutz
Mehr oder weniger Zufall dürfte deshalb sein, dass auch ein zweites Windkraft-Urteil, dass sich bereits auf das „überragende öffentliche Interesse“ nach EEG bezieht, in diesem Fall vom OVG Greifswald, sich ebenfalls um den Denkmalschutz dreht.
Ein Windenergieunternehmen hat dort seine Untätigkeitsklage gegen die zuständige Genehmigungsbehörde in Mecklenburg-Vorpommern gewonnen. Die Behörde hatte den Konflikt zwischen einem geplanten Windpark und dem Denkmalschutz nicht zügig geklärt. Denkmalschutz-Bedenken dürften aber kein Grund sein, sich um die Entscheidung über die Genehmigung einer Windenergieanlage zu drücken, so der Tenor der Entscheidung. Der Antrag des Unternehmens zum Bau einer Windenergieanlage hatte dem Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt (StALU) Westmecklenburg seit 2020 vollständig vorgelegen. Das Landesamt für Kultur- und Denkmalpflege (LAKD) erhob Einspruch gegen den Windpark. Daraufhin traf die Genehmigungsbehörde keine Entscheidung mehr.
Das Gericht sieht die angeführten Denkmäler nicht erheblich beeinträchtigt, sodass das Vorhaben in Bezug auf den Denkmalschutz gar nicht genehmigungsbedürftig sei. Und selbst wenn, so stellen die Richter:innen klar, dann würde das in § 2 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes festgelegte überwiegende öffentliche Interesse den Denkmalschutz ausstechen.
Marsch durch die Institutionen
Gleichwohl gehen Juristen davon aus, dass der Begriff des „überragenden öffentlichen Interesses“ zunächst in die verschiedenen Fachgesetze auf Landes- und Bundesebene hineindekliniert werden muss, bevor er seine volle Durchschlagskraft entfalten kann.
Ein Anfang ist allerdings schon gemacht: Nach dem EEG enthält inzwischen zum Beispiel auch das Energiewirtschaftsgesetz die spannenden Vokabeln. Hier beziehen sie sich vor allem auf die neuen Stromleitungen, durch die die erneuerbaren Energien künftig fließen sollen. Und auch das Bundesnaturschutzgesetz enthält bereits den wörtlichen Hinweis auf das „überwiegende öffentliche Interesse“ am Betrieb von Windkraftanlagen. Bislang sind dort allerdings nur Windräder erwähnt, nicht andere Erneuerbare wie etwa Solarenergie oder Wasserkraft.
Überragendes öffentliches Interesse auch im GEG
Als nächster Schritt ist bereits die Übertragung aus dem Strom- in den Wärmesektor absehbar. Im Referentenentwurf für das Gebäudeenergiegesetz (GEG), das inzwischen auf Bundesebene zwischen dem Bau- und dem Wirtschaftsministerium abgestimmt worden ist, taucht das „überragende öffentliche Interesse“ an der Nutzung erneuerbarer Energien für Gebäude gleich in Paragraf 1 auf. Guido Bröer
Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH
Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 4/2023 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!