Bürgerenergie – aktuelle Trends bei Wind- und Solarparks

Ein junger Mensch schaut auf einen Windpark. In den Armen trägt er eine Weltkugel - Sinnbild für Bürgerenergie, Akzeptanz für WindenergieFoto: jerome berquez / stock.adobe.com
Nachdem der Ausbau der erneuerbaren Energien lange Zeit fast nur durch Kapital von Bürger:innen getragen wurde, hatte Bürgerenergie in den letzten Jahren einen schweren Stand. Inzwischen versuchen Bund und einige Länder Bürgerbeteiligung zu stärken, um mehr Akzeptanz zu schaffen. Doch Bürgerbeteiligung ist nicht gleich Bürgerenergie.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern mach­te schon 2016 den Anfang. Unter dem Eindruck wachsender Proteste gegen Windparks und ihre Investor:innen wollte der Landtag gegensteuern und beschloss das „Bürger- und Gemeindenbeteiligungs­ge­setz“. Projektträger sind seitdem verpflichtet, minde­stens 20 Prozent eines neu geplanten Windparks den Men­schen und Kommunen in der Nachbarschaft als Bürgerenergie zur Beteiligung anzubieten.

Seit es das Landesgesetz gibt, ist nicht nur seine Wirksamkeit umstritten, sondern sogar seine Verfassungskonformität. Im vergangenen Jahr ist schließ­lich ein Windparkprojektierer mit seiner Klage dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Das wiede­rum hat weitere Landesregierungen ermutigt, sich am Nordosten ein Beispiel zu nehmen: Mindestens in Nordrhein-West­falen und Niedersach­sen haben sich die 2022 gestarteten Regierungen auf die Fahnen geschrieben, Windparkprojektierern eine Beteiligung von Kom­munen und Bürgern zur Auflage zu machen. Gesetzentwürfe liegen dazu bis­lang zwar noch nicht vor. Klar ist aber, dass beide Länder das Modell auch auf Solarparks anwenden möchten.

Ausweitung verpflichtender Bürgerbeteiligung auf Solarparks?

Arp Fittschen, Referatsleiter beim Städ­te- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern, macht sich dafür stark, das Gesetz bald auch in seinem Bundesland auf die Photo­vol­taik zu erweitern. Die stand 2016 noch nicht so im Fokus, weil gegen Solaranlagen viel weniger protestiert wurde als gegen Windparks. Angesichts der Ziele der Bundes­re­gie­rung, die in Ostdeutsch­land ei­ne Goldgräberstimmung unter Solarprojektie­rern ausgelöst haben, kann sich das schnell ändern.

Fitschen versucht derweil die Kommunen zu überzeugen, dass sie Energieerzeugung als eigene Aufgabe begrei­fen und ihre Beteiligungsmöglichkeiten wahrnehmen oder noch bes­­ser eigene Wind- und Solarparks bauen sollten. Spätestens mit dem Ausbau der Wärmenetze, der bald über die verpflich­ten­de kommunale Wärmeplanung getriggert wird, seien die Kommunen als Betreiber gefragt. Und sie seien gut be­­ra­ten, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wo später der Strom für die favorisierten Großwärmepumpen preis­wert ohne Abhängigkeit von Lieferan­ten herkommen solle. Eigene Erzeu­gungs­kapa­zitäten sieht Fittschen für viele Kommu­nen hier als Mittel der Wahl: „Kommunale Wärmeplanung setzt qua­si voraus, dass ich als Kommune einen nicht unerheblichen Teil der Energie selbst erzeuge.“

Beteiligungspflicht in Mecklenburg-Vorpommern ausgehöhlt

Ein Dorn im Auge ist dem Interessenvertreter der Kommunen deshalb, dass die in seinen Augen erfolgreiche Beteiligungspflicht durch eine 2021 eingeführte Ausnahmeregelung ausge­höhlt worden sei. Das novellierte Gesetz erlaubt es Windparkprojektierern nun, auf ein Beteiligungsangebot an die Kommunen und Bürger:innen zu verzichten, sofern sie freiwillig an die Kommu­nen im Umkreis der Anlagen eine Abgabe von 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde abführen, wie es bundesweit per EEG § 6 erlaubt ist. Für die Projektie­rer und auch für viele Kommunen erscheint das sehr viel beque­mer. Allerdings verzichten sie damit auf un­ternehme­rischen Einfluss – einschließ­lich einer etwaigen Eigennut­zung des vor Ort erzeugten Stroms.

Besonders stört Fitt­schen: Die Kommunen und Bürger:innen werden dazu nicht an­gehört – Projektierer:innen beantragen die Ausnahmeregel direkt beim Ministerium. Auch was die direkte finanzielle Beteiligung von Bürger:innen betrifft, scheint der Trend in Richtung Effizienz und Bequemlich­keit zu gehen. Quasi „von der Stange“ gibt es per Internet schnöde Nachrangdarlehen zu erwer­ben, die heute als hippes „Crowd Financing“ auf entsprechenden Plattformen beworben werden. Die festen Zinssätze solcher Angebote lagen jahrelang bei 2 bis 3 Prozent, also deutlich über Sparbuchniveau, allerdings bei vollem Verlustrisiko und ohne unternehmerische Mitbestimmungsrechte der Kapitalge­ber. Angesichts allgemein steigender Zinssätze findet man inzwischen auch wieder Nachrangdarlehen mit 5 bis 6 Prozent Festzins am Markt. In der Regel sind die Laufzeiten 4 bis 7 Jahre – viel kürzer also als die Lebensdauer der damit angeschobenen Wind- und Solarparks.

Die Nachfrage nach dieser Art der schlanken „Bürgerbeteiligung“ sei sehr hoch, berichtet Matthias Schuppen­hau­er, Kommunikationschef beim Softwareunternehmen Eueco, das nach eigenen Angaben rund 400 Bürgerenergieprojekte aller Varianten mit seiner White-La­bel-Online-Plattform zur Ak­qui­se und Verwal­tung von Bürgerbeteiligungen ausgestattet hat.

Bürgerenergie: Crowd statt Hauptversammlung

Ob Stadtwerk, Projektierer oder Ener­giekonzern – viele setzen als „Bürgerbeteiligung“ auf Nach­rangdarlehen von einer Crowd-Plattform. Das sei nicht zuletzt Dank der Digitalisierung ohne viel Aufwand zu machen und das Angebot lasse sich regi­onal begrenzen, sagt Schuppenhauer.

Arp Fittschen ist dennoch kein Freund solcher Crowd-Financing-Mo­del­le, die unter der Flagge „Bürgerbeteiligung“ segeln: „Ich halte es sogar für rechtswidrig, dass man auf diese Weise die Prospektpflicht umgeht“, betont er.
Freilich hat der Gesetzgeber 2019 die Spielräume für sogenannte Schwarm­finan­zierungen erweitert. Bis zu 6 Millionen Euro dürfen je Projekt nach § 2 des Vermögensanlagenge­setzes unter bestimmten Bedingungen online als Nachrangdarlehen prospekt­frei an Klein­anlege­r:innen vermittelt werden.

Derweil ist die früher typische Betreibergesellschaft in Form einer GmbH & Co. KG nach einer Eueco-Auswertung nur noch in Gegenden üblich, wo Bürgerwindenergie bereits eine lange Tradition hat – vor allem im Norden und Nordwesten. Denn spätestens mit der Prospektpflicht nach Vorgaben der Finanzaufsichtsbehörde Bafin sei sehr viel Aufwand auf Kommanditgesellschaften zugekommen, erklärt Schuppenhauer.

Bürgerenergie mit Genossenschaften

Und so ging in anderen Regionen ohne etablierte Bürgerwindtradition der Trend jahrelang eher in Richtung Bürgerenergiegenossen­schaft. Diese Unternehmensform erlaubt bei kleinen Mitgliedsanteilen, oft schon ab 500 Euro, und relativ gut abgesichertem Kapital einen hohen Grad an Mitbestimmung und Identifikation. Bei Genossenschaften gilt auf der jährlichen Hauptversammlung das Prinzip: pro Mitglied eine Stimme – egal wie hoch der jewei­lige finanzielle Anteil ist.

Doch auch Genossenschaften haben in den vergangenen Jah­ren nur wenige Projekte im Windbe­reich an den Start gebracht. Viele machten zunächst die Einführung der EEG-Ausschreibungen ab 2017 für die Flaute verantwortlich. Mit der EEG-Novelle des Jahres 2022 hat die Ampel-Bundesregierung nun zwar eine jahrelange Forderung der Bürgerenergie­szene erfüllt: Bis 18 MW sind eigens definierte Bürgerwindparks und bis 6 MW Solarstrom­parks in Bürgerhand von den Ausschreibungen befreit. Doch bislang ist nach den Erkenntnissen von Jürgen Quentin, Experte der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) zumindest im Windsektor noch kein Bürgerenergieprojekt auf Basis dieser neuen Freiheiten in Betrieb gegangen.

Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

Titelseite der Zeitschrift Energiekommune 4/2023

Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 4/2023 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!

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