Solarpflicht bleibt vorerst Sache der Bundesländer
In der Photovoltaik-Strategie, die Bundesklimaschutzminister Rodert Habeck jüngst vorgestellt hat, sucht man auf 45 Seiten vergeblich nach Hinweisen auf eine geplante Solarpflicht beziehungsweise Photovoltaikpflicht. Dabei hatte sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag eindeutig darauf verständigt, zumindest für gewerbliche Nichtwohngebäude eine Solarpflicht einzuführen. Dort heißt es: „Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für die Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden.“
Solarpflicht im Bund zurzeit nicht opportun
Von Journalisten auf das Thema Solarpflicht angesprochen, deutete Habeck an, dass diese der Öffentlichkeit und dem Koalitionpartner aktuell nicht leicht zu vermitteln sei: „Das Gebäudeenergiegesetz wäre der rechtliche Rahmen. Aber wir haben uns bei dieser Novelle des Gebäudeenergiegesetzes auf den Wärmebereich konzentriert. Und das wissen Sie ja, dass das schon anspruchsvoll genug ist, diese Debatte vernunftbegabt zu führen.“
Verständnis für diese Einschätzung signalisiert Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft (BSW). Gegenüber den Solarthemen erklärte er: „Wir beobachten gegenwärtig am Beispiel des Gebäudeenergiegesetzes, dass die Vertragstreue innerhalb der Ampelkoalition offensichtlich begrenzt ist und Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag relativ wenig wert sind. Die aufgeheizte Debatte zur geplanten Heizungspflicht hat die Wahrscheinlichkeit vermutlich spürbar verringert, dass 2024 eine bundesweite Solarpflicht für Gewerbebauten kommen wird.“
Aufgrund ihrer begrenzten Impulswirkung für den Klimaschutz sei eine Solarpflicht für Gewerbebauten aber nicht um jeden Preis anzustreben, wenn das Risiko bestehe, dass darunter die hohe Akzeptanz der Photovoltaik leide oder gar die Regierung zerbreche. Körnig argumentiert: „Eine bundesweite Solarpflicht im Gewerbeneubau würde jährlich nur einige Hundert Megawatt an zusätzlichem PV-Zubau bringen. Deutlich entscheidender und erfolgskritischer für die erforderliche Vervielfachung der PV-Nachfrage auch im gewerblichen Gebäudesektor ist die Frage, ob es gelingen wird, konsequent Marktbarrieren abzubauen und den Rentabilitätserwartungen potenzieller gewerblicher Investoren künftig durch eine Nachjustierung der anzulegenden Werte zu entsprechen.“
Sollte aber eine bundesweite Solarpflicht für Gewerbebauten doch noch absehbar sein, so will der BSW laut Körnig unter anderem darauf hinwirken, dass diese neben der Photovoltaik auch die Solarthermie als Erfüllungsoption anerkenne, um Impulse für die Verbreitung der solaren Prozesswärme zu setzen.
Solarthermie als Ersatzoption
Die Solarthermie ist auch im solaren Ordnungsrecht vieler Länder als Option mitgenannt – unabhängig davon, ob in den jeweiligen Ländergesetzen von „Solarpflicht“ oder von „Photovoltaikpflicht“ die Rede ist.
Insgesamt ist bereits in mehr als der Hälfte der Bundesländer eine mehr oder weniger breite Solarpflicht in Kraft oder beschlossen worden (s.u.). Insofern könnte sich Habeck angesichts des möglicherweise heiklen Themas entspannt zurücklehnen. Dagegen spricht aber, dass ein Flickenteppich unterschiedlichen Landesrechts für potenzielle Investoren immer auch ein gewisses Hemmnis darstellt.
NRW als neuestes Beispiel einer Solarpflicht auf Bundesländer-Ebene
Ein typisches Beispiel ist der besonders konsequente, aber eben auch komplexe Stufenplan, den die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen jetzt umsetzen will. Die Solarpflicht ist in NRW Teil der neuen Landesbauordnung (LBO), die das Landeskabinett bereits beschlossen und über die jetzt noch der Landtag zu entscheiden hat.
Am 1. Januar 2024 beginnt das Vorhaben mit einer Solarpflicht für Nichtwohngebäude. Ein halbes Jahr später folgt zum 1. Juli 2024 eine Solarisierungspflicht für kommunale Gebäude. Sie greift immer dann, wenn deren Dachhaut komplett erneuert wird. Wiederum ein halbes Jahr danach folgt der nächste Stichtag: Für neue Wohngebäude, für die ab 1.1.2025 ein Bauantrag gestellt wird, wird eine Solaranlage obligatorisch. Sodann müssen bis zum 31. Dezember 2025 alle Landesbauten, wo dies möglich ist, eine Solaranlage bekommen haben. Und als Endpunkt des Stufenplans sieht die LBO zum 1. Januar 2026 schließlich eine Solarpflicht für alle Dachsanierungen im Gebäudebestand vor. „Bei der Installation der Anlagen ist jeweils das technisch-wirtschaftliche Optimum der Dachflächen auszuschöpfen“, heißt es wörtlich im Gesetz.
Zum 1.1.2022 hatte übrigens bereits die frühere schwarz-gelbe NRW-Landesregierung eine Solarpflicht für größere Parkplätze an Nichtwohngebäuden eingeführt, die ab 35 Stellplätzen greift.
Zahlreiche Ausnahmen von der Photovoltaik-Pflicht
In all diesen Fällen formuliert die NRW-Regierung, wie auch die meisten anderen Bundesländer, die Solarpflicht als eine PV-Pflicht, die aber durch die Installation einer solarthermischen Anlage ganz oder teilweise ersetzt werden kann.
Alle Solargesetze der Bundesländer benennen Ausnahmetatbestände für die jeweilige Solarpflicht. So sind oft Dachflächen kleiner als 50 Quadratmeter ausgenommen. Teils regeln auch zusätzliche Erlasse, wann Ausnahmen wegen technischer oder wirtschaftlicher Unzumutbarkeit greifen können.
Diese Bundesländer haben oder planen eine Solarpflicht:
Solarpflicht in Baden-Württemberg
Heute gültig: Solarpflicht für neue Wohn- und Nichtwohngebäude sowie Parkplätze (> 35 Stellplätze). Ebenso bei Dachsanierung im Bestand. 60 % der geeigneten Dachfläche müssen belegt werden. Ersatzoption: Solarthermie.
Solarpflicht in Nordrhein-Westfalen
Kabinettsbeschluss, noch vom Landtag zu bestätigen: neue Nichtwohngebäude (ab 1.1.2024), kommunale Gebäude bei Dachsanierung (ab 1.7.2024), alle Landesgebäude (spätestens bis 31.12.2025), alle Gebäudeklassen bei Dachsanierung (ab 1.1.2026). Alternativ: Solarthermie.
Solarpflicht in Bayern
Heute gültig: neue Gewerbe-/Industriegebäude. Beschlossen: alle neuen Nichtwohngebäude (ab 1.7.2023), bei Dachsanierung bestehender Nichtwohngebäude (ab 1.1.2025). Belegung eines Drittels der geeigneten Dachfläche. Ersatzoption: Solarthermie (15 % des Wärme-/Kältebedarfs)
Solarpflicht in Berlin
Heute gültig: Solarpflicht für Neubauten und Dachsanierungen. 30 % der Dachfläche (brutto im Neubau, netto im Bestand). Außerdem bei Bestandswohngebäuden: Mindest-PV-Leistungen pro Wohneinheit.
Bremen
Vom Landtag beschlossen: alle Gebäudetypen bei Dachsanierung (ab 1.7.2024), bei Neubau (ab 1.7.2025). 50 % der Bruttodachfläche muss mit PV und/oder Solarthermie bedeckt sein.
Solarpflicht in Brandenburg
Landtag berät über Gesetzentwurf: Dächer neuer öffentlicher Gebäude und neuer Parkplätze an Nichtwohngebäuden >35 Stellplätze (ab 1.1.2024), gewerbliche Gebäude (ab 1.1.2025).
Solarpflicht in Hamburg
Heute gültig: neue Wohn- und Nichtwohngebäude. Vom Parlament beschlossen: bei Dachsanierungen von Bestandsgebäuden (ab 1.1.2025).
Solarpflicht in Hessen
Hessisches Energiegesetz (ab 30.11.2023): neue landeseigene Gebäude, außerdem Parkplätze (sofern landeseigen >35 Stellplätze, falls nicht landeseigen >50 Stellplätze). Ab 30.11.2024: bei Dachsanierungen an landeseigenen Bauten.
Solarpflicht in Schleswig-Holstein
Heute gültig: Parkplätze >100 Stellplätze, Nichtwohngebäude bei Neubau oder Sanierung von 10 % der Dachfläche. Anlage kann auch in räumlicher Nähe des Gebäudes errichtet werden.
Niedersachsen
Seit 1.1.2023: 50 % der Dachfläche neuer Gewerbeimmobilien, für neue Wohngebäude muss mindestens die Tragwerkskonstruktion solarfähig ausgelegt werden. Parkplätze >50 Stellplätze. Solarpflicht für neue Wohngebäude ab 1.1.2025, alle übrigen Gebäude ab 1.1.2024. Ersatzoption: Solarthermie.
Solarpflicht in Rheinland-Pfalz
Heute gültig: PV-Pflicht für gewerbliche Neubauten >100 m2 Nutzfläche (60 % der Dachfläche – alternativ auch in räumlicher Nähe des Gebäudes möglich), Parkplätze ≥50 Stellplätze. Ersatzoption: Solarthermie.
Ausnahmen von Photovoltaikpflichten und Sonderregelungen
Die speziellen Bedingungen der einzelnen Bundesländer können in dieser Übersicht nicht wiedergegeben werden. Die genannten Termine beziehen sich in der Regel auf den Zeitpunkt, an dem der Bauantrag gestellt wird. Zumeist sind Ausnahmen wegen mangelnder wirtschaftlicher oder technischer Zumutbarkeit oder konkurrierender Verpflichtungen (z.B. Blendschutz/Denkmalschutz) definiert. In etlichen Ländern gilt die Solarpflicht erst ab einer Mindestdachfläche von 50 m2. In der Regel wird Solarthermie als Ersatzoption anerkannt, aber mit unterschiedlichen Vorgaben.
16.6.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH