Photovoltaik-Recycling vor dem Quantensprung

Ungeordnete, teils zerstörte SIlizium-PV-Module wird durcheinander. bereit für RecyclingFoto: Reiling PV-Recycling GmbH & Co. KG
Seit Jahren gilt in Deutschland eine gesetzliche Recyclingquote für ausgediente Solarmodule. Aber erst in den nächsten Jahren erreichen nun immer größere Mengen an Altmodulen ihr Lebensende, die ein industrielles Recycling interessant machen. In Münster geht jetzt die erste große Recyclinganlage speziell für Solarmodule an den Start. Die Rückgewinnung der edleren Bestandteile wie Silizium und Silber steht hingegen noch im Pilotstadium.

Wenn in letzter Zeit viel über eine Renaissance der Photovoltaikindustrie in Deutschland spekuliert wird, dann dürften die wenigsten an die Firma Reiling und deren Standort im westfälischen Münster denken. Dabei ist dieses Photovoltaikunternehmen heute schon Marktführer in seinem Bereich. Das Unternehmen verfügt damit in Deutschland zurzeit nach Aussage von Branchenkennern über ein Beinahe-Monopol am Ende der photovoltaischen Wertschöpfungskette. Die Jahreskapazität der neuen Recycling-Anlage für Photovoltaik-Module, die das im Glasrecycling beheimatete Familienunternehmen gerade in Münster hochfährt, wird nicht in Megawatt und Gigawatt gemessen, sondern in Tonnage. Einen Durchsatz von 50 Kilotonnen, 50.000 Tonnen, an Solarmodulen will Reiling künftig mit dieser ersten Recycling-Anlage, die nur für Photovoltaik-Module optimiert ist, erreichen können.

Neue Photovoltaik-Recycling-Anlage in Münster

Und so dürfte ein Großteil der Solarmodule, die heute auf deutschen Dächern und in Solarparks sauberen Strom erzeugen, am Ende ihrer produktiven Zeit wohl in Münster landen. Denn seit 2015 schreibt das deutsche Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) den PV-Herstellern und -Händlern eine Verwertungsquote von 85 Prozent vor.

Weil es bislang nur um geringe Mengen ausgedienter Module ging, hieß dies, dass sich Recyclingfirmennur um die Rückgewinnung von Glas und Aluminium bemühen mussten. Denn Rahmen und Glas machen den weit über­­wie­genden Gewichtsanteil eines Solarmoduls aus. Und in der Anfangszeit lohnte es sich auch nicht, die Stoffströme der ausgedienten PV-Ware und anderer Glas-Abfälle in getrennten Anlagen zu behandeln.

Neue Anforderungen an Verwertung und Recycling

Bereits Anfang 2022 kamen allerdings durch die neue Elektro- und Elektronik-Altgeräte-Behandlungsverordnung (EAG-BehandV) des Bundesumweltministeriums neue Qualitätsanforderungen auf die PV-Entsorger zu. Seitdem dürfen bei der Behandlung von klassischen kristallinen Silizium-Solarmodulen in der Glasfraktion nur ein Bleigehalt von 100 Milligramm sowie ein Selen- und Cad­mi­umanteil von einem Milligramm je Kilogramm (mg/kg) verbleiben. In den weiteren Fraktionen gelten für Selen und Cadmium ebenfalls ein mg/kg und für Blei 200 mg/kg. Für Dünnschichtmodule und solche mit Tandem- oder Mehrfach-Solarzellen legt die Verordnung noch deutlich strengere Schadstoffgrenzen fest.

Das reicht freilich nicht, um die aus den geschredderten und gemahlenen PV-Modulen extrahierten Glasmengen zu hochwertigen neuen Gläsern zu verarbeiten oder diese gar in die Stoffströme der Getränkeindustrie einzuspeisen. In der Regel taugt das Material nur für minderwertige Anwendungen wie die Herstellung von Glas-Dämmwolle.

Entsprechend gering ist der Materialwert. Und so ist das Einsammeln der PV-Module und Wiedergewinnen ihrer Bestandteile heute für die Recycler nur interessant, weil PV-Hersteller und -Händler für die Entsorgung bezahlen, also diese Kosten bereits in den Verkaufspreis der Module einpreisen. Auch dies regelt das ElektroG seit 2015. Es verpflichtet alle Hersteller, die PV-Module in Deutschland in Verkehr bringen, sich bei der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (EAR) in Nürnberg zu registrieren und eine insolvenzsichere Entsorgungsgarantie einzugehen. Im Ergebnis muss für die Entsorgung von kleineren Mengen an PV-Modulen auf Wertstoffhöfen kein PV-Betreiber bezahlen. Er hat dies ja bereits beim Kauf der Anlage getan.

Stichtag 1.7.2023 für Onlineplattformen zu EAR-Registrierung ihrer Kunden

Das System hatte aber bislang eine Lücke: Im Onlinehandel scherten sich manche fernöstliche Elektronik-Anbieter nicht um die deutsche EAR-Registrierung. Das betraf zwar eher elektronische Consumer-Produkte als typische PV-Hausdachanlagen. Doch spätestens mit dem Boom der Balkonsolaranlagen, die oft über das Internet bestellt werden, ist das auch für die PV-Branche ein Thema geworden.

Deshalb sorgt im solaren Onlinehandel der Stichtag 1.7.2023 gerade für einige Aufregung. Ab diesem Termin müssen nämlich Internet-Handelsplattformen wie Amazon überprüfen, dass registrierungspflichtige Elektrogeräte, die über ihre virtuellen Marktplätze angeboten werden, tatsächlich bei der Stiftung EAR gemeldet sind. Und Experten wie Christoph Brellinger vom Entsorgungs- Compliance-Dienstleister take-e-way in Hamburg erwarten, dass Branchenprimus Amazon nicht lange fackeln wird, schwarze Schafe, die es auch im PV-Sektor gibt, am Stichtag von der Plattform zu verbannen, wenn sie den EAR-Nachweis nicht erbringen.

Perspektivisch ist das sicher kein unwichtiger Schritt für die faire Verteilung der Entsorgungskosten, die heute für PV-Module bei bis zu 200 Euro pro Tonne liegen. Langfristig geht es für die Recycling-Branche allerdings darum, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sich weitmöglichst aus der Wiederverwendung der in Photovoltaik-Anlagen enthaltenen Rohstoffe refinanzieren.

Magische 10.000 Tonnen Photovoltaik-Schrott

Dafür kommt es auf ausreichende Mengen an Altmaterial an, damit durch Upscaling die Verwertungsprozesse günstig werden, so wie es Reiling in Münster jetzt vormacht. „Ab 10.000 Tonnen an End-of-Life-Modulen wird das interessant – das ist für uns die magische Zahl“, sagt Peter Dold vom Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik in Halle (Fraunhofer CSP). Und 10.000 Jahrestonnen, das entspreche genau der in diesem Jahr zu erwartenden Gesamtmenge an Altmodulen. In den kommenden Jahren werde die Menge allerdings sehr schnell auf eine sechsstellige Jahrestonnage steigen, sagt Dold.

Zusammen mit Reiling hat Dolds Fraunhofer-Team einen Prozess entwickelt, mit dem auch die mengenmäßig geringen, aber hochwertigeren Bestandteile von PV-Modulen aus dem zerkleinerten Rohmaterial zurückgewonnen werden können. Konkret geht es um die Gewinnung von Silizium, Blei und vor allem dem wertvollen Silber, das in den dünnen Leiterbahnen der Solarzellen steckt. Während Silizium- und Glaspartikel mit einem physikalischen, auf Elektrostatik basierenden Prozess voneinander getrennt werden, lassen sich Silber und Blei nasschemisch zurückgewinnen.

Pilotanlage für Recycling PV-Zellen und Leiterbahnen

Die Pilotanlage, die das Team um Peter Dold dafür in Halle betreibt, habe im letzten Jahr immerhin 60 Tonnen Feinstmaterial aufbereitet, berichtet der Wissenschaftler. Der Löwenanteil der Glaspartikel hat Reiling schon vorher in Münster entfernt. Ginge es nach Dold, dann dürfte sich die 85-Prozent-Recyclingquote des ElektroG schon heute nicht nur auf die Gesamtmasse des Moduls beziehen, sondern auf jeden Einzelnen darin verbauten Stoff.

Dass sich aus dem Silizium und Silber nach weiteren Reinigungsschritten prinzipiell wieder vollwertige Solarzellen produzieren lassen, hat das CSP im Labor bereits bewiesen. Ob das dann aufgrund der erforderlichen Reinheitsgrade in der Praxis irgendwann tatsächlich die wirtschaftlich optimale Verwertung sein wird, sei allerdings fraglich, lässt Dold offen.

19.6.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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