Solarausbau-Gesetz: Solarpaket 1 wird konkret
Ein ganz neues Kapitel will das Habeck-Ministerium im „Gesetz zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung“, kurz: Solarausbau-Gesetz, mit der sogenannten gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung aufschlagen. Als Alternative zum bisherigen Mieterstrommodell soll es in vielen Fällen eine weniger bürokratische Option für Mehrfamilienhäuser, aber auch für Nichtwohngebäude geben. Das BMWK will damit auch ein seit Jahren durch EU-Recht vorgegebenes, aber in Deutschland noch nicht eingeführtes Modell des Energy Sharings ermöglichen. Ziel des neuen Modells ist es laut der Begründung zum Referentenentwurf, „dass Strom aus solarer Strahlungsenergie ohne großen Bürokratieaufwand von Vermieterinnen und Vermietern oder einem Dritten für die Mietparteien innerhalb eines Gebäudes bereitgestellt werden kann“. Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung soll aber ebenso Wohnungseigentümergemeinschaften, gemeinschaftlichen Eigentümer:innen oder in gewerblich genutzten Gebäuden zur Verfügung stehen.
Anders als beim bisherigen EEG-geförderten Mieterstrommodell stellt der Betreiber der PV-Anlage für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung ausschließlich den von der PV-Anlage erzeugten Strom zur Verfügung. Er wird nicht zum Vollversorger. Die Mieter:innen haben somit in der Regel noch einen normalen Stromliefervertrag.
Messtechnik für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung
Wie aufwändig eine gemeinschaftliche Gebäudeversorgung hinsichtlich der erforderlichen Messtechnik ist, lässt sich aus dem Gesetzentwurf nicht direkt ablesen. In der Begründung heißt es allerdings: „Mit den Regelungen (…) ist keine weitergehende Vorgabe hinsichtlich der Anzahl oder Art der zu verwendenden Zähler getroffen. Die Verwendung zusätzlicher, messrechtskonformer Zähler zur Ermittlung der im Haus verbrauchten Strommenge aus der Gebäudestromanlage auf Wunsch der Parteien wird durch diese Regelung nicht ausgeschlossen.“ Mindestvoraussetzung für die Messtechnik soll jedenfalls sein, dass die Strommengen im Haus viertelstundengenau ermittelt werden können.
Bemerkenswert ist auch, dass der Gesetzentwurf die neue Art der Solargemeinschaft räumlich jeweils auf ein einzelnes Gebäude beschränkt. Wenn es dabei bleibt, wären Quartierslösungen damit offensichtlich nicht zulässig. Möglicherweise ist darüber allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn entscheidendes Kriterium für die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung soll sein, dass die Nutzung „ohne Durchleitung durch ein Netz erfolgt“. Technisch besteht allerdings zwischen einem Gebäudenetz und einem nicht-öffentlichen Arealnetz, bei dem sich mehrere Gebäude einen Netzanschlusspunkt teilen, kein wesentlicher Unterschied.
Bestehen bleibt neben der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung auch das bisherige Mieterstrommodell, das in § 42a des EnWG geregelt ist. Es wird sogar ausgeweitet auf Nichtwohngebäude. Neu ist auch, dass solche Mieterstromverträge nunmehr bis zu zwei Jahren befristet werden können, statt bisher einem Jahr. Allerdings enden sie nun automatisch mit dem Auszug eines Mieters, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
Steckersolargerät jetzt mit 2 kW / 800 W
Einen großen Schritt nach vorn soll mit dem Solarausbau-Gesetz die Balkon-Photovoltaik machen, die nun der § 3 des EEG erstmals als „Steckersolargerät“ gesetzlich definieren soll. Demnach ist ein „Steckersolargerät ein Gerät, das aus einer oder wenigen Solaranlagen, einem Wechselrichter, einer Anschlussleitung und einem Stecker zur Verbindung mit dem Endstromkreis eines Letztverbrauchers besteht“.
Bis zu einer Modulleistung von 2 kW und einem maximalen Wechselrichter-Output von 800 Watt sollen diese Mini-Solaranlagen künftig ohne Konsultation des Netzbetreibers sofort fachgerecht ans Hausnetz angeschlossen werden können. Zum einen soll das Solarausbau-Gesetz damit die bisherige Grenze von 600 auf 800 Watt anheben. Zum zweiten entfällt damit auch die bislang doppelte Meldepflicht. Eine Meldung beim Marktstammdatenregister soll ausreichen. Wörtlich heißt es im Entwurf: „zusätzliche Meldungen von Anlagen nach Satz 1 beim Netzbetreiber dürfen nicht verlangt werden.“
Zugleich sollen Betreiber:innen von Balkonsolar-Anlagen gar nichts mehr mit einem eventuell erforderlichen Austausch ihres Stromzählers zu tun haben. Hat der oder die Anlagenbetreiber:in das Steckersolargerät ordnungsgemäß innerhalb eines Monats nach Inbetriebnahme beim Marktstammdatenregister gemeldet, so fordert die Bundesnetzagentur den Netzbetreiber auf, die Daten zu überprüfen. Der Netzbetreiber informiert erforderlichenfalls den Messtellenbetreiber, falls er dies nicht selbst ist. Maximal vier Monate ab der Info durch die BNetzA hat der Messtellenbetreiber dann Zeit, um gegebenenfalls den alten Zähler gegen eine moderne Messeinrichtung als Zweirichtungszähler auszutauschen. Anschlussnutzer:innen dürfen ihre Mini-PV-Anlage in der Zwischenzeit ausdrücklich am alten Zähler betreiben. Die Richtigkeit der Messwerte ist laut Gesetzentwurf zugunsten des PV-Betreibers für bis zu vier Monate zu vermuten – auch dann, wenn ein alter Ferraris-Zähler sich zeitweilig rückwärts drehen sollte.
Steckersolargerät bekommt Privilegien
Ansonsten soll das Solarausbau-Gesetz noch einige weitere Hürden für Steckersolargeräte abbauen: So müssen sie künftig – im Gegensatz zu anderen kleinen PV-Anlagen – auch nach dem Einbau eines Smart-Meters weder fernsteuerbar sein, noch muss ihre Ist-Leistung durch den Netzbetreiber abrufbar sein. Auch sollen Steckersolargeräte bis 2 kW / 800 W künftig bei diversen Regeln zur Anlagenzusammenfassung des EEG unberücksichtigt bleiben. Das betrifft sowohl technische Anschlussbedingungen nach § 9 EEG als auch die Ermittlung der Vergütungshöhe nach § 24 EEG.
Voraussetzung des vereinfachten Netzanschlusses für Steckersolargeräte bis 800 Watt soll künftig die Zuordnung der Anlage zu einer neuen Vergütungsform sein: der „unentgeltlichen Abnahme“. Sprich: für die Einspeisung von Überschussstrommengen ins öffentliche Netz gibt es kein Geld, aber es fallen für den Anlagenbetreiber auch keine Gebühren – wie etwa Vermarktungsgebühren nach § 53 EEG – an. Steckersolaranlagen sollen – ebenso wie alle anderen Anlagen bis 200 kW – künftig automatisch der unentgeltlichen Abnahme zugeordnet werden, falls von Seiten des Betreibers keine andere Zuordnung erfolgt. Nicht ausgeschlossen dürfte es somit im Umkehrschluss sein, dass auch die Nutzer eines kleinen Steckersolargerätes für den eingespeisten Strom durchaus eine Vergütung verlangen können, wenn sie den damit verbundenen größeren Aufwand auf sich nehmen.
Unentgeltliche Abnahme als neue Option
Mit der neuen Vergütungsform „unentgeltliche Abnahme“, die das BMWK mit dem Solarausbau-Gesetz einführen will, bezweckt das Ministerium aber noch mehr als eine Verfahrensvereinfachung für Balkonsolaranlagen. Bei der unentgeltlichen Abnahme reduziert sich der sogenannte anzulegende Wert auf null. Von dieser Vergütungsform sollen vor allem Anlagen mit mehr als 100 kW profitieren, die einen hohen Eigenverbrauch haben. Diese Anlagen sind zur Direktvermarktung verpflichtet, wegen der geringen Überschussmengen können die Kosten für die Direktvermarktung aber höher sein als die Profite der Einspeisung. Die neue Vergütungsform soll in diesen Fällen verhindern, dass solche Anlagen abgeregelt werden oder dass Anlagen trotz vorhandener Dachfläche auf unter 100 kW dimensioniert werden, um der Direktvermarktungspflicht zu entkommen. Auch deshalb soll die unentgeltliche Abnahme künftig für alle Anlagen bis 200 kW automatisch greifen, wenn der Anlagenbetreiber keine andere Vergütungsform wählt. Für Anlagen, die bis zum 31. Dezember 2025 in Betrieb gehen, gilt diese Regel sogar bis 400 kW.
Das neue Prinzip der unentgeltlichen Abnahme hilft auch Anlagenbetreibern, die wegen Kumulationsverboten in anderen Förderprogrammen, zum Beispiel der Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) keine EEG-Vergütung in Anspruch nehmen dürfen. Die unentgeltliche Abnahme sorgt dafür, dass diese Strommengen dem System zur Verfügung stehen, indem sie den EEG-Bilanzkreisen der Netzbetreiber zugeordnet werden, ohne Kosten oder unzulässige zusätzliche Beihilfen für die Anlagenbetreiber zu begründen.
Beschleunigter Netzanschluss bis 30 kW
Nachdem bereits die vorigen EEG-Novellen einige Vereinfachungen im Netzanschlussverfahren bezweckt haben, will das BMWK nun noch weitere Hürden abbauen. Beispielsweise sollen bald Anlagen bis 30 kW auf einem Grundstück eigenmächtig an einen bestehenden Netzanschluss angeschlossen werden dürfen, sofern der Netzbetreiber nicht innerhalb von acht Wochen auf ein Netzanschlussbegehren reagiert. In einer früheren Novelle hatte die Ampelregierung dieses „Selbstvornahmerecht“ zunächst nur für Anlagen bis 10,8 kW eingeführt.
Die Realisierungszeiten von Projekten beschleunigen soll auch eine künftig gesetzlich geregelte Duldungspflicht für die Verlegung und Wartung von Leitungen sowie für die Überfahrt von Grundstücken zum Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Dafür werden eigens zwei neue Paragrafen (§ 11a und § 11b) ins EEG eingeführt. Auch die Entschädigungen, die Grundstückseigentümer:innen dafür zustehen, regelt der Referentenentwurf hier.
Kommunalbeteiligung § 6 EEG auch für PV auf baulichen Anlagen
Eine weitere Gesetzeslücke soll das Solarausbau-Gesetz schließen, indem es eine Kommunalbeteiligung nach § 6 EEG künftig auch für einen erweiterten Kreis von PV-Anlagen außerhalb von Gebäuden ermöglicht. Bisher galt die Option zur Zahlung von 0,2 ct pro erzeugter Kilowattstunde ausdrücklich nur für „Freiflächenanlagen“. Bald soll sich die Regelung für alle „Solaranlagen des ersten Segments“ nutzen lassen, wodurch insbesondere auch Anlagen auf baulichen Anlagen wie Dämmen, Deponien oder Parkplätzen umfasst sind.
PV-Repowering neu geregelt
Beachtenswert ist auch eine neue Regelung zum Repowerings für Dachanlagen in § 38h des EEG. In der Regel ist eine Repowering-Maßnahme mit einer Leistungssteigerung verbunden. Die neue Anlage kann nunmehr für den Leistungsanteil, der der Altanlage entspricht, den Vergütungsanspruch der ersetzten PV-Module wahrnehmen, während für den Leistungsanteil, der darüber hinausgeht, ein neuer Förderanspruch mit 20-jähriger Laufzeit starten kann.
Photovoltaik im Garten: bis auf Weiteres erlaubt
Mit dem Solarausbau-Gesetz will das BMWK auch endlich eine Misere für PV-Anlagen in Gärten von Wohnhäusern beenden. Zwar können nach dem EEG seit Januar ersatzweise PV-Anlagen bis 20 kW auch im Garten von Gebäuden errichtet werden. Dennoch ist Garten-PV bislang nur eine theoretische Option geblieben. Denn der Garten-Standort kommt laut Gesetz für die PV-Anlage nur in Frage, wenn das Gebäude selbst für die Installation einer PV-Anlage nicht geeignet ist. Und die Verordnung, die regeln müsste, unter welchen Bedingungen eine Installation auf dem Gebäude als nicht zumutbar gilt, fehlt bislang. Das BMWK hat bisher auch keine Anstalten gemacht, eine solche Verordnung in Angriff zu nehmen.
Stattdessen tritt das Ministerium mit dem Solarausbau-Gesetz nun die Flucht nach vorn an: Eine Übergangsregel in § 100 des EEG soll nun regeln, dass Besitzer von Wohnhäusern ihre Garten-PV-Anlagen bis 20 kW bis zum – nicht absehbaren – Erlass der Verordnung einfach in Betrieb nehmen können. Er unterstellt also bis auf weiteres, dass das Wohnhaus auf dem Grundstück einer Garten-PV-Anlage nicht für Photovoltaik geeignet ist.
Im Solarausbau-Gesetz nimmt das BMWK noch zahlreiche weitere Detailregelungen in Angriff – übrigens nicht nur für Photovoltaik, sondern auch für andere erneuerbare Energien. Die geplanten Gesetzesänderungen können in diesem Artikel nicht alle ausführlich dargestellt werden. Die Solarthemen bleiben aber am Ball und werden einzelne Themen im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens genauer beleuchten.
28.6.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH