Forschung: Windparks und Photovoltaik-Anlagen können zur Resilienz der Stromversorgung beitragen

Im Bild der Windpark Kümbdchen und das Umspannwerk, an dem die Forscher:innen die Feldversuche zur Resilienz der Stromversorgung durchgeführt haben.Foto: Holger Becker / Fraunhofer IEE
Am Windpark Kümbdchen haben die Feldtests stattgefunden.
Forscher:innen haben in Feldtests untersucht, wie man zum Hochfahren des Netzes nach einem Stromausfall Windparks und aus Photovoltaik-Anlagen zusammengeschaltete Flächenkraftwerke nutzen kann. Übertragungsnetz und Verteilnetz müssen dafür koordiniert vorgehen.

Im Zuge der Energiewende ändern sich die Bedingungen für die Resilienz der Stromversorgung. Expert:innen des Fraunhofer IEE und der Unternehmen Enercon, Alterric Deutschland, Dutrain und Westnetz haben in Rheinland-Pfalz gemeinsam gezeigt, wie man einen Windpark steuern muss, damit er nach einem großflächigen Stromausfall zum Wiederaufbau des Stromnetzes beitragen kann. Weitere Feldtests mit einem Photovoltaik-Flächenkraftwerk verliefen ebenfalls erfolgreich. Diese und weitere Ergebnisse wurden im Abschlussbericht des dreijährigen Forschungsprojektes „SysAnDUk – Systemdienliche Anforderungen an Dezentrale Erzeugungsanlagen zur Unterstützung in kritischen Netzsituationen und des Netzwiederaufbaus“ veröffentlicht.

„Das deutsche Stromnetz ist eines der zuverlässigsten der Welt. Dennoch ist die Resilienz von großer Bedeutung. Im Falle eines großflächigen Stromausfalls ist sehr entscheidend, dass wir schnell wieder zum Normalbetrieb zurückkehren“, sagt Gesamtprojektleiter Holger Becker vom Fraunhofer IEE. Ausgangspunkt der Fragestellung war, dass sich die nötigen Schritte zum Wiederanfahren des Stromnetzes im Zuge der Energiewende verändert haben. Mit dezentralen Anlagen ist ein Neustart für die Netzbetreiber deutlich komplexer als mit Großkraftwerken. „Windparks und Solarkraftwerke können beim Hochfahren des Netzes einen aktiven Beitrag leisten. Das ist technisch anspruchsvoll, aber möglich, wie unsere Feldversuche eindeutig gezeigt haben“, so Becker.

Der Feldtest fand im Gebiet des Verteilnetzbetreibers Westnetz statt. In Kümbdchen bei Mainz haben der Windenergieanlagen-Hersteller Enercon und der Windparkbetreiber Alterric Deutschland in Zusammenarbeit mit den Projektpartnern ein Wiederanfahren unter realen Bedingungen geprobt. Im Mittelpunkt der Arbeiten stand die zentrale Steuerung des Windparks über die Leitstelle des Verteilnetzbetreibers sowie die Erstellung und Übertragung einer genauen Prognose der zu erwartenden Einspeiseleistung. Getestet wurden dabei die erweiterten elektrischen Eigenschaften der Anlage und neue Funktionen von Windparkreglern sowie eine mögliche Integration der Anlage in das Reservemanagement des Netzbetriebs.

Windenergieanlagen übernehmen Systemverantwortung für die Resilienz der Stromversorgung

„Akkurate Windprognosen ermöglichen den planbaren Einsatz von Windenergieanlagen im Normalbetrieb und in kritischen Situationen im Netz. Im Projekt wurde eine Prognostik entwickelt, die stör- und schwarzfallrobust in jeder Netzsituation den Netzbetreiber mit aktuellen Daten versorgen kann“, sagt Lukas Holicki, Projektleiter bei Enercon. „Dabei werden Modellrechnungen mit dezentral verfügbaren Beobachtungsdaten kombiniert und anlagenspezifische Eigenschaften und Betriebsdaten genutzt, um den Verlauf der zu erwartenden Einspeiseleistung mit hoher Zuverlässigkeit vorherzusagen. Zusammen mit einer speziell entwickelten Windparkregelung können Windenergieanlagen so zukünftig Systemverantwortung übernehmen und einen notwendigen Beitrag zur Stabilität und Resilienz unserer Stromnetze liefern. Diesen Aufgaben werden wir im Rahmen der Energiewende mit Windenergie begegnen müssen.“.

In einem weiteren Projektstrang hat das Fraunhofer IEE ein Flächenkraftwerk entwickelt, mit dem man Photovoltaik-Anlagen in einer Region zusammenschließen und zentral steuert kann. Zudem erstellt man Prognosen für diese Anlagen. Dadurch wird es möglich, eine Vielzahl von Kleinstanlagen über eine Leitstelle gezielt einzusetzen und so Eigenschaften zur Resilienz der Stromversorgung wie bei einem Großkraftwerk zu generieren. Die Flexibilitäten des Flächenkraftwerks ermöglichen damit insbesondere die gezielte Unterstützung des Wiederaufbaus des Stromnetzes in sonnenreichen Situationen, wie erste Feldtests des Systems exemplarisch gezeigt haben.

Netzwiederaufbau erfordert koordiniertes Zuschalten der Erzeugungsanlagen

Um ein Stromnetz nach einem Blackout wieder hochzufahren, kommt es darauf an, zunächst mit sogenannten schwarzstartfähigen Erzeugungsanlagen funktionierende elektrische Inseln zu bilden und diese dann schrittweise zu verbinden. Nach dem Schwarzstart kann man die weitere benötigte Erzeugungsleistung durch Großkraftwerke oder durch einen Verbund von mehreren Photovoltaik-Anlagen und Windparks liefern. Da Großkraftwerke an das Übertragungsnetz und die meisten Wind- und Photovoltaikanlagen an das Verteilnetz angeschlossen sind, müssen beide Netzsysteme im Fall von Störungen sehr koordiniert vorgehen.

„Uns Verteilnetzbetreibern kommt mit der Energiewende eine neue Rolle im Energiesystem zu – auch beim Wiederhochfahren nach einem großflächigen Stromausfall. Daher ist es für uns umso wichtiger notwendige neue Anforderungen an Erzeugungsanlagen und unsere Leitsystemfunktionen, möglichst frühzeitig zu identifizieren. Genau das haben wir im Rahmen dieses Projektes gemacht – im intensiven Austausch mit allen Expert:innen“, sagt Thomas Schmidt, Projektleiter bei Westnetz.

Als zentraler Bestandteil der Forschungsarbeiten kam ein Trainingssimulator zum Einsatz, der die Wechselwirkungen zwischen Erzeugungsanlagen und Stromnetz aufzeigt und ein gemeinsames Verständnis aller Partner ermöglichte. „Durch die Verwendung realistischer Netzwiederaufbauszenarien werden der Datenaustausch, die Beobachtungs- und Steuermöglichkeiten sowie die erforderlichen Handlungen entwickelt, validiert und verifiziert“, erläutert Udo Spanel, Geschäftsführer des Trainingsunternehmens Dutrain, das Verfahren.

Innovative Technik muss zum Standard werden

Rein physikalisch kommt es beim Netzwiederaufbau darauf an, dass die dezentralen Einheiten die notwendige räumliche Nähe aufweisen und man die Netzstruktur beachtet. Nur dann lassen sich Inselnetze unter Verwendung von dezentralen Erzeugungsanlagen aufbauen, die wie Zellen mit weiteren Einheiten und untereinander verbunden werden können.

Mit dem Fortschreiten der Energiewende steigen die technischen Anforderungen an dezentrale Erzeugungsanlagen. Die Ergebnisse des Verbundvorhabens zeigen, dass die innovative Technik zum netzdienlichen Einsatz von dezentralen Anlagen zuverlässig funktioniert. Dies steht jedoch derzeit in den unteren Netzebenen noch nicht standardmäßig zur Verfügung. Denn Voraussetzung dafür sind eine entsprechende Kommunikation und Steuerung. In diesem Zuge wird der deutschlandweite Rollout des Smart-Meters mit seiner bidirektionalen Kommunikation auch Bestandsanlagen ermöglichen, sich an ein Flächenkraftwerk anzubinden. Darüber hinaus kann man mit dem künftigen 450 MHz Mobilfunknetz eine robuste Kommunikation realisieren, die auch bei einem Blackout funktioniert und zur Resilienz der Stromversorgung beiträgt.

Der Abschlussbericht zum Projekt „SysAnDUK – Systemdienliche Anforderungen dezentraler Erzeugungsanlagen zur Unterstützung in kritischen Netzsituationen und des Netzwiederaufbaus“ ist unter dem nebenstehenden Link abrufbar.

20.7.2023 | Quelle: Fraunhofer IEE | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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