Stromspeicher für die Systemstabilität

Photovoltaikpark mit mehreren weißen Batteriespeichern - vermutlich FotomontageFoto: Val Thoermer / stock.adobe.com
Deutlich nach den Heimspeichern kommt auch der Markt für große Stromspeicher in Deutschland langsam in Bewegung. Sie sollen Stromlieferungen rund um die Uhr ermöglichen und sogar die Schwungmas­sen fossiler Kraftwerke ersetzen.

Das Jahr 2022 brachte einen Schub für den Großspeicher-Ausbau in Deutschland. Gut 160 Batterien im Megawattstunden-Maßstab mit insgesamt 1,1 GW sind Anfang Juli bei der Bundesnetzagentur gemeldet, 47 dieser großen Stromspeicher sind allein 2022 hinzugekommen.

Jan Figgener, Abteilungsleiter für Netzintegration und Speichersystemanalyse an der RWTH Aachen, sieht einen Grund darin, dass nun neue Geschäftsmodelle für Großspeicher rentabel werden. Bisher lieferten Groß­batte­rien vor allem Regelenergie zur Frequenzstabilisierung im Übertragungsnetz. Denjenigen Speichern, die bis Ende 2022 ans Netz gingen, stehen zudem noch die „vermiedenen Netzentgelte“ nach der Stromnetzentgeltverordnung zu. Und da die kurzfristigen Preisschwankungen im Strommarkt mit Zunahme der Wind- und Solarstromerzeugung steigen, werden auch Arbitrage-Geschäfte in Deutschland immer interessanter ­– also das gezielte Verschieben von Strom aus Zeiten mit niedrigen in Zeiten mit hohen Preisen.

Stromspeicher für verschiedene Anwendungen

Benedikt Deuchert vom Großspeicher-Projektierer Kyon Energy bestätigt das. Das Unternehmen betreibt derzeit rund 120 MW Batterieleistung in Deutschland, ein weiteres Gigawatt befindet sich in der Genehmigung. „Die Kombination dieser Einnahmen – Regelenergie, Arbitrage-Geschäfte und bis vor Kurzem die vermiedenen Netzentgelte – ermöglicht uns einen wirtschaftlichen Speicherbetrieb, wenn die sonstigen Randbedingungen stimmen“, sagt Deuchert. Doch Letztere bieten Raum für Verbesserungen.

Lokal unterschiedliche, von den Netzbetreibern erhobene „Baukostenzuschüsse“ verhindern, dass in manchen Gegenden überhaupt Großspeicher entstehen. Und die Doppelbelastung durch die Netzentgelte für Speicher ist keineswegs abgeschafft, sondern lediglich vorübergehend ausgesetzt. Ihre Rückkehr droht bereits für Speicher, die ab Mitte 2026 ans Netz gehen und daher heute geplant werden müssen. Der Speicherboom könnte also schon bald wieder eine Delle bekommen.

Solarstrom rund um die Uhr

Die zweite Säule des Speicherwachstums waren bis Mitte 2022 die sogenannten Innovationsausschreibungen. Laut Daten der Bundesnetzagentur gingen diese seit 2021 durchweg an Kombinationen von Solarparks und Großbatterien. Diese Kombianlagen sind dafür ausgelegt, bedarfsorientiert Strom liefern zu können, zum Beispiel im Rahmen von Power Purchase Agreements (PPAs). Doch dann änderte sich das Vergütungsmodell. Die Einspeisetarife für Solarstrom stiegen, die Speicherprämie nicht in gleichem Maße. Das Resultat: Während die Solarpark-Auktionen wieder besser gezeichnet sind, brachen die Gebote bei den Innovationsausschreibungen ein. Im Dezember 2022 gab es lediglich ein Gebot, im Mai 2023 drei Gebote mit zusammen knapp 84 MW. Ausgeschrieben waren 400 MW.

Multi-Use-Speicher

Einen Ausweg aus dem Dilemma könnten Multi-Use-Speicher bieten. Eine einmal bezahlte Batterie könnte Solarstrom bevorraten, an Arbitrage-Geschäften teilnehmen und Regelenergie liefern und so mehrfach Geld verdienen. Bisher geht das allerdings nicht. Es liegt – mal wieder – an der Regulierung: Wenn ein Solarspeicher einmal Netzstrom tankt, färbt dieser den gesamten Grünstrom grau.

Redox Flow aus Hoffnungsträger

Eine weitere Hoffnung sind Kostensenkungen. Diese verheißt zumindest perspektivisch die Redox-Flow-Batterie. Sie punktet mit günstigeren Materialien und guter Skalierbarkeit. Die niederländische Elestor setzt bei ihrem Speicher auf Wasserstoff und Brom, der Mitbewerber ESS aus dem US-Bundesstaat Oregon auf Eisenchlorid und Wasser. Sowohl die Leistung als auch die Speicherkapazität lassen sich bei der Redox-Flow-Technologie jederzeit durch zusätzliche Module vergrößern, wobei vor allem der Zubau von Kapazität bei gleicher Leistung wenig kostet – so die Theorie. Der Praxistest läuft: Elestor will eine 500-kW-Einheit bis Ende des Jahres am Hafen von Rotterdam in Betrieb nehmen, für Anfang 2025 ist das erste Megawattprojekt vorgesehen. Der Energieversorger Leag und der Speicherhersteller EES wollen noch in diesem Jahr mit dem Bau eines Redox-Flow-Speichers in der Lausitz beginnen. Die schon für sich recht eindrucksvolle Speicherleistung von 50 MW, die bis 2027 entstehen soll, ist dabei eher als Demonstrator gedacht. Bis 2030 könnte der Speicher auf 1 GW wachsen. Die vollautomatische Produktion bei EES ist jüngst angelaufen.

Der Haken an der Redox-Flow-Batterie ist ihr mit 70 bis 75 Prozent deutlich geringerer Wirkungsgrad im Vergleich zur Lithiumbatterie. Gerade bei Multi-Use-Speichern mit vielen Zyklen würde das stark zu Buche schlagen.

Dass Speicher helfen, die schwankende Wind- und Solarstromerzeugung mit dem Verbrauch in Deckung zu bringen, und sogar Regelenergie liefern können, ist ein großer Schritt für die Systemintegration. Doch wenn die fossilen Kraftwerke wirklich in Rente gehen sollen, werden Erneuerbare und Speicher noch weitere Aufgaben übernehmen müssen.

Stromspeicher ersetzen rotierende Massen

Da sind zum Beispiel die rotierenden Massen der Großkraftwerke. Ihre Trägheit sorgt für die sogenannte Momentanreserve, die Frequenzschwankungen im Netz sofort physikalisch puffert, noch bevor der erste Abruf von Regelleistung erfolgt. Batterien und die zugehörigen Wechselrichter wären technisch schon heute in der Lage, diese Aufgabe zu übernehmen. Lediglich die Software müsste angepasst werden – und natürlich: die Regulatorik. In Schottland läuft derzeit ein Pilotprojekt für die Momentanreserve-Bereitstellung mit 200 MW Speicherleistung, an dem unter anderem der Wechselrichterhersteller SMA beteiligt ist. In Deutschland harrt die Branche auf die Entscheidung der Bundesnetzagentur, die zum Jahresende erwartet wird.

Batterie als Netzbooster

Auch als „Netzbooster“ können Batterien dienen. Sie sollen helfen, mehr Windstrom von der Nordsee nach Bayern zu bringen. Um die Hebelwirkung des Netzboosters zu verstehen, muss man wissen, dass die Netzbetreiber bisher immense Puffer bei der Leitungskapazität einkalkulieren, um auch beim Ausfall einer einzelnen Leitung noch den Netzbetrieb sicherstellen zu können. Netzbooster sind eine Art Back-up für genau diesen Fall. Sie können hinter dem Engpass bei Bedarf in Sekundenschnelle große Leistungen bereitstellen. Dieses Back-up erlaubt es, im Normalbetrieb die Reserven zu verkleinern und mehr Windstrom zu transportieren. Der bekannteste Booster steht in Kupferzell und gehört der TransnetzBW, ebenfalls mit SMA-Batteriewechselrichtern ausgestattet. Für Batterie- und Solarparkbetreiber ist der Netzbooster allerdings kein Geschäftsmodell: Als „Netzbetriebsmittel“ darf er gar nicht am Energiemarkt teilnehmen.

Stromspeicher im Redispatch 2.0

Hält ein Engpass im Netz an, müssen auch weiterhin Redispatch-Kraftwerke den Netzbooster ablösen. Bisher waren das einige Handvoll fossiler Großkraftwerke, die auf Abruf der vier Übertragungsnetzbetreiber tätig wurden. Beim „Redispatch 2.0“ sollen auch die Verteilnetzbetreiber sowie sämtliche Anlagen ab 100 Kilowatt mitmischen – also auch Stromspeicher. Ein Markt ist das nicht, sondern eine Verpflichtung: Erfolgt ein Abruf, gibt es eine auf Kostenbasis kalkulierte Entschädigung. Beim Start des Redispatch 2.0 holperte es. Nun geht es schrittweise in die Umsetzung.

Solarstromerzeugung glätten, Angebot und Nachfrage ausgleichen, Regelenergie und Momentanreserve liefern, Übertragungsnetze boostern: Großspeicher können auf vielerlei Arten zur Stabilität des Energiesystems beitragen. Der aktuelle Netzentwicklungsplan plant 24 GW an Großbatterien bis zum Jahr 2037 ein. Damit diese schnell gebaut werden und an der richtigen Stelle stehen, ist regulatorisch noch einiges zu tun.

26.7.2023 | Autorin: Eva Augsten
© Solarthemen Media GmbH

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