Großwärmespeicher für die kommunale Wärmewende

Speicherbecken, bereits wassergefüllt, aber noch ohne Abdeckung.Foto: WIMeG
So sah das Becken des Saisonalspeichers in Meldorf im Winter aus. Das Wasser war bereits eingefüllt, aber noch nicht eingedeckt. Inzwischen ist es abgedeckt.
Für die Wärmewende in Kommunen werden Großwärmespeicher eine zentrale Rolle spielen. Sie speichern Industrieabwärme, Power to Heat und/oder Solarthermie. Aktuell nehmen einige Saisonalspeicher-Projekte in Deutschland Gestalt an.

Meldorf, Bracht und Hechingen haben eines gemeinsam: Alle drei Orte dürften bald zu Pilgerstätten für energiebewegte Bür­ger­mei­ster und Stadtwerke-Direktorinnen werden. Denn auf der Suche nach Lösungen für das große Dilemma der Wärmewende, dass nämlich Energiebedarf und erneuerbares Ener­gie­­an­ge­bot jahreszeitlich stark auseinandergehen, sind diese drei Kommunen den allermeisten anderen einen großen Schritt vor­aus: Sie bauen sich jeweils einen Großwärmespeicher.

In allen drei Fällen sind dies wassergefüllte Erdbeckenwärmespeicher, wie sie in Däne­mark bereits mehrfach existieren. Bewährt hat sich dort für die Becken die Form einer umgekehrten Pyramide. Der Bodenaushub lässt sich zumeist verwenden, um rings um das Loch einen Wall aufzuschütten, sodass der Speicher später einige Meter über das umliegende Ter­rain hinausragt und das Volumen sich nach oben vergrößert.

Geomembran als High-Tech-„Teichfolie“ für Saisonalspeicher

Ausgekleidet werden die Erdbecken mit etwas, das der Volksmund wohl als Teichfolie bezeichnen würde. Hersteller wie die auf diesem Gebiet zurzeit führende Firma Solmax hören das freilich nicht gern, handelt es sich doch um eine spezielle Kunststoff-Dichtungsbahn. Allein schon durch die thermischen Belastungen bis zu mehr als 90 Grad Celsius müssen diese Dichtbah­nen eini­ges aushalten. Aber noch kritischer ist ihre Rolle beim Wasser-Management für den Deckel der Speicherbecken. Denn der besteht aus einer dicken Dämmschicht, die nicht nass werden darf, um ihre Funk­tion dauerhaft zu erhalten. Einerseits können sich auf dem Deckel Wasserlachen bilden, die tonnenschwer werden können. Andererseits diffundiert durch jeden noch so dichten Kunststoff mit der Zeit Wasserdampf in die Dämmschicht, der irgendwie wieder heraus muss. Das Material muss also das Kunststück vollbringen, einerseits dicht und stabil zu sein, andererseits aber auch „atmen“ zu können. Prinzip: Goretex-Jacke, aber bitte viel länger haltbar!

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In Meldorf, unweit der schleswig-holsteinischen Nordseeküste gelegen, hat man schon lange aufmerksam beobachtet, was die dänischen Nachbarn in Sachen Großwärmespeicher so treiben. Im Rahmen eines energetischen Quartierskonzeptes entstand dann 2016 die konkrete Idee für den Mel­dorfer Spei­cher. Nun dürfte die Kommune mit gut 7.000 Einwohner:innen wahrscheinlich bald die erste sein, die einen solchen Speicher in Deutschland in Betrieb nimmt. Bereits vor einigen Monaten wurde die Baugrube ausgehoben, anschließend mit Dichtbahnen ausgekleidet und mit 45.000 Kubikme­tern Wasser befüllt (Foto). Inzwischen läuft die Installation des Deckels.

Fernwärmeausbau beim Saisonalspeicher fest eingeplant

Parallel wird schon am Fernwärmenetz gearbeitet, das ab Herbst die ersten zwölf kommunalen Gebäude versorgen soll und in einer nächsten Ausbaustufe den ganzen Norden Meldorfs. Bis 2035 soll im gesamten Stadtgebiet Fern­wär­me zur Verfügung stehen.

Der weitere Ausbau sei auch wich­tig, um die hohen Anfangsinvestitionen zu rechtfertigen, erklärt Peter Bielen­berg, Geschäftsführer der Wärmeinfra­struk­tur Meldorf GmbH & Co. KG (Wimeg), einer zu 100 Prozent städtischen Gesellschaft, die für die Realisierung der kommunalen Wärmewende gegründet worden ist. Bielenberg sagt: „Das alles geht nur, weil wir in Meldorf ein Umfeld haben, das viel Unterstützung bietet.“ Kommunalpolitik, Verwaltung und Bürgerschaft zögen bei der Wärmewende an einem Strang. Wichtig sei dabei auch, dass möglichst heimische Firmen an der Realisierung beteiligt seien. Alle Projektbeteiligten hätten sich zu einer Innovationspartnerschaft zusammengefunden, betont Bielenberg. Man habe eine Art runden Tisch gebildet, um das Projekt gemeinsam zu stemmen. „Denn wir brau­chen Resilienz innerhalb der Zusammenarbeit.“

Großwärmespeicher erhöht Resilienz des Systems

Resilienz, also die Fähigkeit, Krisen und schwierige Situationen zu überstehen, ist vielleicht auch eines der Motive für den großen Speicher. Gedacht war er primär, um die Abwärme einer Großdruckerei möglichst vollständig für die Fernwärme nutzen zu können. Zweite Wärmequelle ist eine bestehende Bio­gas­­anla­ge. Lediglich als Redundanz und für die Spitzenlast sind Gaskessel ge­plant, die perspektivisch auch mit Biomethan oder Synthesegasen gefüttert wer­den könnten. Doch aktuell forciert die Wimeg die Planungen für ein großes Solarkollektorfeld als weitere Wärmequelle. Bielenberg deutet an, dass dies schnel­ler als zunächst geplant auf die Tagesordnung kam. Denn die Druckerei mache aktuell Kurzarbeit. Diese preiswerte Wärmequelle könnte also weni­ger verlässlich sein als die Sonne. Dank des Speichers – Stichwort Resilienz – ist aber ein Wechsel der Hauptwärme­quelle jederzeit eine Option.

Das gilt beispielsweise auch, wenn künftig die regulatorischen Hürden fal­len, die bislang verhindern, dass im Norden Deutschlands bei Netzeng­pässen oder negativen Strom­prei­sen Wind­strom mittels Großwärmepumpen und Elektrokesseln zu ­Fern­wärme wird, statt ihn abzuregeln. Wohl dem, der dann einen großen Wärmespeicher hat.

Genossenschaft traut sich an Großwärmespeicher

Auch im nordhessischen Dorf Bracht plant die dortige Energiegenos­sen­schaft Solarwärme Bracht eG, ihren Erdbeckenspeicher, für den im September das Baggern beginnen soll, von Anfang an mit einer Großwärmepumpe zu kombinieren. Freilich wird der Ökostrom für die Wärmepumpe lediglich 8 Prozent der gesamten Energiequellen für das neue Wärmenetz ausmachen. Den Löwenan­teil von 67 Prozent der Wärme sollen thermische Solarkollektoren mit einer Bruttokollektorfläche von 12.000 Quadratmetern liefern. Das restliche Viertel steuern Biomassekessel bei.

Mit ihrem Konzept beschreitet die Bürgerenergiegenossenschaft, die sich aus den rund 180 künftigen Energieabnehmer:innen zusammensetzt, in mehr­fa­cher Hinsicht Neuland. Nicht nur weil es einen solch hohen solarer Deckungsgrad bislang in solaren Wärmenetzen noch nicht gegeben hat. Er wäre ohne den Saisonalspeicher nicht möglich. Eine technische Neuerung ist auch die Geometrie des Erdbeckenspeichers. Er soll bei einem Volumen von etwa 26.000 Kubikmetern und einer Tiefe von 15 Metern deutlich schmaler und somit effizienter konstruiert sein als andern­orts.

Denn im Gegensatz zu den sandigen Untergründen in Meldorf und bei den dänischen Vorbildern erlaubt der feste­re Boden in Bracht einen steileren Böschungswinkel von etwa 30 Grad. Dadurch kann die teure Deckelkon­struk­tion deutlich kleiner ausfallen. Die Wärmepumpe verbessert die Temperaturspreizung, indem sie dem unteren Bereich des Speichers Energie entzieht und ihn weiter abkühlt. Das wie­derum wirkt sich positiv auf die Solar­ern­te der Kollektoren aus. Denn je küh­ler der Rücklauf zu den Kollektoren ist, desto höher ihr Wirkungsgrad.

Risiken eines Saisonalspeichers überschaubar

Was die innovative Technik des Speichers betrifft, so ist Helgo Schüt­ze, Vorstandsmitglied der Energiegenossenschaft, sehr optimistisch. Klar, gebe es Risiken, „aber es gibt auch ausrei­chend Erfahrung. Wir sehen uns jeden­falls nicht mehr im Experimentalbereich.“

Etwas Sorgen bereitet Schütze allerdings der Zeitplan. Durch Auflagen des Fördergebers, der eine europaweite Aus­schreibung fordere, verschiebe sich der Baubeginn jetzt nochmal um sechs Wochen, berichtet er. Dennoch hofft der Genossenschaftler, bis zum Wintereinbruch die Erdarbeiten abschließen und den Speicher ausklei­den zu können. Danach wartet auf die Genoss:innen noch eine weitere Geduldsprobe. Denn entgegen früherer Annahmen erlaube das kommunale Trinkwassernetz, aus dem der Speicher befüllt werden müsse, lediglich eine tägliche Entnahme von 180 Kubikme­tern. Wenn sich da keine andere Lösung finde, dürfte es also mehr als ein halbes Jahr dauern, bis der Speicher mit 26 Millionen Liter gefüllt sei, sodass man den Deckel montieren könne, sagt Schütze.

Dieses praktische Thema beschäf­tigt auch Markus Friesenbichler, Chef der Stadtwerke Hechingen im Zollern­albkreis. Den möglichen Engpass sieht er allerdings weniger in der Zapfmenge als in der Verfügbarkeit von Osmoseanlagen mit ausreichender Kapazität. Denn das Wasser, mit dem solche Speicher befüllt werden und das darin jahrzehntelang verbleiben soll, muss von einem sauren in einen leicht basischen Zustand versetzt werden, um die Metallteile im Speicher nicht anzugreifen.

70 Prozent Solaranteil dank Erdbeckenspeicher

Auch in Hechingen, wo es für die Stadtwerke darum geht, ein Neubaugebiet mit etwa 560 Wohneinheiten bei 68 Grad Vorlauftemperatur zu versorgen, strebt man für das neue Wärmenetz einen Solaranteil von 70 Prozent an. Ne­ben dem bereits in Bau befindlichen Erdbeckenspeicher, der hier in eine Bodendeponie integriert ist, soll oberflächennahe Geothermie zum Einsatz kommen. Es handelt sich dabei um ein Erdsondenfeld, dessen 28 Bohrungen mit­tels einer Wärmepumpe thermisch genutzt werden. Im Sommer läuft der Wärmestrom dann in anderer Richtung: In die Sonden pumpt man Solarenergie aus dem Kollektorfeld, um das Temperaturniveau im umliegenden Erd­reich zu regenerieren.

Auch was die Aufstellung der Kollektoren betrifft, haben sich die Hechin­ger zusammen mit ihren Beratern vom Steinbeis-Forschungsinstitut Solites etwas Besonderes ausge­dacht: Die mehr als 7.000 Quadrat­meter Kollektorfläche sollen an der Böschung des hier kom­plett oberirdisch in die Erddeponie integrierten Spei­chers Platz finden.

Sieben Jahre hat es gebraucht, bis das Hechinger Solarspeicher-Projekt nach ersten Ideen in einer Bürgerbeteiligung seine aktuelle Gestalt erreicht hat. Heute ist sich Friesenbichler sicher: „Es war die richtige Entscheidung. Es gehört aber auch ein Gemeinderat dazu, der voll dahintersteht und bereit ist, sowas zu bauen. Denn uns ist klar: Wir bauen hier nicht Stand der Technik, sondern Stand der Wissenschaft.“

Interview mit Speicherexperte Dirk Mangold (Solites)

Portraitfoto von Dirk Mangold, Institutsleiter Solites.
Dirk Mangold, Institutsleiter Solites.

Dirk Mangold ist Leiter des Steinbeis-Forschungsinstituts Solites in Stuttgart. Er forscht seit den 1990er-Jahren an saisonalen Wärmespeichern. Mangold leitet den Ar­beitskreis Saisonalwärmespeicher.

Energiekommune: Seit Jahrzehnten gibt es in Deutschland saisonale Wär­mespeicher. Wann wird man sie endlich von der Stange kaufen können?

Dirk Mangold: Solche Großwärmespeicher müssen immer maßgeschneidert werden: Das Speicherkonzept richtet sich beispielsweise nach dem Erzeugungs­mix eines Wärmenetzes, nach der Flä­chenverfügbarkeit, der Art des geologischen Untergrunds, dem Bedarf der angeschlossenen Verbraucher und der Systemeinbindung des Spei­chers. Die einzelnen Bauweisen der verschiedenen Speichertypen werden sicherlich zunehmend standardisiert werden.

Energiekommune: Ist denn die Tech­nik der Großwärmespeicher überhaupt schon ausgereift?

Mangold: Insofern ja, als es langjährige Erfahrungen gibt, aus denen die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Eine Kommune und ein Wärmenetz­be­treiber, die sich gut beraten lassen, können heute davon ausgehen, einen Speicher zu erhalten, der über Jahr­zehnte zuverlässig seine Aufgabe er­füllt. Die seit 1995 in Deutschland realisierten Pilotspeicher funktionieren immer noch! Aber richtig ist auch: Alle Speichertypen sind noch in der Ent­wicklung und es gibt noch keinen klar beschreibbaren „Stand der Technik“.

Multifunktionsspeicher sind wirtschaftlicher

Energiekommune: Was ist der we­sent­liche Unterschied heutiger Großwärmespeicher gegenüber jenen, die Sie seit 1995 wissenschaftlich begleitet haben?

Mangold: Die Anlagen sind viel näher an die Wirtschaftlichkeit gerückt. Zum Teil liegt das daran, dass sie größer geworden sind. Aber auch technisch komplexer, um komplexere Aufgaben übernehmen zu können. Dabei dienen die Großwärmespeicher nicht nur zur saisonalen Wärmespeicherung, sondern als sogenannter Multifunk­tions-Wärmespeicher. Diese speichern Energieüberschüsse aus dem Sommer in den Winter, dienen zu­gleich als Pufferspeicher zur Glättung von Lastspitzen, überbrücken zeitliche Differenzen zwischen dem Ange­bot an regenerativer Wärme und dem Wärmebedarf, ermöglichen Sektor­kopplung und Ähnliches. Damit er­höht sich der Nutzen des Wärmespei­chers und dadurch verbessert sich sei­ne Wirtschaftlichkeit.

Energiekommune: Das klingt noch ein bisschen weit weg …

Mangold: Ist es aber nicht. Wir haben aktuell eine stark steigende Nachfrage im Markt. Zur Dekarbonisierung von Wärmenetzen werden wir schon in den nächsten Jahren viel mehr solcher Großwärmespeicher benötigen.

30.7.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

Titelbild der Zeitschrift Energiekommune 7/23

Dieser Artikel ist original in der Ausgabe 7/2023 der Zeitschrift Energiekommune erschienen. Energiekommune ist der Infodienst für die lokale Energiewende. Er erscheint monatlich. Bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabonnement mit drei aktuellen Ausgaben!

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