Klimaschutzprogramm 2023: Expertenrat nimmt Stellung, NGOs kritisieren Regierung
Der Expertenrat für Klimafragen (ERK) hat anhand des Entwurfs die erwartbare Wirkung des Klimaschutzprogramms 2023 der Bundesregierung abgeschätzt. Heute hat er seine Stellungnahme veröffentlicht. Der Expertenrat geht davon aus, dass das Klimaschutzprogramm 2023 „bei konsequenter Umsetzung“ die Diskrepanz zum Klimaziel verringern kann. Zwischen 2021 und 2030 läge der Treibhausgas-Ausstoß dann noch rund 200 Megatonnen CO2-Äquivalente zu hoch. Der Expertenrat attestiert dem Programm damit einen „zwar hohen, aber gemäß Klimaschutzgesetz unzureichenden Minderungsanspruch“. Wie die Lücke geschlossen werden solle, lege die Bundesregierung nicht dar.
Der Entwurf des Klimaschutzprogramms war im Juni gemeinsam mit dem Entwurf für das neue Klimaschutzgesetz in die Ressortabstimmung gegangen, wie der Solarserver berichtete.
BMWK: Geerbte Klimaschutz-Lücke zu 80 Prozent geschlossen
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz verweist auf den Fortschritt im Vergleich zum Jahr 2021. Eine wesentliche Grundlage für die Stellungnahme des Expertenrates sei der sogenannte Klimaschutz-Projektionsbericht des Umweltbundesamtes. Dieser hatte im Jahr 2021 noch eine Überschreitung des Klimaziels um mehr als 1.100 Millionen Tonne CO2-Äquivalent ausgewiesen. Diese Lücke sei nun je nach Szenario auf 200 bis 330 Millionen Tonnen geschrumpft.
Der Projektionsbericht enthält laut UBA zwei Szenarien. Das Mit-Maßnahmen-Szenario (MMS) berücksichtigt die zum jeweiligen Modellierungsbeginn gültigen Maßnahmen. In das Mit-Weiteren-Maßnahmen-Szenario (MWMS) gehen zusätzlich zu den Maßnahmen des MMS bereits konkret geplante, jedoch noch nicht implementierte Maßnahmen ein.
„Die Klimaschutzlücke, die die Vorgängerregierung hinterlassen hat, wird um bis zu etwa 80 Prozent geschlossen. Das ist ein großer Fortschritt, weil wir viele entscheidende Weichen gestellt haben“, bilanziert Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck. Von der verbleibenden Lücke seien zwei Drittel auf den Verkehrssektor zurückzuführen. Das übrige Drittel verteile sich etwa gleichmäßig auf den Gebäude- und Industriesektor.
Das Öko-Institut, das an dem Projektionsbericht des UBA mitgearbeitet hat, kritisiert unter anderem, dass auch die bis 2045 anvisierte Klimaneutralität „vollständig verfehlt“ würde. Je nach Szenario gebe es weiterhin eine Lücke von 157 beziehungsweise 212 Millionen Tonnen Treibhausgasen. Als bereits wirksame Maßnahmen über die Sektorengrenzen hinweg hebt das Ökoinstitut die Lastenteilungsrichtlinie für sinkende Emissionen und den Emissionshandel.
BEE: Energiesektor wird Ziel übererfüllen
Der Bundesverband Energneuerbare Energie (BEE) übt eher freundlichen Nachdruck. „Die Last der Untätigkeit der letzten Bundesregierungen wiegt schwer und muss nun überkompensiert werden”, sagt BEE-Präsidentin Simone Peter. „Die Energiewirtschaft kann ihre Ziele sogar inklusive Atom- und Kohleausstieg bis 2030 übererfüllen. Das ist ein gutes Zeichen für die Erneuerbaren-Branche“. Die Maßnahmen für den Erneuerbaren-Ausbau würden Wirkung zeigen, vor allem bei Photovoltaik und Windenergie. Es müssten aber noch letzte Hemmnisse beseitigt werden um das gesamte Technologieportfolie zu nutzen. Für den Verkehrssektor betont sie neben der E-Mobilität auch die Bedeutung der Biokraftstoffe.
BDEW: Lücke im Verkehr nicht auf Energiesektor abwälzen
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW deutet die Befürchtung an, die Lücke aus dem Verkehrssektor könne nun an seiner Branche hängenbleiben. Der Verband fordert eine Strategie, um bis 2030 rund 15 Millionen E-Autos auf die Straße zu bekommen. „Die geplante Aufweichung der Sektorenziele lehnen wir ab. Wir sehen mit Sorge, dass Ziele faktisch auf andere Sektoren übertragen werden können und dadurch zudem Ambitionen in einzelnen Sektoren nachlassen“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Sie betont die „enormen“ Herausforderungen für den EnergiesektoAuch die Initiative Klimaneutrales Deutschland kritisiert das geplante Aufweichen der Sektorziele.
DUH will Tempolimit für Klimaschutz einklagen
In den Reaktionen der Umweltverbände findet sich der vom Expertenrat attestierte Fortschritt hingegen nicht wieder. Greenpeace fordert, dass Deutschland sich ein Gesamtbudget für noch verbleibende Emissionen geben soll. Dieses müsse dann auf die Sektoren und Jahre verteilt werden. Der BUND betont, dass der Umbau sozial gerecht erfolgen müsse. Dazu gehöre auch, Energieeffizienz und Sanierungen zu fördern. Bundeskanzler Scholz müsse daher einen Sanierungsgipfel ansetzen.
Die Deutsche Umwelthilfe fordert ein „Klimanotfallprogramm“ für Sektoren Gebäude und Verkehr, da die aktuelle Klimapolitik vollkommen unzureichend und gesetzeswidrig sei. „Wir werden vor Gericht wirksamen Klimaschutz im Verkehrssektor durchsetzen: Tempo 100 auf Autobahnen, 80 außerorts, 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, den Abbau klimaschädlicher Subventionen, den Ausbau klimafreundlicher Mobilität,“ sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch.
22.08.2023 | Quelle: Expertenrat, BMWK, UBA, DUH, Greenpeace, BDEW, BUND | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH