Georgiana Banita: Die Kultur der Windkraft erzählen!
Solarthemen: Was treibt Sie als Kulturwissenschaftlerin zur Beschäftigung mit der Windenergie?
Dr. Georgiana Banita: Was mich schon immer interessiert hat, ist der fossile Mensch – dieses uns inzwischen sehr vertraute Wesen, das gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aus der radikalen Modernisierung der Gesellschaft durch fossile Brennstoffe hervorgegangen ist. Der fossile Mensch ist bisher mein Lebensthema gewesen. Sein Hunger nach mehr Wachstum, mehr Mobilität, auch mehr Komfort hat mich immer fasziniert. Wobei dieses Moment der Moderne schnell kippte: Es kam zu Ölkatastrophen, Plastikbefall, CO2-Emissionen und Beschleunigung des Klimawandels. Das Zeitalter der sinnlosen Ressourcenverbrennung hat viel Schuld auf uns geladen. Die Windenergie ist eben das Gegenteil davon. Sie steht für Aufbruch und Erneuerung und geht eigentlich mit positiven Gefühlen einher.
Sie sprechen vom fossilen Menschen. Wie sähe demgegenüber ein erneuerbarer Mensch aus?
Es hat natürlich lange gedauert, bis sich der fossile Mensch herauskristallisiert hat. Der erneuerbare Mensch ist noch nicht da. Aber ich hätte erwartet, dass es in den Medienberichten schon Vorzeichen dafür gibt, dass sich Autor:innen die Mühe machen, in diese Richtung zu denken. Ich musste allerdings einen Unwillen zum Wandel feststellen. Stattdessen hängt man weiterhin an alten Denkmustern, setzt weiterhin auf Wachstum, auf Wohlstand und eigenen Komfort. Die Vorteile eines suffizienten, genügsamen Lebensstils werden kaum betont.
Klimawandel wird immer noch infrage gestellt
Viele gehen davon aus, unser Lebensmodell gerade dank der erneuerbaren Energien fortsetzen zu können.
Schlimmer: Der Klimawandel wird immer noch infrage gestellt. Es war schockierend für mich als Wissenschaftlerin, in Qualitätszeitungen wie der Welt und der FAZ Beiträge zu lesen, wo zum Teil noch bestritten wird, dass der menschengemachte Klimawandel Fakt ist.
Wie sind Sie an die Untersuchung herangegangen?
Für die Studie habe ich kluge und komplexe Artikel aus vier Qualitätsmedien unterschiedlicher Ausrichtung untersucht. Aus dem konservativ-liberalen Lager habe ich Beiträge von Welt und FAZ analysiert, für das linksliberale Milieu aus Süddeutscher Zeitung und Spiegel. Als Kulturwissenschaftlerin wollte ich Narrative, also sinnstiftende Erzählungen, finden, die Emotionen und Werte transportieren und für Orientierung sorgen. Viele Menschen können die technischen Details der Energiewende nicht verstehen und sind daher angewiesen auf Expert:innen, die sie gut erklären, und auf die Politik, die sie klug implementiert. Trotz ihrer irreführenden Tendenzen helfen Narrative dabei, sich auf die eine oder andere Seite schlagen zu können.
Sind denn die Medien, die Sie ausgewählt haben, für die Mehrheit der Menschen sinnstiftend? Die Mediennutzung hat sich doch verschoben.
Das stimmt. Aber genau die Narrative, die ich identifiziert habe, finden sich interessanterweise auch in den sozialen Medien. Ich habe mich bewusst mit den Qualitätsmedien auseinandergesetzt, weil ich von ihnen mehr inhaltliche Tiefe erwartet hatte, weil man dort ausführlicher berichtet. Ich habe mich auch eher mit längeren Artikeln beschäftigt und damit gerechnet, dass man selbstreflektierter berichtet, dass man nicht nur diese Narrative in die Welt setzt, sondern kritischer die eigenen Vorurteile oder politischen Positionen hinterfragt. Es wird zwar ausführlicher berichtet, aber im Grunde ähnlich reduktionistisch wie in den sozialen Medien, wo man die eigene Meinung hinausposaunt und Bestätigung erwartet.
Kritik auch an linksliberalen Medien
Gilt das für beide Richtungen des Spektrums, das Sie untersucht haben?
Ja, interessanterweise schon. Die Windkraft wird zwar als Thema meist dem linken beziehungsweise grünen Spektrum zugeordnet. Und in den sozialen Medien ist auch meine Studie als „links-grün versiffte Propaganda” diskreditiert worden. Allerdings bin ich in der Studie auch mit den linksliberalen Medien sehr kritisch umgegangen, weil auch sie die Fakten und die Informationen auslassen, die ihnen nicht ins Bild passen.
Da müssen wir uns vielleicht auch als Fachmedien aus dem Energiebereich an die eigene Nase fassen. Was haben Sie den „windkraftfreundlichen“ Medien ins Stammbuch zu schreiben?
Was mir in der Berichterstattung gefehlt hat, ist eine große Vision. Ich hätte gehofft, dass man sich nicht nur mit den technischen Gegebenheiten auseinandersetzt oder mit der Dringlichkeit des Windkraftausbaus – was sicher beides sehr wichtig ist. Ich hätte gehofft, dass man tatsächlich stärker in Richtung des erneuerbaren Menschen denkt, dass man auch Themen problematisiert wie Verzicht im Alltag, weniger Energie verbrauchen, mehr Kritik in Bezug auf das eigene Konsumverhalten. Dass man die Frage der erneuerbaren Energien in diesen Kontext setzt, hat mir gefehlt.
Windräder könnten positiv dargestellt werden
In den Kontext des Lebensstils?
Genau, eines anderen Denkens. Auch in den Kontext einer Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks. Und es würde mich auch interessieren, wie man Windräder positiv darstellen kann. Denn sie können ja durchaus positiv wahrgenommen werden. Was mir persönlich zum Beispiel an Windrädern gefällt, ist diese Gemächlichkeit, die Langsamkeit ihres Rotierens. Das Bild ist ja fast meditativ. Und Windkraft hat auch einen anderen Sound, im Gegensatz etwa zum Pochen und den allgegenwärtigen Geräuschen von Verbrennungsmotoren. Davon hätte ich mir mehr gewünscht.
Warum bevorzugen windfreundliche Medien eine technische Darstellung der regenerativen Energien? Ist es die Sorge, sonst vielleicht nicht ernst genommen zu werden?
Es kommt darauf an, wie man das macht. Es gibt die interessante literarische Gattung des Nature Writing. Diese Gattung des Schreibens über die Natur hat eine sehr starke Tradition, aber sie wird nicht ernst genommen. Aber vielleicht könnte man das auch auf Windenergie ausdehnen. Windräder gehören inzwischen zur Natur. Sie werden meist nicht in Industriegebieten errichtet, sondern auf Wiesen und teils in Wäldern. Dort ist man zum Beispiel touristisch mit dem Fahrrad unterwegs und so gehören Windräder inzwischen auch zur Naturerfahrung. Ich hätte nicht die Sorge, dass Journalist:innen sich dadurch als Natur-Softies angreifbar machen.
… als hätte noch nie eine Energiewende stattgefunden
Ich fände es besonders interessant, wenn darüber auch mit einem geschichtlichen Bewusstsein geschrieben würde. Man könnte darüber nachdenken, wie Windnutzung unsere Naturerfahrung verändert. Das hat mir übrigens auch in der „progressiven” Berichterstattung gefehlt: Man befasst sich mit der aktuellen Energiewende, als hätte noch nie zuvor eine Energiewende stattgefunden.
Lassen sich mediale Windfreunde zu sehr auf die Sichtweise von Gegnern ein, indem sie Windräder nur als notwendiges Übel beschreiben?
Vielleicht auch nur als Politikum. Es wird zu sehr in Richtung Politik argumentiert, auch indem man Klimabewegung und Fridays for Future zum Berichterstattungsanlass nimmt. Das ist zwar wichtig, aber die Berichterstattung geht dann nicht über den politischen Bereich hinaus. Im Gegensatz dazu berufen sich Windkraftskeptiker immer wieder auf den Waldmythos. Der deutsche Wald sei eine Seelenlandschaft. Wälder zu roden für die Windkraft sei insofern Volksenteignung. Im konservativen Spektrum gibt es damit eine zweite, kulturelle und emotionale Dimension.
Sollten sich Klimaschützer:innen auf solche Narrative der Windkraftgegner einlassen? Oder sollten sie lieber eigene Narrative kommunizieren?
Im linksliberalen Lager werden oft Argumente der Windkraftgegner übernommen und häufig zu euphorisch negiert. So werden auch Argumente zu schnell abgetan, die manche Menschen tatsächlich verunsichern. Ein Beispiel ist das Thema Gesundheit von Anwohnern. Die Studienlage ist hier noch sehr dünn. Man kann über die Symptome des sogenannten Windrad-Syndroms noch nicht allzuviel sagen. Wenn im Spiegel darüber berichtet wird, dann werden diese Sorgen komplett abgetan. Beispielsweise wird dann darauf verwiesen, dass es überall Infraschallimissionen gibt, im Straßenverkehr und am Strand, worüber sich noch niemand beschwert habe. Das ist zwar richtig. Aber dass Leute, sei es aufgrund realer Einflüsse oder auch aufgrund einer Art Phobie, solche Symptome entwickeln, könnte man durchaus ernster nehmen.
Erneuerbare sind schon da!
Vor allem aber würde ich mir wünschen, dass Journalist:innen über die bereits eingetretene Realität schreiben und diskutieren. Die erneuerbaren Energien liegen nicht in der Zukunft; sie sind schon da. Autor:innen sollten beschreiben, wie ein Leben mit den erneuerbaren Energien möglich ist. Sie sollten nicht nur eine Zukunft fordern, die erneuerbar ist; sie sollten zeigen, dass wir bereits in dieser Zukunft angekommen sind. Windkraftfreunde können eigene Narrative, Erzählungen, Bilder entwickeln von der erneuerbaren Gegenwart. Die konservativen Autoren arbeiten die ganze Zeit damit und leisten dabei erfolgreiche Überzeugungsarbeit. Das fehlt mir im progressiven Lager.
22.9.2023 | Interview: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH
Die Studie „Vom Winde verdreht? – mediale Narrative über Windkraft, Naturschutz und Energiewende bietet die Otto-Brenner-Stiftung kostenlos zum Download an.