Geothermie: Neue Verfahren für Wärme aus heißem Gestein

Schematische Darstellung der geplanten Geothermie-Bohrung in GeretsriedFoto: Eavor
Schematische Darstellung des in Geretsried geplanten Closed-Loop-Geothermie-Verfahrens mit geschlossenem unterirdischen Wärmetauscher.
Eine kanadische Firma will in Bayern ein neuartiges Geothermie-Kraft­werk bauen – mit einem geschlossenen Wärmetauscher in fast 5.000 Me­tern Tiefe. Das könnte Geother­mie auch für neue Standorte interessant machen.

Unterschleißheim, München-Riem, Pullach, Unterhaching. Mit diesen Namen begann in den frühen 2000ern der Ausbau der Tiefen Geothermie im Großraum München. Im Süddeutschen Molassebecken sind die Bedingungen nahezu perfekt, um die Wärme aus der Tiefe zu nutzen. Der Temperaturgradient ist günstig. Vor allem aber können in dem löchrigen Kalkstein große Wassermengen durch das Tiefengestein strömen. Der Untergrund selbst fungiert so als riesiger Wärmetauscher. Durch eine Förderbohrung gelangt das Thermalwasser an die Oberfläche, durch eine zweite Bohrung – die Injektionsbohrung – wieder nach unten. Hydrothermale Geothermie heißt das Verfahren, auf das bisher alle kommerziellen Anlagen für Tiefengeothermie in Deutschland setzen.

Die Tiefengeothermie scheint gerade für Ballungsräume eine sehr attraktive Lösung für die Wärmewende zu sein. Im Gegensatz zur Solarthermie braucht sie nur wenig Platz und liefert auch im Winter durchgehend Wärme. Im Gegensatz zur Verbrennung von Biomasse stößt sie keine Abgase aus und ist unabhängig von Brennstoffen.

Das Hamburg Institut schätzt das technische Potenzial der hydrothermalen Geothermie auf 45 bis 118 TWh jährlich. Die aktuelle Nutzung liegt deutlich darunter. Das Geothermie-Datenportal Geotis beziffert sie mit 1,3 TWh, eine Ifeu-Studie mit 2 TWh. Auch wenn die Zahlen deutlich variieren, ist klar: Es ist noch sehr viel Luft nach oben.

Die Geothermie-Welle in Kommunen rollt an

Das haben sowohl die Bundesregierung als auch viele Kommunen erkannt. Mit der Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) winkt ein sehr auskömmlicher Zuschuss schon in der Untersuchungsphase. Die verschärften Klimaziele und die Pflicht zur kommunalen Wärmeplanung tun ihr Übriges. Das Resultat: In ganz Deutschland sind neue Geothermieanlagen in Planung.

Dass erst jetzt Schwung in die Branche kommt, liegt nicht nur an der verbesserten Förderung, sondern auch an zwei technischen Fortschritten, die vor allem in Norddeutschland zu Buche schlagen. Denn erstens verlaufen die interessanten, wasserführenden Schichten dort oft in geringeren Tiefen. Das geförderte Wasser ist demnach eher lauwarm – 56 Grad sind es in Schwerin, 48 Grad in Hamburg. Erst in den letzten Jahren sind Großwärmepumpen auf den Markt gekommen, mit denen man diese Wärme auf ein in Bestandsnetzen und -gebäuden nutzbares Niveau bringen kann. Und zweitens haben groß angelegte Forschungsprojekte wie „Sandsteinfazies“ die Datengrundlage immens verbessert. So lässt sich mit höherer Verlässlichkeit sagen, wo warmes Wasser zu erwarten ist.

Doch wenngleich jede zusätzliche seismische Messung und jeder ans Licht geholte Bohrkern helfen, die Prognosen weiter zu verbessern, lässt sich das Fündigkeitsrisiko bisher nicht eliminieren. Ob eine Bohrung wirklich das ersehnte Thermalwasser liefert, weiß man erst, nachdem man einen zweistelligen Millionenbetrag investiert hat.

Closed-Loop-Verfahren

In Bayern, nur wenige Kilometer südlich des attraktiven Molassebeckens, sind gleich mehrere Bohrungen gescheitert. Auf neueren Karten ist die Region als ungeeignet für hydrothermale Geothermie verzeichnet. An einem dieser Standorte, in Geretsried, will das kanadische Unternehmen Eavor nun doch noch Wärme aus der Tiefe fördern. Dazu setzt Eavor auf einen künstlichen Wärmetauscher, der aus einem geschlossenen Röhrensystem besteht. Allein durch den Dichteunterschied soll das warme Wasser nach oben steigen und so Pumpenergie sparen. Die Idee der Closed-Loop-Technologie ist nicht neu. Doch nachdem zwei Projekte in den 1980ern in den USA nicht die gewünschten Erträge brachten, kam sie nicht zum kommerziellen Einsatz. Die Closed-Loop-Technologie ist nicht zu verwechseln mit dem bekannteren, aber ebenfalls nicht kommerziell genutzten Hot-Dry-Rock Verfahren, bei dem künstlich erweiterte Gesteinsklüfte als Wärmetauscher fungieren und das im Ruf steht, in seismisch aktiven Regionen Erdbeben triggern zu können.

Geothermie fast überall möglich

Gelingt es Eavor, das Closed-Loop-Verfahren kommerziell zum Erfolg zu bringen, ließe sich die Tiefe Geothermie nahezu überall nutzen. Das Fündigkeitsrisiko wäre passé, ebenso wie Diskussionen über mögliche Erdbeben. Das geothermische Informationssystem Geotis zeigt für weite Teile Süd-, Ost- und Norddeutschlands ein hohes Potenzial für Wärme aus heißem Gestein. Die Aussicht auf eine solche Goldgrube ist den Geldgebern einen hohen Einsatz wert. Rund 200 bis 350 Millionen Euro sollen allein in das Projekt in Bayern fließen. Mit einer erhofften Wärmeleistung von 64 MW soll es das leistungsstärkste Geothermieprojekt in Deutschland werden und mit umgerechnet 3.000 bis 5.500 Euro Investition pro Kilowatt zugleich eines der teuersten. Von dem eingesetzten Geld stammen 91,6 Millionen aus einem Fördertopf der EU, der Rest von Investoren rund um den Globus. Darunter sind ein japanischer Stromversorger, ein Bohrunternehmen aus den USA, ein Industriekonzern aus Österreich und eine Reihe von Risikokapitalgebern.

Eavor bewirbt das Projekt als ersten kommerziellen Einsatz der Technologie. Die Testphase ist also vorbei und das Geld muss mitsamt Rendite wieder eingespielt werden. Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein Kraftwerk, das aus der Erdwärme eine elektrische Leistung von 8,2 MW erzeugen soll. Für den Strom gibt es 20 Jahre lang einen Garantiepreis von 25,2 Cent pro Kilowattstunde – der höchste unter den festen Vergütungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Unterstellt man, dass das Kraftwerk jährlich auf 7.500 Volllaststunden kommt, dürfte allein die Stromerzeugung jährlich über 15 Millionen Euro einspielen. Der Wärmeverkauf kommt noch hinzu. Preise nennt Eavor nicht. Man könne aber mit Erdgaskesseln und Wärmepumpen mithalten, heißt es.

Technische Herausforderungen in Geretsried

Doch bis dahin sind noch einige Hürden zu nehmen. Bei Redaktionsschluss waren die beiden ersten Bohrungen etwa auf halbem Weg in die Zieltiefe von knapp 5.000 Metern. Dort unten sollen die Bohrungen horizontal abzweigen, sodass mehrere waagerechte Röhren entstehen, jeweils über drei Kilometer lang. Damit diese einen geschlossenen Kreislauf bilden können, müssen die Bohrköpfe mit einem magnetischen Suchsystem präzise zueinanderfinden. Mit einer flüssigen Versiegelung will Eavor dann die Wände der Röhren abdichten. Alle Verfahren seien bereits in kleineren Demonstrationsanlagen erprobt, beteuert das Unternehmen.

Professor Horst Rüter, ein Urgestein der deutschen Geothermiebranche, ist dennoch skeptisch. In einem Papier zitiert er verschiedene Kollegen aus der Forschung und formuliert Zweifel daran, dass sich die Bohrköpfe in der Tiefe wirklich treffen und dass die Versiegelung in dem löchrigen Gestein gelingt.

Vor allem aber vertraut er nicht darauf, dass die Anlage die Wärme dauerhaft liefern kann. „Gesteine sind im Grunde genommen Isolatoren“, heißt es in dem Papier. So könne nicht genügend Wärme nachströmen. Eavor kontert: Man habe speziell für den Standort Simulationsrechnungen durchgeführt – deren genauer Inhalt bleibt freilich Geschäftsgeheimnis. Ob Eavor in Geretsried also eine Goldgrube erschließt oder lediglich Millionen versenkt, wird sich in einigen Jahren zeigen.

25.9.2023 | Autorin: Eva Augsten
© Solarthemen Media GmbH

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