Nur ein nachhaltiges Energiesystem ist auch resilient

Portraits von zwei Wissenschaftlerinnen, die sich mit resilienten Energiesystemen befassen: Karin Arnold und Nicole Neumann.Fotos: Wuppertal Institut und DLR
Karin Arnold und Nicole Neumann
Bei der Jahrestagung des Forschungsverbundes Erneuerbare Energien (FVEE) sprachen Karin Arnold und Nicole Neumann über ein Energiesystem, das resilient ist. Zu übersetzen ist dies auch als „Widerstandsfähigkeit“. Die beiden sehen dies als Eigenschaft zukunftsfähiger Energiesysteme. Im Solarthemen-Interview erläutern die Wissenschaftlerinnen diesen relativ neuen Fokus der Energieforschung, der im Zeichen weltweiter Krisen an Bedeutung gewonnen hat. Arnold arbeitet beim Wuppertal Institut, Neumann beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt.

Solarthemen: Dass man jetzt die erneuerbaren Energien unter dem Resilienzaspekt sieht, hat das mit der viel beschworenen „Zeitenwende“ zu tun? Ist es wichtiger, dass unser Energiesystem resilient ist?

Karin Arnold: Dass Resilienz als Merkmal von dezentralen und erneuerbaren Energiesystemen diskutiert wird, ist an sich nicht neu. Aber das Thema bekommt Aufwind durch die Energieschocks, dass die Lieferketten nicht mehr funktionieren, zunächst aufgrund von Corona und dann dadurch, dass Russland uns nicht mehr beliefert.

Nicole Neumann: Das hat die Relevanz der Energiesystemtransformation aufgezeigt. Durch die damit verbundene Elektrifizierung sind wir insgesamt weniger abhängig von Energieimporten. Das ist ein zusätzlicher „Selling Point“ für die Energiewende, der zeigt, dass wir wirklich schnell fortschreiten müssen. Und eben nicht nur wegen des Klimawandels, der ja für die Leute nicht so greifbar ist. Die Abhängigkeit von Russland, die haben alle gespürt, als wir im Winter bei 19 Grad im Büro gearbeitet ha­ben und zu Hause im Pullover saßen.

Für wen ist dieser „Selling Point“ von Bedeutung?

Neue Konsummuster

Neumann: Vor allem für die Gesellschaft, damit sie diese Transformation mitträgt. Denn wie sich die Wertestruktur und die Priorisierung in der Gesellschaft ändert, das wirkt sich auf das Energiesystem aus. Beharren wir beispielsweise auf konventionellen Energien oder setzen wir eher auf Suffizienz – also auf ein anderes Konsummuster? Dies würde viel größere Möglichkeiten eröffnen, eine eigene nationale Eigenversorgung zu erreichen.

Was heißt der Begriff Resilienz für Sie?

Arnold: Für mich hängt er eng mit der Nachhaltigkeit zusammen. Resilient ist ein System, das in der Lage ist, Störungen zu überwinden, um wieder die Bedürfnisse zu befriedigen. Aber dabei kann es auch Zielkonflikte geben. Ich kann zum Beispiel an ein Stromsystem denken, dass auf den ersten Blick dadurch resilient wirkt, dass alle Funktionen redundant, also doppelt, ausgelegt sind. Aber das verursacht ökologische Kosten und ist weder effizient noch preiswert. Somit wäre es auch nicht wirklich resilient.

Was hat das mit den Menschen zu tun?

Resilienz als Versprechen

Arnold: Das Wort resilient enthält das Versprechen der Versorgungssicherheit. Jede und jeder in diesem Land soll seine Energiebedürfnisse befriedigt bekommen. Wobei wir mit dem Ukrainekrieg und der 17-Grad-Kampagne erstmals erlebt haben, dass Bürger:in­nen bereit sind, wirklich zurückzustecken.

Der zweite Begriff, der eben schon gefallen ist: Suffizienz – weniger ist mehr.

Neumann: Wenn wir dauerhaft genügsamer leben und weniger Energie verbrauchen würden, wäre es einfacher, das System zu gestalten. Weil wir weniger Kapazität aufbauen müssten.
Aber Politiker, die empfehlen, kürzer zu duschen, werden übel durch den Kakao gezogen.

Arnold: Weil solche Appelle natürlich auch keinen dauerhaften Effekt haben. Wir haben im vorigen Winter eine deutliche Energieeinsparung gesehen, aber die wird sich in diesem Winter nicht wiederholen. Aber man kann die Akzeptanz für erneuerbare Energiensysteme erhöhen, indem sie als resilienter erkannt werden.

Ist denn der Vorteil der Resilienz leichter vermittelbar als der Vorteil der ökologischen Nachhaltigkeit?

Investieren in Energiesystem, das resilient ist

Neumann: Kurzfristig ist das in Schock­situationen wohl so, wie wir sie im vorigen Jahr hatten. Ansonsten haben wir aber ein Problem bei der Vermittlung: Wenn unser System resilient ist, merkt niemand, welche große Leistung darin steckt, das Ganze aufzubauen. Ich hoffe trotzdem, dass es nicht extremer Reize bedarf, um die Gesellschaft daran zu erinnern, dass wir in Resilienz investieren müssen.

Arnold: Bislang ist ja jeder Haushalt versorgt worden. Es gab im letzten Winter nicht die Situation, dass alle frieren mussten, außer denen, die einen Holzofen haben. Das wäre natürlich ein Extrembeispiel von Erlebbarkeit der Resilienz erneuerbarer Energien gewesen. Aber unser System hat ja ausgehalten.

War das nicht genug an Erlebbarkeit, dass die Energiepreise massiv gestiegen sind?

Arnold: Die aber durch Tankrabatte und Strompreisbremse aufgefangen worden sind. Ein wirklich drastischer Preisschock ist ausgeblieben. Außerdem war der Vorteil erneuerbarer Energie nicht persönlich erlebbar – wenn man nicht gerade eine Pflanzenöl-Hoftankstelle hatte.

100 Prozent Erneuerbare

Wie erreicht man die Klimaziele und 100 Prozent Erneuerbare bis 2045 mit zugleich möglichst hoher Resilienz?

Neumann: Einerseits dadurch, dass wir im Land einen höheren Anteil der Energie schöpfen. Aber es gibt noch mehr Aspekte als nur die Importabhängigkeit. Wir können beispielsweise jetzt noch steuern, aus welchen Ländern wir die neuen Energieträger importieren möchten. Das ist nicht so sehr vorbestimmt wie bei den fossilen Ressourcen, die es nur in bestimmten Ländern gibt.

Wie steht es heute um die Resilienz unseres Energiesystems?

Arnold: Wenn wir in Deutschland kein resilientes Energiesystem hätten, gäbe es bereits Versorgungslücken. Im Fall, dass so etwas droht, werden ja sämtliche Anstrengungen unternommen. LNG-Terminals werden sogar in ökologisch sensible Gebiete gesetzt. Insofern kann man sich einen wirklichen Ausfall politisch-gesellschaftlich kaum vorstellen. Aber die Frage ist, zu welchen Kosten der Zustand aufrechterhalten wird, was wir an Naturschutz aufgeben oder welche Mehremissionen wir in Kauf nehmen. Eine wissenschaftlich interessante Frage ist also: Wie wird Resilienz messbar?

Jedenfalls ist Resilienz keine rein technische Kategorie.

Energiesystem, das resilient ist, nur mit Erneuerbaren

Arnold: Wie die Energiewende kann man Resilienz in vier Dimensionen sehen: Neben der Technik haben wir die Aspekte der Ökonomie, der politischen Institutionen und der Gesellschaft, also unter anderem die Frage der Akzeptanz. Alle müssen berücksichtigt werden, sonst wird es im weitesten Sinne nicht resilient. Ein Beispiel: Man könnte das Energiesystem theoretisch technisch resilient aufstellen, indem man fossile Energien von möglichst vielen Quellen bezieht. Aber damit würde man nicht dem Klimaschutz gerecht und würde langfristig viele Klimaflüchtlinge bewirken, was sicherlich nicht zur Erhöhung der gesellschaftlichen Resilienz beiträgt.

Tragen importierte Erneuerbare weniger zur Resilienz bei als heimische?

Neumann: Dass die erneuerbare Erzeugung in Deutschland dezentral geschieht, ist ein Faktor, der zur Resilienz beiträgt. Dafür müssen wir unser Stromnetz stark ausbauen und das Energiesystem sowie unser Nutzungsverhalten flexibler gestalten. Importe müssen der Resilienz aber nicht unbedingt im Wege stehen, wenn wir uns damit breit und divers aufstellen. Das Problem des vergangenen Jahrs ist ja dadurch entstanden, dass wir uns größtenteils von Russland abhängig gemacht haben. Daraus können wir lernen. Sich breit aufzustellen hilft immer dabei, das Risiko zu minimieren.

Das scheint für eine starke Vernetzung zu sprechen. Der Gegenentwurf wäre ein höherer Autarkiegrad. Was ist resilienter, Autarkie oder Vernetzung?

Neumann: Man muss das je nach Ebene betrachten. Ein autarkes Quartier ist nicht unbedingt resilienter als ein vernetztes regionales System. Und eine höhere Vernetzung auf Ebene der der europäischen Gemeinschaft dürfte durchaus zur Resilienz beitragen, statt dies nur auf nationaler oder regionaler Ebene anzustreben.

Wenn nicht die Netze selbst anfällig sind – etwa für Terroranschläge.

Arnold: Sowohl Autarkie wie Vernetzung haben immer Vor- und Nachteile. Die muss man benennen und sich entscheiden, was man in Kauf nehmen kann. Energieautarkie funktioniert auf kleiner Ebene mitunter sehr gut, wenn ich etwa an die Bioenergiedörfer denke. Aber die haben auch keine großen Verbraucher. Bei Großstädten ist das viel schwieriger. Wollte man das anstreben, könnte es häufiger mal zu Energieausfällen kommen. Aber das sind wir ja nicht bereit hinzunehmen. Die Diskussion um Energieautarkie wird oft nicht ehrlich geführt, weil man die Nachteile nicht benennt oder nicht in Kauf zu nehmen bereit ist. Ich würde daher für Vernetzung plädieren.

21.10.2023 | Interview: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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