Neue Regeln für Bürgerbeteiligung

Eine junge Frau zeigt Windkraftanlagen auf einer grünen Wiese vor blauem Himmel als Zeichen für Bürgerenergie.Foto: Shestakoff / stock.adobe.com
Die Teilhabe von Bürger:innen und Kommunen an Wind- und Solarparks gilt als Garant für hohe Akzeptanz vor Ort. Für das geplante hohe Ausbautempo der regenerativen Stromerzeugung scheint sie somit wichtiger denn je. Der Bund und manche Länder versuchen deshalb, mit neuen Gesetzen und Förderprogrammen Bürgerenergie und Kommunalbeteiligung zu fördern.

In Nordrhein-Westfalen beschäftigt sich inzwischen der Landtag mit dem „Bürgerenergiegesetz NRW“. Wenn der Landtag es so verabschiedet, wie die schwarz-grüne Landesregierung es in den Gesetzentwurf geschrieben hat, dann dürfte es bald keine neu genehmigte Windenergieanlage mehr ohne finanzielle Beteiligung von Bürger:innen aus dem Umfeld und/oder Kommunen ge­ben. In welcher Weise die Beteiligung erfolgt, das überlässt der Gesetzentwurf weitgehend den Verhandlungen der Kommunen mit den jeweiligen Projektierungs- beziehungsweise Betreibergesellschaften. Sie sollen die Bürgerenergie voranbringen.

Unmmittelbar nachdem er die immissionsschutzrechtliche Genehmigung beantragt hat, spätestens aber einen Monat nachdem die Genehmigung vorliegt, hat der Projektierer mit der Kommune den Austausch zu suchen. Ziel ist es, ein Beteiligungskonzept zu erar­beiten. Dieses soll laut Gesetz­ent­wurf „den örtlichen Gegebenheiten und den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger im bestmöglichen Sinne dem Gesetzeszweck Rechnung tragen“. Dazu listet der Gesetzentwurf verschiedene Möglichkeiten auf:

  • eine Beteiligung an der Projektgesellschaft in Höhe von beispielsweise 20 Prozent der Gesellschaftsanteile,
  • das Angebot über den Kauf einer oder mehrerer Windenergieanlagen,
  • eine finanzielle Beteiligung der Bür­ger:innen in Form von Geldanlageprodukten in Höhe von beispiels­weise 20 Prozent der Investitionssumme,
  • vergünstigte lokale Stromtarife und Sparprodukte,
  • pauschale Zahlungen an einen definierten Kreis von Anwohner:innen oder
  • die Finanzierung einer gemeinnüt­zigen Stiftung.

Ersatzbeteiligung

Falls es in den Verhandlungen zu keiner Einigung zwischen der Kommu­ne und der Windkraftfirma kommt, sieht der NRW-Gesetzentwurf eine Ersatzbeteiligung vor. Dann erhält zum einen die Standortgemeinde 0,2 Cent pro erzeugter Kilowattstunde. Dies entspricht nicht zufällig dem Wert, den § 6 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bun­desweit für freiwillige Zahlungen von Wind- und Solarparkbetreibern an Standortkommunen vorsieht. Falls de Betreiber den Windpark über das EEG finanziert, kann sich er sich die Summe vom Netzbetreiber erstatten lassen, der sich das Geld seinerseits über das EEG-Konto letztlich vom Steuerzahler zurückholt. Mit dem NRW-Gesetz wird die bundesweit durch § 6 EEG lediglich freiwillige Abgabe an die Kommune für den Windbereich quasi zum obligatorischen Mindeststandard.

Nachrangdarlehen für Bürger

Zum anderen muss der Windparkbetreiber dann auch den Bürger:innen in Kommunen, deren Gebiet minde­stens an einer Stelle nicht mehr als 2,5 Kilometer vom Mastfuß der Windkraftanlage entfernt ist, Nachrangdarlehen in Höhe von mindestens 20 Prozent der Investitionssumme anbieten. Der Mindestbetrag dieser Darlehen darf der Betreiber nicht über 500 und den Höchstbetrag nicht über 25.000 Euro ansetzen, um die Beteiligung breit zu streuen. Der Zinssatz hat ab 2024 mindestens 5,07 Prozent zu betragen. Dieser Mindest­wert orientiert sich an der Eigenkapitalverzinsung für Neuinvestitionen in öffentliche Stromnetze, die die Bundesnetzagentur zur Ermittlung der Netzgebühren jeweils für fünf Jahre festlegt. Sollte der Windparkbetreiber seiner Verpflichtung gegenüber der Kommune nicht nachkommen, droht das Gesetz im Übrigen mit einer Zwangsabgabe von 0,8 Cent pro erzeugter Kilowattstunde.

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Die Art und Weise, wie die Kommunen ihr eingenommenes Windgeld verwenden dürfen, will die NRW-Landesregierung nicht allzu genau festlegen. Sie beschreibt lediglich Beispiele. Darunter finden sich Verbesserungen von Orts­bild und Infrastruktur, Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs von Gemeinde oder Bürger:innen, aber auch die Förderung von Kultur- und Bil­dungs­einrichtungen oder -veranstaltungen. Aber auch eine kommunale Wärmeplanung oder weitere Investitionen in erneuerbare Energien wären mit dem Windgeld finanzierbar. So könnte eine Kommune beispielsweise mit den Einnahmen aus einem Windpark eine PV-Anlage auf dem Feuerwehrhaus oder einen örtlichen Kindergarten finanzieren und dadurch wiederum neue Ein­nah­men erwirtschaften, die dann auch für kommunale Pflichtaufgaben zur Verfügung stünden.

Keine Pflicht für Solarparks

Bislang könnte das künftige „Bürgerenergiegesetz NRW” ebensogut „Bürger-Windenergie-Gesetz“ heißen. Denn für andere erneuerbare Energien – etwa für Solarparks – ist eine obligatorische Beteiligung von Kommunen oder Bürger:innen im Gesetzentwurf nicht vorgesehen.

Ganz anders in Niedersachsen. Auch dort bereitet die rotgrüne Landesregierung ein ähnliches Gesetz zur Bürgerbeteiligung vor wie in Nordrhein-West­falen. Doch hier sollen auch Projektierer von Photovoltaik-Freiflä­chenan­lagen mit einem Beteiligungsgebot belegt werden. Nachdem die Regierung in Hannover im Mai einen ersten Referentenentwurf erarbeitet hatte und dafür von interessierten Verbänden einiges an Detailkritik einstecken musste, ist das Gesetzgebungsverfahren allerdings noch nicht entscheidend weiter gekommen.

Niedersachsen wartet ab

Die Geschäftsführerin des Landesverbandes Erneuerbare Energien Niedersachsen/Bremen, Silke Weyberg, rechnet mittler­wei­le damit, dass man vielleicht die Ergebnisse des laufenden Gesetzge­bungs­verfahrens in Nordrhein-Westfalen abwarten werde, um sich dann daran zu orientieren. Ohnehin hält die Branchenvertreterin nicht viel davon, dass jedes Land zurzeit seine eigenen, unterschiedlichen Regeln für die Bürgerbeteiligung aufstelle: „Solche Landesregelungen lehnen wir eigent­lich ab.“ Stattdessen solle der Bund einheitliche Regeln vorgeben, beispiels­weise die bislang freiwillige 0,2-Cent-Abgabe an die Standortkommunen zur Pflicht machen.

Skeptischer sieht Weyberg die verschiedenen gesetzlichen Ansätze zur Beteiligung von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern in den Standortkommu­nen. Dies sei für Projektierer teils mit erheblichem Aufwand verbunden, wie etwa der Pflicht, verbindliche Prospekte vorzulegen. Und Beteiligungsangebote fänden oft nicht die erwünschte Resonanz bei der breiten Bürgerschaft. Weyberg sagt: „Wich­tig ist, dass in den Kommunen Geld ankommt. Für die Gemeinden muss es einen Benefit geben. Die kommunale Ebene hat viel mehr Möglichkeiten, Akzeptanz zu steigern, als dies mit einer direkten Bürger­be­tei­ligung möglich ist.“

Pauschalen in Brandenburg

So ähnlich sieht das offenbar auch die Politik in Brandenburg. Sie will einen sogenannten „Solareuro“ einführen, der für alle Photovoltaik-Freiflächenanlagen ab einem Megawatt, was ungefähr einem Hektar Fläche entspricht, obligatorisch ist. 2000 Euro pro Jahr und Megawatt sollen die Kommunen künftig von Solarparkbetreibern erhalten. In der Höhe ent­spricht dies ungefähr dem freiwil­li­gen Obolus nach EEG. Allerdings hätten viele Bürgermeister:innen mit der Freiwilligkeit bislang keine guten Erfahrungen gemacht, argumentiert die SPD im Landtag, die auch den zuständigen Wirt­schaftsminister stellt. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Helmut Barthel, sagt: „Wir wollen ein einfaches Gesetz für alle Anlagen über ein Megawatt.“

Mit dem Konzept des „Solareuro“ lehnt sich Brandenburg eng an den „Windeuro“ an, der bereits 2019 im Land eingeführt worden ist. Für jede Windenergieanlage fließen der Stand­ort­kom­mu­ne pau­schal 10.000 Euro pro Jahr ins Gemeinde­­säckel. Ob dieser Modus künftig analog zum Solareuro auf einen leistungsbe­zoge­nen Betrag umgestellt werde, wolle man erst nach einer Evaluation entscheiden, erklärt Clemens Rostock, energiepoli­tischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion. Diskutiert werde auch noch, wie jene Ortsteile, die unmittelbar von den Solaranlagen betrof­fen seien, stärker an den Einnahmen betei­ligt werden könnten als der Rest der Gemeinde.

Innovative Systeme für Bürgerenergie

Innovativ ist auch die Thüringer Variante der verpflichtenden Kommunal- und Bürgerbeteiligung an Windkraftanlagen. Nach dem Gesetzentwurf, der aktuell in den Ausschüssen des Landtags beraten wird, soll eine verpflichtende Zahlung nach § 6 EEG zusätzlich kombiniert mit einem Sparprodukt für die Bürger:innen im Umkreis der Standardfall sein.

Alternativ sollen aber Kommunen auch andere Formen der Beteiligung verlangen können. Eine Sonderrolle spielt dabei die Möglichkeit, dass der Windkraftbetreiber den Bau oder die Ertüchtigung eines kommunalen Wärmenetzes durch regelmäßige, vertraglich bezifferte Schenkungen unterstützt. Wird diese im Sinne des Klimaschutzes besonders wirksame Option gewählt, so soll dies auch die Pflicht zu direkten Beteiligungen der Bürgerinnen und Bür­ger ersetzen können. Für Solarparks sieht Thüringen, ­­so wie Nordrhein-Westfalen, bis­lang keine verpflichtenden Regelungen vor.

Nicht in allen Bundesländern Initiativen für Bürgerenergie

Nach wie vor keine Anstalten, seine Beteiligungspflicht für Windkraftanla­gen auf den Solarbereich auszudehnen, macht auch das Land Mecklenburg-Vorpommern. Dabei war das Bundesland im Windbereich der Trendsetter. Das dort seit 2016 geltende Gemeindebeteiligungsgesetz hat vergangenes Jahr sogar das Bundesverfassungsgesetz bestätigt. Das Urteil hat überhaupt erst andere Länder darin bestärkt, ähnliche Gesetze aufzulegen. Im Nordosten müssen Projektierer seit 2016 für ihre geplanten Windparks ein Beteiligungsangebot von bis zu 20 Prozent für Standortkommunen und deren Bür­­ger:innen vorlegen.

Doch mittlerweile hat der Landtag diese Auflage entscheidend relativiert – man könnte auch sagen: ausgehebelt. Denn wer der Kommune ein freiwilliges Angebot zur Zahlung von 0,2 Cent pro Kilowattstunde nach § 6 EEG macht, der kann sich damit gewissermaßen von einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung der Kommune samt der damit verbundenen Mitspracherechte freikaufen. Und diese Ausnahmeregelung wird eifrig genutzt. Seit die Regelung eingeführt worden ist, soll laut Branchenkennern kein einziges Beteiligungsangebot mehr ausgesprochen worden sein. Die betroffenen Kommu­ne muss dazu nicht einmal befragt werden – der Antrag wird einfach bei den Landesbehörden gestellt.

Erst verhandeln

So leicht will es Nordrhein-Westfa­len seinen Windprojektierern nicht ma­chen. Die Firmen sollen zunächst die Einigung mit den Standortkommunen suchen müssen. Nur wenn bei den Gesprächen bis spätestens ein Jahr nach Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für ein Windprojekt keine Beteiligungsvereinbarung herauskommt, soll die oben beschriebene sogenannte Ersatzbeteiligung mit 0,2 Cent pro Kilowattstunde für die Kommune und 20 Prozent der Investitionssumme als Nach­rangdarlehen für Bür­ger:innen greifen.

Ausnahmen von alledem will die NRW-Landesregierung logischerweise alle Windpaks, die klassischen Bürgerenergiegesellschaften gehören, so wie sie das Erneuerbare-Energien-Gesetz definiert: Dies sind Genossenschaften oder andere Betreibergesellschaften, deren Anteile breit gestreut über mindestens 50 natürliche Personen aus der Region verteilt sind. Zugleich müssen diese gemeinsam über mindestens 75 Prozent der Stimmrechte verfügen, ohne dass eine Person über mehr als 10 Prozent der Stimmrechte verfügt.

Bürgerenergie tut sich schwer

Doch solche „echten“ Bürgerenergiegesellschaften tun sich weiterhin schwer, obwohl die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt einige Schritte unternom­men hat, um ihnen bessere Startchan­cen zu geben.

So müssen Bürgerenergie­gesell­schaft­en für Windparks bis zu 18 MW und bis zu sechs Anlagen nicht an den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur teilnehmen, um dadurch das Recht auf eine EEG-Förderung zu erwerben. Die gleiche Ausnahme gilt für PV-An­lagen bis sechs MW, wenn sie sich im Eigentum einer solchen Gesell­schaft befinden. Ihnen steht stattdessen eine Vergütung zu, die sich am Durchschnitt der jeweils höchs­ten bezu­schlag­­ten Gebote in zurückliegenden Jahren bemisst. Für PV-Anlagen wird dabei ein Jahr, für Windkraftanlagen zwei Jahre in die Vergangenheit geschaut.

Bumerang im Vergütungsrecht

Doch was als Vorzugsbehandlung gedacht war, das entpuppt sich aktuell offenbar als Bumerang für die Bürgerenergie – zumindest im Windbereich. Denn aufgrund der starken Inflationstendenz sind Windprojekte nicht billiger, son­dern teurer geworden. Die Bundesnetzagentur hat darauf mittlerweile reagiert, indem sie die Höchstgrenze für Gebote in den Ausschreibungen deutlich auf 7,35 Cent pro Kilowattstunde ange­hoben hat. Das hatte insofern den erwünschten Erfolg, als sich wesentlich mehr Windprojekte an den bisherigen drei Ausschreibungen des Jahres 2023 beteiligt und einen Zuschlag erhalten haben als in den Ausschreibungen des Vorjahres.

Nicht angepasst hat die Bundesregierung freilich bislang den Berechnungsmodus für die Vergütungen der Bürgerenergieprojekte im Wind- und Solarbereich, die sich nicht an den Ausschreibungen beteiligen müssen. Bär­bel Heidebroek, die Präsidentin des Bundesverbandes Windenergie, erin­ner­­te den verantwortlichen Bundes­mini­s­ter Robert Habeck während der Windmesse in Husum jüngst energisch an diese noch offene Baustelle.

Dass die Erlösmöglichkeiten für Bürgerenergieprojekte außerhalb der Ausschreibungen zurzeit nicht rosig sind, hält der Windbranchenverband auch für einen der wesentlichen Gründe, warum das am 1. Januar 2023 gestartete Förderprogramm des Bundes speziell für Bürgerenergieprojekte im Windbereich bislang offenbar wenig Resonanz findet. Bürgerenergiegesellschaften können sich vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) die gesamten Planungs- und Genehmigungskosten mit bis zu 70 Prozent fördern lassen.

30.10.2023 | Autor: Guido Bröer
© Solarthemen Media GmbH

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