Luftfahrtindustrie: bei grünem Kerosin droht Versorgungslücke

Ein Arbeiter hantiert mit einem tankstutzen unter der Turbine eines Flugzeugs.Foto: BP Europe SE
Klimafreundlicher Kraftstoff wie E-Fuels dringend gesucht: noch tanken Flugzeuge fossiles Kerosin.
Die internationale Luftfahrtbranche läuft in einen Engpass für klimafreundliche Kraftstoffe. Wegen fehlender Pläne und Kapazitäten droht die Branche, die Klimaschutzziele 2030 deutlich zu verfehlen, heißt es in der Studie von PwC.

Die Luftfahrtindustrie steuert auf eine substanzielle Versorgungslücke mit grünem Kerosin zu. Das geht aus einer neuen Studie der Unternehmensberatung PwC hervor. Bereits 2030 könnte die Branche demnach weltweit etwa 46 Mio. Tonnen sogenanntes Sustainable Aviation Fuel (SAF) benötigen, um regulatorischen Anforderungen sowie eigenen Zielen auf dem Weg zu Net Zero gerecht zu werden. Beim aktuellen Ausbautempo der dafür notwendigen Infrastruktur und Raffinerien sei 2030 nach Berechnungen der International Air Transport Association (IATA) allerdings höchstens die Produktion von 24 Mio. Tonnen SAF möglich. Das entspreche einer Lücke von 22 Mio. Tonnen SAF – also fast 50% des Bedarfs. Um diese Lücke zu schließen und ihre Klimaziele noch zu erreichen, müsste die Branche laut der PwC-Studie bis 2030 mindestens 100 Mrd. Euro investieren. Bis 2035 steige der Investitionsbedarf auf 215 Mrd. Euro an, bis 2050 liegt er bei mehr als 1.000 Mrd. Euro.

Mindestens 6 Prozent SAF 2030

Aktuell trage die Luftfahrt etwa 2,5% zum globalen CO2-Ausstoß bei. Allerdings wolle die Branche bis 2050 CO2-neutral operieren. Um dieses Ziel trotz zunehmenden Flugverkehrs zu erreichen, setzen viele Airlines auf SAFs. Darunter sei eine Sammelbezeichnung für biologische und synthetische Kraftstoffe zu verstehen, mit denen sich auch herkömmliche Flugzeuge betanken und 66-94% der CO2-Emissionen einsparen ließen. Zu unterschieden sei dabei zwischen mehreren SAF-Typen. Die Studie selber betrachte zwei Arten näher. HEFA-SAF (Hydrotreated Esters and Fatty Acids) stammt aus Bio-Abfällen, Ölen und Lipiden und lässt sich bereits heute in größeren Mengen herstellen. Demgegenüber basiere PtL-SAF (Power-to-Liquid) auf grünem Wasserstoff und spare damit mehr Emissionen ein. Allerdings sei die Produktion technisch bisher weniger ausgereift ist und werde vermutlich deutlich teurer sein. Die Luftfahrt benötigt aber für ihre Klimaziele von beiden Typen große Mengen. In ihrer Studie berücksichtigen die Unternehmensberater nicht die Option zur solarthermischen Gewinnung von Kerosin, wie sie das Unternehmen Synhelion vorantreibt.

Zudem greifen regulatorische Quoten: So muss etwa Treibstoff an EU-Flughäfen bereits 2030 mindestens 6% SAF enthalten. Japan schreibt für internationale Flüge bis 2030 einen SAF-Anteil von 10% vor. Außerdem müssten laut Studie zur Erreichung des Net-Zero-Ziels 100-200 SAF-Raffinerien ihren Betrieb bis 2030 aufnehmen.

„Enorme Verunsicherung“

„Grünes Kerosin ist aktuell die einzige wirtschaftlich sinnvolle Technologie, um klimafreundlicheres Fliegen zu ermöglichen. Allerdings hinkt die Branche beim Ausbau der notwendigen Infrastruktur und beim Hochfahren der Produktionskapazitäten aus unterschiedlichsten Gründen hinter den eigenen Ansprüchen und regulatorischen Vorschriften her“, sagt Dr. Jan H. Wille, Co-Studienautor sowie Partner bei Strategy& Deutschland und PwC Aerospace and Defence Leader in der EMEA-Region. „Wir beobachten derzeit bei allen Akteuren eine enorme Verunsicherung, etwa was zukünftige Vorschriften, das Reporting und Accounting aber auch die Verfügbarkeit der benötigten Ausgangsstoffe sowie die Skalierbarkeit der Produktionstechnologien und das Thema Investitionssicherheit angeht. Zugleich hat sich eine gewisse Entscheidungsträgheit eingeschlichen, weil alle erst einmal die Schritte der jeweils anderen Akteure sowie die politischen Vorschriften abwarten, bevor sie selbst loslegen.“

Studie empfiehlt zügig Pilotanlagen

Um diese Hürden zu überwinden, schlägt die Studie einen fünfteiligen Aktionsplan vor, der für beide SAF-Typen gilt. Zunächst sollte die Branche die Skalierbarkeit der Raffinerien unter Beweis stellen, etwa durch erfolgreiche Pilot-Anlagen. Außerdem gehe es darum, die Versorgung mit den für die SAF-Herstellung benötigten Grundstoffen sicherzustellen. Bei HEFA-SAF betrifft das vor allem Bio-Abfälle, bei PtL-SAF große Mengen günstiger erneuerbarer Energie sowie CO2. Drittens ließen sich auf dieser Basis finanzielle Risiken minimieren, etwa durch Subventionen oder Kooperationsmodelle. Internationale Standards, klare regulatorische Vorschriften und eine global anerkannte SAF-Zertifizierung sind weitere wichtige Schritte. Zuletzt müsse die Branche die Öffentlichkeit von den Vorteilen der Technologie überzeugen.

Hohe Margen für Anbieter möglich

„Die Luftfahrt steht derzeit vor einer ähnlich tiefgreifenden Transformation wie die Automobilbranche. In den kommenden Jahrzehnten werden sich auch hier vollkommen neue Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle mit enormen Wachstumschancen entwickeln. Das fängt beim Sammeln und Aufbereiten der Bio-Abfälle an, geht über die Herstellung der Raffinerie-Ausrüstung bis hin zu SAF-Händlern“, sagt Dirk Niemeier, Co-Studienautor und Director bei Strategy& Deutschland. „Für Anbieter, die jetzt in den Markt einsteigen, bieten sich große Chancen: Angesichts der SAF-Versorgungslücke, der aufkommenden Quoten und des damit wachsenden Bedarfs wird sich der Markt voraussichtlich weiterhin als ein Verkäufermarkt entwickeln, der den Produzenten hohe Margen ermöglichen kann. Damit sich dieses neue SAF-Ökosystem entwickeln kann, braucht es allerdings eine schnelle und konzertierte Kraftanstrengung aller Stakeholder, die angetrieben wird von einer gemeinsamen Vision sowie einer Prise Pragmatismus. Dazu gehört auch, mögliche negative Effekte, wie etwa die missbräuchliche Nutzung von Nahrungsmitteln zur Herstellung von Bio-Abfällen für die SAF-Produktion, offen anzusprechen und möglichst frühzeitig zu unterbinden.“

6.11.2023 | Quelle: | solarserver.de © Solarthemen Media GmbH

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