Tiefe Geothermie für Wärmenetze

Ein Bohrtum für Tiefe Geothermie in Hamburg.Foto: Hamburger Energiewerke
Rund 40 Meter hoher Bohrturm zur Erschließung der Tiefen Geothermie in Hamburg
Tiefe Geothermie war bisher vor allem im Großraum München verbreitet. Doch seit einigen Jahren gibt es auch in Norddeutschland neue Projekte – und eine ganze Reihe von Untersuchungen. Ein Unternehmen will sogar trockenes Gestein nutzbar machen.

Den Druck auf den symbolischen Startknopf ließ sich Bundeskanzler Olaf Scholz nicht nehmen, als die Stadtwerke Schwerin Ende April 2023 ihre neue Geo­thermieanlage in Betrieb nahmen. Rund 1.300 Meter tief reicht die Boh­rung. Sie liefert eine Wärmeleistung von 5,7 Megawatt bei einer Temperatur von 56 Grad Celsius und einer Schütt­lei­s­tung von 55 Litern pro Sekunde. Das reicht, um etwa 15 Prozent des aktuellen Fernwärme­be­darfs der Stadt über die Tiefe Geothermie zu decken.

Die Geothermieanlage in Schwerin ist gewissermaßen das erste Projekt der neuen Erdwärme-Generation im Nor­den. Eine weitere Anlage in Hamburg hat im August den Fördertest bestan­den und soll ab dem Frühjahr 2025 Wärme liefern. Die Eckdaten sind ähnlich wie in Schwerin: 6 MW Wärmeleistung, 1.300 Meter Tiefe, 48 Grad.

Tiefe Geothermie plus Wärmepumpe

„Ein wichtiger technischer Faktor, um die Geothermieprojekte im Norddeutschen Becken möglich zu machen, waren Großwärmepumpen für hohe Temperaturen“, berichtet Frank Kabus, Geschäftsführer der Geothermie Neubrandenburg GmbH (GTN). Denn die in den norddeutschen Kommunen ge­nutz­ten wasserführenden Schich­ten liegen in Tie­fen, die eher laue Tempe­ra­tu­ren liefern. 56 Grad sind es in Schwerin , 48 Grad in Hamburg. Moderne Großwärmepumpen heben das Temperaturniveau in Hamburg auf 70 Grad, in Schwerin auf 80 Grad. „Erst bei diesen Temperaturen wird es für die Einspei­sung in bestehende Fernwärmenetze wirklich interessant“, sagt Kabus. In vie­len Städten liegen die Temperaturen im Wärmenetz sogar noch höher, doch auch das ist heute möglich – in Bochum geht eine Wärmepumpe in den Test, die 120 Grad schafft.

Mehr Erfahrung im Süden

Bisher befinden sich die meisten und zugleich größten deutschen Geo­ther­mie-Projekte im Großraum Mün­chen, wie eine Übersichtskarte des Bundesverbandes Geothermie zeigt. Bis zu 50 Megawatt Wärmeleistung holen die Betreiber an manchen Standorten aus der Tiefe, die Temperaturen liegen teils deutlich über 100 Grad.

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Die Wärmekosten liegen bei den Projekten in Süddeutschland laut einer Studie des Hamburg Instituts im Schnitt bei weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde. Im Norden wird es nicht ganz so günstig werden – die Wärmepumpen machen sich sowohl in den Investitions- als auch in den Betriebskosten bemerkbar. Das Hamburg Institut veranschlagt daher rund 6,5 Cent pro Kilowattstunde. Allerdings ist die Datenlage noch sehr dünn.

Mehr Daten zum Untergrund

Im sogenannten Süddeutschen Molassebecken rund um München ist nicht nur der Temperaturgradient günstig. Zudem kann auch das Wasser leicht durch den porösen Kalkstein zirkulieren. So fungiert der Untergrund als riesiger Wärmetauscher und lässt das Wasser von der Injektionsbohrung zur Förderbohrung strömen. Diese Art der Erdwärmeförderung, die hydrothermale Geothermie, hat sich bisher als einzige im kommerziellen Stil etabliert.

Der Norden Deutschlands war vor vielen Millionen Jahren hingegen von einem riesigen Flussdelta geprägt. Dort lagerten sich Sedimente ab, die sich mit der Zeit zu Sandstein verfestigten. Dieser Sandstein ist weniger durchlässig als der ausgehöhlte Malmkalk im Süden und obendrein schlechter erforscht. Die Daten aus alten Öl- und Gasbohrungen reichen in der Regel nicht so weit in die Tiefe.

Das zeigte sich auch in Hamburg, wo man im Zuge eines wissenschaftlichen Begleitprojektes zuerst eine Erkundungsbohrung abteufte. „Bis zu einer Tiefe von rund 2.500 Metern entsprach das tatsächliche Schichtenprofil weitestgehend den Annahmen aus dem Vorprofil. Im weiteren Bohrprozess tra­ten dann Abweichungen vom Vorprofil auf,“ erklärt dazu Bettina Schwarz, Pressesprecherin der Hamburger Energiewerke. Die ursprünglich anvisierte Schicht in rund 3.000 Metern Tiefe erwies sich als zu dicht für die Thermalwasserförderung.

Bohren bringt Erkenntnisse

Vergeblich war das Bohren in Hamburg damit aber nicht. Sogenannte Mud Logger nahmen alle fünf bis zehn Meter Proben aus den Bohrkernen, sodass nun genau dokumentiert ist , in welchen Tiefen es Sandstein, Ton oder Kalkstein gibt. Zusammen mit vielen weiteren Daten fließen diese Er­kennt­nisse über groß angelegte Forschungsprojekte wie „Sandsteinfazies“ in die Geothermie-Datenbank Geotis ein. Dank solcher Forschungsprojekte wie Sandsteinfazies und mesoTherm, die vom Bundesministerium für Wirtschaft ­und Energie gefördert werden, kann nach Aussage von Kabus das so­ge­nannte Fündigkeitsrisikogesenkt wer­den. Dies reduziert die Gefahr, trotz aller Erkundungen einen zweistelligen Millionenbetrag im wörtlichen Sinne zu versenken.

In der Studie „Perspektive der Fernwärme“ haben Prognos und das Hamburg Institut im Auftrag des Fernwärmeverbands AGFW unter anderem das Potenzial der Tiefen Geothermie untersucht. Demnach ist das Potenzial der Wärme aus der Erde – abhängig von den Randbedinungen – auf 45 bis 118 Terawattsunden (TWh) zu veran­schla­gen. Zum Vergleich: Die Studie erwartet im Jahr 2030 einen Wärmeverbrauch in allen deutschen Fernwärmenetzen von 146 TWh; je nach Definition sind dabei auch einige Nahwärmenetze eingeschlossen.

Potenziale für Tiefe Geothermie ungenutzt

Bisher werden laut dem Geothermie-Datenportal Geotis rund 1,3 TWh des geothermischen Potenzials genutzt, etwa 7 TWh ließen sich laut der Fern­­wärme-Studie bis 2030 erschließen. Schaut man auf die Landkarte der geplanten Projekte, scheint das nicht allzu abwegig. Neben den technischen Fortschritten und der Energiekrise ist die Bundesförderung Effiziente Wärme­net­ze (BEW) ein Treiber dafür, die über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) abgewickelt wird.

Schon für die Vorplanung in Form von Machbarkeitsstudien und Transformationsplänen gibt es hier bis zu 50 Prozent Zuschuss. Bei der Realisierung von Wärmeprojekten sind es dann bis zu 40 Prozent. Mehrere Unternehmen bezeichnen diese Zahlen als „sehr auskömmlich“.

Auch die Arbeitsweise der Behör­den, sowohl für die bergrechtlichen Genehmigungen als auch bei der Abwicklung der Förderung, sei trotz Über­las­tung einigermaßen zügig, heißt es mehrfach. Doch bis in Poggenpohl, Soltau, Munster-Bispingen und all den anderen Orten gebohrt wird, kann es noch eine Weile dauern: Anträge müssen gestellt und bewilligt, Untersuchungen ausgeschrieben, Aufträge vergeben wer­den. „Ab dem kommenden Jahr wird es dann vermehrt Messungen geben,“ erwartet Boris Dombrowski, stellvertretender Leiter Geo-Energie & Ressourcen beim Geothermie-Generalunternehmer DMT. Bis zur Inbetriebnahme muss man noch einige Jahre dazurechnen.

Während Kommunen, Stadtwerke und heimische Geothermie-Unternehmen noch prüfen, nimmt allerdings ein Newcomer auf der Überholspur Anlauf. Der Standort Geretsried in Bayern galt wegen der geringen Durchlässigkeit des Gesteins bisher als nicht nutzbar für die Geothermie.

Neues teures Verfahren für Tiefe Geothermie

Das Unternehmen Eavor aus Kanada will dort mit einem neuartigen Wärmetauscher-Verfahren die Wärme aus dem trockenen Gestein ziehen und so nebenbei das Fündigkeitsrisiko eliminie­ren. Bis zu 350 Millionen Eu­ro soll das Projekt kosten, also deut­lich mehr als die klassischen hydrothermalen Vorhaben. Mit internationalen Firmen und Risikokapital-Fonds als Investoren drückt Eavor auf die Tube. Noch bevor das ers­te kommerzielle Projekt in Betrieb ist, hat das Unternehmen in Hannover ver­spro­­chen, ab 2026 Wärme an Enercity zu liefern. Und auch für Neu-Ulm liegt eine bergrechtliche Genehmigung für die Erdwärme-Nutzung vor. Geht die Rechnung des Konzerns auf, könnte das die Tiefengeothermie in Deutschland deutlich verändern.

6.11.2023 | Autorin: Eva Augsten
© Solarthemen Media GmbH

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