Wasserstoff-Kernnetz: erster Wasserstoff soll 2025 fließen

Mann mit Anzug - Robert Habeck - sitzt vor blauer Wand und zeigt Deutschland-Karte mit Linien - das Wasserstoff-Kernnetz.Aufnahme: BMWK, Screenshot: Solarserver
Bundesminister Robert Habeck will politisch Tempo machen, damit das Wasserstoff-Kernnetz ab 2024 gebaut werden kann.
Grüner Wasserstoff und die passende Infrastruktur sind ein klassisches Henne-Ei-Problem. Mit einem Wasserstoff-Kernnetz wollen Bundesregierung und die Gas-Fernnetzbetreiber nun schnell eine dicke Henne ins Nest setzen.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat es eilig mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Das machte er bei der Pressekonferenz zum Aufbau eines Wasserstoff-Kernnetzes sehr deutlich. Auf keinen Fall will er mit den Plänen oder dem Bau des Netzes darauf warten, dass ausreichend Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zur Verfügung steht – denn dann, so die Überlegung, würde alles viel zu lange dauern. „Wir wollen jetzt ein Netz für einen Energieträger aufbauen, der noch nicht da ist“, sagt Habeck. Rund 9.700 Leitungskilometer soll das Wasserstoff-Kernnetz bis 2032 in Deutschland umfassen. Im Vergleich zu den im Juli dieses Jahres von den Fernnetzbetreibern vorgelegten Plänen sind das 2.000 Kilometer weniger.

Wasserstoff-Kernnetz nur Grundgerüst der neuen Infrastruktur

Die Fernnetzbetreiber sind die Hauptakteure beim Bau des Wasserstoff-Kernnetzes, das als eine Art Wasserstoff-Autobahn die wichtigsten Standorte verbinden soll. „Das Wasserstoff-Kernnetz ist Teil eines größeren Szenarios, das von den Förderbescheiden für die Umstellung von Stahlwerken bis zu unserer Kraftwerksstrategie reicht“, so Habeck. Es soll nicht nur verschiedene Standorte verbinden, sondern damit auch ein zentrales Element der Sektorenkopplung werden. Zu den ersten Anschlussnehmern gehören laut den FAQ des Ministeriums die Projekte, die von der EUH als IPCEI (Important Projects of Common European Interest) und PCI/PMI (Projects of Common / Mutual Interest) eingestuft sind. Hinzu kommen gemäß der Wasserstoffstrategie schwer dekarbonisierbare Industrie, wie Stahl- und Chemiewerke sowie Raffinerien. Energiewende-Reallabore – die ersten Drehkreuze der Sektorenkopplung – sollen ebenfalls ans Wasserstoff-Kernnetz angeschlossen werden.

Wasserstofffähige Heizkraftwerke müssen mindestens eine elektrische Leistung von 100 MW haben, um im Kernnetz berücksichtigt zu werden. Diese Leistung sei bereits recht niedrig angesetzt, erklärt Habeck. Noch kleinere Abnehmer wolle man bewusst nicht an das leistungsstarke Kernnetz anschließen, um dessen Kosten im Rahmen zu halten. Sie sollen in der nächsten Ausbaustufe über ein Verteilnetz angeschlossen werden, dessen Planung nun anlaufen soll.

Wasserstoff-Kernnetz soll regelmäßig evaluiert werden

Das nach jetzigem Stand vorgesehene Wasserstoff-Kernnetz soll eine Ausspeisung von 270 TWh ermöglichen. Der für 2030 erwartete Bedarf liegt je nach Szenario bei 95 bis 130 TWh. „Wir bauen für die Zukunft“, erklärte Habeck die Auslegung auf einen deutlich höheren Wert. Grundlage für den Ausbau sollen Szenarienrahmen sein, wie man sie bereits aus den Netzentwicklungsplänen für Strom- und Erdgasnetz kennt. Der die Fernnetzbetreiber berufen sich bei den Plänen für das Wasserstoffnetz im Jahr 2050 laut ihrer Webseite auf Wasserstoff-Szenarien der Deutschen Energie-Agentur (dena). „Es ist gut, dass wir szenarienbasiert arbeiten. Wir müssen vor die Welle kommen“, erklärte Thomas Gößmann, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas, bei der Pressekonferenz.

Wasserstoff-Import per Schiff und Pipeline vorgesehen

Etwa 30 bis 50 Prozent des erwarteten Bedarfs an Wasserstoff werde Deutschland selbst decken können, glaubt Habeck. Im Vergleich zu Öl, Erdgas und Kohle, die zu nahezu 100 Prozent importiert werden, sei das eine deutliche Verringerung der Abhängigkeit. Habeck skizzierte verschiedene geplante Importprojekte. „Die sind noch nicht alle gleich weit verhandelt“, betonte er. Eine Karte zeigte unter anderem Importe von Windparks in Nord- und Ostsee und den Nachbarländern Norwegen und Dänemark. Aus dem Süden führt eine Pipeline von Nordafrika über Österreich nach Deutschland, im Südwesten soll Wasserstoff aus Portugal und Spanien über Frankreich Anschluss an die Pipeline „H2Med“ finden. Pipelines gelten als der günstigste Weg, Wasserstoff über große Strecken zu transportieren. Für den geplanten Import von „blauem“ Wasserstoff aus Norwegen gab es bereits Kritik.

Zu rund 60 Prozent soll das Wasserstoff-Kernnetz aus umgewidmeten Erdgas-Leitungen bestehen. Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um die Leitungen, in denen bisher sogenanntes L-Gas transportiert wurde. Das Erdgas mit einem etwas geringeren Brennwert als das heute gängige H-Gas stammt aus den Niederlanden, die ihre Erdgasförderung bis zum Ende des Jahrzehnts schrittweise einstellen wollen. Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sollen so Fernleitungen für Wasserstoff verfügbar werden. Parallel gehe man auch von einem sinkenden Erdgasverbrauch aus, erklärt Gößmann.

Finanziert werden soll das Wasserstoff-Kernnetz privatwirtschaftlich mit einer staatlichen Garantie in Form eines „Amortisationskontos“. Der Ansatz: Das Netz soll sich grundsätzlich bis 2055 über die Netzgebühren rechnen – also zehn Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem Deutschland klimaneutral sein soll. Allerdings legt die Politik fest, dass die Netzentgelte anfangs niedriger und zudem bundesweit gleichmäßig sein sollen, um die Wasserstoffwirtschaft anzuschieben. Im Gegenzug sichert die Regierung zu, finanziell einzuspringen, wenn es mit der Amortisation bis 2055 nicht gelingt. Mehrere maßgebliche Details zur Finanzierung seien jedoch noch nicht ausgehandelt, erklärten Habeck und Gößmann.

Weitere Schritte in Planung und Genehmigung sollen parallel laufen

Die nächsten Planungsschritte sollen parallel ablaufen. Am heutigen Mittwoch wollen die Fernnetzbetreiber den Entwurf für das Wasserstoff-Kernnetz an die Bundesnetzagentur übermitteln, so Gößmann. Damit es schnell vorangeht, sollen parallel zur Prüfung durch die Bundesnetzagentur bereits Konsultationen anlaufen. Im ersten Quartal 2024 soll es einen finalen Entwurf geben, die Genehmigung der BNetzA soll dann in Kürze folgen. „Im Jahr 2025 muss der erste Wasserstoff fließen, das gilt insbesondere für die IPCEI-Projekte“, sagt Gössmann. „Das heißt, die Bagger müssen nächstes Jahr rollen“. Damit so schnelle Genehmigungen möglich sind, wolle die Regierung noch in diesem Jahr einen Entwurf für ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz vorlegen, kündigte Habeck an.

Ebenfalls Gegenstand des Beschlusses soll die zweijährliche Evaluierung des Wasserstoff-Kernnetzes sein.
Beschlossen sind derweil die Regelungen zum Wasserstoff-Kernnetz im Energiewirtschaftsgesetz. Der Bundestag hat die Novelle, die unter anderem den entsprechenden Paragrafen 28r enthält, am 10. November angenommen. Sie beschreibt die Genehmigungsverfahren und die Rolle der Bundesnetzagentur.

15.11.2023 | Autor: Eva Augsten
© Solarthemen Media GmbH

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